Eine deutsche Heldengeschichte
Der heutige Boris Becker kämpft mit sich und der Welt. Der junge Boris jedoch auf dem Weg zum ersten Wimbledon-Sieg ist noch immer eine legendäre Story – die jetzt verfilmt wird. Eine Reise in die 80er Jahre, mit Pullunder, Häkeldeko und rätselhaften Männ
Aschaffenburg „Scheiße, Mann, so gewinn ich nie“, brüllt der Rotschopf über den Platz, als der Ball mal wieder im Netz landet. Wutentbrannt verlässt er den TennisCourt. Der Bursche ist 13 Jahre alt, da schäumen die Emotionen schon mal über, wenn die rechte Schlaghand nicht so will, wie der Ehrgeiz es fordert. Und die Kamera verfolgt jeden einzelnen Schritt.
Ruft man sich den späteren Champion in Erinnerung, wie er laut fluchte, wenn es mal nicht so lief, wie er meckerte und lamentierte, an der Grundlinie auf und abwanderte – ja, sagt dann die Erinnerung, das könnte hinkommen. Boris Becker war ja nicht ständig Wimbledonoder US-Open-Sieger. Vor allem noch nicht mit 13.
Boris Becker heißt an diesem warmen Frühlingstag in Aschaffenburg Balthazar Zeibig. Es ist der erste Drehtag auf der Anlage des SC Weiß-Blau. Die Kölner Firma Zeitsprung mit Regisseur Hannu Salonen („Oktoberfest 1900“, „Schuld“) produziert im Auftrag des Fernsehsenders RTL den Film „Der Spieler“. Im Mittelpunkt: die Jugendjahre der deutschen Tennislegende Boris Becker bis zu seinen ersten beiden Wimbledon-Triumphen 1985 und 1986.
Diese Geschichte vom Jungen aus der Provinz, der als 17-Jähriger sensationell das bedeutendste Turnier der Welt gewinnt, hat sich eingeprägt ins nationale Gedächtnis. Sie läutete eine Ära ein, in der Tennis zeitweise einen höheren Stellenwert im Land hatte als Fußball – wegen Becker und dann auch wegen Steffi
Graf. Das ist es, was ZeitsprungChef Michael Souvignier an dem Projekt gereizt hat: „Die BeckerStory ist eine deutsche Heldengeschichte, von denen es so viele nicht gibt“, sagt er.
Gleichwohl hat der Sender damit die einfachste aller möglichen Becker-Geschichten gewählt. Der späte Becker wäre vielleicht die interessantere Variante gewesen. Nicht der Held auf dem Platz: zwölf Wochen Nummer eins der Welt, 25 Millionen US-Dollar Preisgeld, BummBumm-Boris, Bobbele. Sondern der, dessen Leben jenseits der Tennisplätze zwischen TV-Shows, Autohandel, Frauen- und Finanzproblemen ausfranste, als sich zunehmend menschliches Drama ins Dasein der Legende schlich. Aber eine Heldengeschichte ist das eben nicht.
In Aschaffenburg am nordwestlichen Zipfel Bayerns laufen also seit Montag die Dreharbeiten. Die Tennisplätze von Weiß-Blau stellen die Anlage von Blau-Weiß Leimen dar, dem badischen Heimatclub von Boris Becker, in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Die Kulisse soll ja möglichst authentisch sein. Und so hat die Filmcrew dem Club-Restaurant einen neuen alten Anstrich in hellbraun verpasst, viel dunkles Holz im Innenraum verbaut und ein paar Lampenschirme mit Häkeldeko aufgehängt. Was die Ästhetik – oder was man damals dafür hielt – eben so hergab.
Es waren ja spezielle Zeiten. Allein musikalisch. Als Becker 13 war, 1980, transportierte die Goombay
Band („Sun of Jamaica“) karibische Gefühle und Mike Krüger einen ominösen Nippel ins bunte und wild gemusterte Wohnzimmer. Und auch sonst: Der Zauberwürfel kam in die Spielzeugläden, bei der Bundestagswahl setzte sich Helmut Schmidt gegen Franz Josef Strauß durch, und die beliebtesten Jungennamen waren zwar nicht Boris, aber Thomas, Michael und Sebastian. Ach ja, und Wimbledon gewann in diesem Jahr – zum fünften Mal in Folge: Björn Borg.
Auf den Plätzen in Aschaffenburg hat man die aktuellen Windschutzplanen durch neutrale Banner ersetzt. „Werbeaufdrucke mit Internetadressen und fünfstelligen Postleitzahlen kannte man in den 80ern noch nicht“, sagt Weiß-Blau-Trainer Christoph Meyer. Er hat die Filmemacher bereits bei den Vorarbeiten unterstützt.
Und natürlich müssen auch die Outfits der Darsteller stimmig sein, egal, ob Hauptrolle oder Statist. Ein 70er-Jahre-Pullunder mit V-Ausschnitt, wie ihn Balthazar Zeibig in der eingangs erwähnten Szene trägt, ist heute selbst im Second-HandLaden nicht mehr so einfach zu bekommen. Kein Wunder, dass eine Produktionshelferin dem 13-Jährigen in einer Essenspause schnell ein übergroßes Herrenhemd vor den Latz bindet. Wäre auch zu blöd, bekäme der weiße Pullunder jetzt Flecken ab.
Zeibig besucht neben dem Gymnasium eine Schauspielschule in Köln. Der 13-Jährige ist bereits kameraerfahren. Für die Rolle des ganz jungen Boris prädestiniert ihn, natürlich, das rotblonde Haar. „Und Tennis habe ich auch schon gespielt“, sagt er.
Verlangt das Drehbuch anspruchsvollere Ballwechsel, steht Quentin Weissinger bereit. Der Elfjährige, ebenfalls rothaarig, ist ein Tennistalent aus Frankfurt. Boris Becker gehörte schließlich in diesem Alter bereits dem Jugendspitzenkader des Deutschen Tennisbundes an. Den legendären Becker-Hecht hat Weissinger übrigens auch einstudiert.
Die Rolle des späteren, des jugendlichen Boris, der zum Sensationssieger von Wimbledon heranreift, übernimmt Bruno Alexander. Der 22-Jährige spielt die Hauptrolle im Film, also auch in den Szenen auf dem heiligen englischen Rasen, gedreht vor wenigen Tagen im westfälischen Halle, wo in der realen Welt im Juni wieder ein hoch dotiertes Herrenturnier stattfinden soll.
Dreieinhalb Monate hat sich Alexander mit einem Profi-Trainer auf die Produktion vorbereitet. „Es macht großen Spaß“, sagt er. Um sich auf die Rolle einzustimmen, habe er sich unter anderem mit Beckers damaligem Trainer Günther Bosch ausgetauscht, der heute 84 ist. Bosch wird im Film vom renommierten Schauspieler Samuel Finzi dargestellt, den viele Zuschauer noch aus der ZDF-Krimiserie „Flemming“kennen – und der dem Original verblüffend ähnlich sieht.
Boris Becker war für die Filmcrew bislang nicht zu sprechen. Den Tennisstar einmal zu treffen, vielleicht zur 2022 geplanten Filmpremiere, „das wäre natürlich cool“, sagt Hauptdarsteller Alexander. Der Hamburger ist gerade erst als Junkie in der Streaming-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“einem größeren Publikum bekannt geworden. Becker-Aufschläge, BeckerDance
Hechte, Becker-Gefühle – das alles wollte gelernt sein. Der talentierte Schauspieler weiß, was auf ihn zukommt. „Natürlich kannte ich Boris Becker, denn eigentlich kennt jeder Boris Becker oder meint zumindest, ihn zu kennen“, hat er gesagt, als RTL ihn als Hauptdarsteller vorstellte. „Als aber das Angebot bei mir auf dem Tisch lag, musste ich doch erst mal recherchieren.“Die Rolle sei Herausforderung und Bürde zugleich, denn er wolle diejenigen begeistern, die mit Becker groß geworden sind, und diejenigen, die ihn hauptsächlich aus den Schlagzeilen kennen.
Dass der Film zu einem guten Teil im unterfränkischen Aschaffenburg
entsteht, liegt an der Förderung durch den Film-FernsehFonds Bayern. Das Millionenprojekt erhält 600000 Euro aus Steuermitteln. Im Gegenzug musste sich die Produktion verpflichten, mindestens die anderthalbfache Menge Geld, also knapp eine Million Euro, im Freistaat zu investieren und hier auch zu drehen.
Man habe mehrere Tennisanlagen in Bayern besichtigt, sagt Produzent Souvignier. „In Aschaffenburg hat einfach alles gepasst.“Auch deshalb, weil das Weiß-BlauGelände zu Beginn der Becker-Karriere schon einmal im Blickpunkt stand. „Auf unserem heutigen Platz 14 stand der 15-jährige Boris 1983 im Finale um die deutsche Jugendmeisterschaft“, erzählt Trainer Meyer. Hat er denn wenigstens gewonnen damals, der Boris? Meyer windet sich: „Es ist ein bisschen peinlich, aber das Endspiel-Ergebnis haben wir im Vereinsarchiv bislang nicht gefunden.“
Der Club-Trainer ist es auch, der unter den vielen Komparsen, die das Filmteam einsetzt, die Tennisspieler ausgesucht hat. „Gar nicht so einfach“, sagt er lachend. „In den 80er Jahren gab’s weder feste Zahnspangen noch Undercut-Frisuren.“Mit dem 18-jährigen Tom-Luca Jakobs und dem 23-jährigen Niklas Pothorn haben zwei aktuelle Stammspieler von Weiß-Blau kleine Rollen ergattert. „Toll, einfach mal zu erleben, wie so ein Dreh abläuft“, sagt Jakobs, der zusätzlich auch als Fan auf der Tribüne gebucht ist.
Pothorn hat den ersten Einsatz bereits hinter sich. Die Filmcrew hatte ihn am vergangenen Wochenende zum Haareschneiden gebeten. Der Student spielt im Film CarlUwe Steeb, Beckers Kumpel seit Jugendzeiten, mit dem er 1988 gemeinsam den Davis Cup gewann.
Und dann ist da noch Theresia Fischer. Die 80-Jährige erzählt, wie vor zwei Monaten zwei Männer bei ihr an der Haustür in der Aschaffenburger Blütenstraße klingelten. Die Männer sollten sich als „Location Scouts“entpuppen. Ihr Haus sei ideal, sagten sie, um das Eigenheim der Familie Becker in Leimen darzustellen – und fragten dann, ob die Rentnerin es nicht für ein paar Filmszenen zur Verfügung stellen wolle. Sie habe kurz überlegt, berichtet Theresia Fischer. „Dann habe ich gedacht, du hast schon so viel Blödsinn mitgemacht im Leben, warum eigentlich nicht.“
In diesen Tagen rückt das Filmteam in der Blütenstraße an. Familie Becker inklusive.
Als Mike Krüger den berühmten Nippel besang
Boris spielte tatsächlich hier, 1983 auf Platz 14