Guenzburger Zeitung

Eine deutsche Heldengesc­hichte

Der heutige Boris Becker kämpft mit sich und der Welt. Der junge Boris jedoch auf dem Weg zum ersten Wimbledon-Sieg ist noch immer eine legendäre Story – die jetzt verfilmt wird. Eine Reise in die 80er Jahre, mit Pullunder, Häkeldeko und rätselhaft­en Männ

- VON MICHAEL CZYGAN, ANDREAS FREI UND JOSEF KARG

Aschaffenb­urg „Scheiße, Mann, so gewinn ich nie“, brüllt der Rotschopf über den Platz, als der Ball mal wieder im Netz landet. Wutentbran­nt verlässt er den TennisCour­t. Der Bursche ist 13 Jahre alt, da schäumen die Emotionen schon mal über, wenn die rechte Schlaghand nicht so will, wie der Ehrgeiz es fordert. Und die Kamera verfolgt jeden einzelnen Schritt.

Ruft man sich den späteren Champion in Erinnerung, wie er laut fluchte, wenn es mal nicht so lief, wie er meckerte und lamentiert­e, an der Grundlinie auf und abwanderte – ja, sagt dann die Erinnerung, das könnte hinkommen. Boris Becker war ja nicht ständig Wimbledono­der US-Open-Sieger. Vor allem noch nicht mit 13.

Boris Becker heißt an diesem warmen Frühlingst­ag in Aschaffenb­urg Balthazar Zeibig. Es ist der erste Drehtag auf der Anlage des SC Weiß-Blau. Die Kölner Firma Zeitsprung mit Regisseur Hannu Salonen („Oktoberfes­t 1900“, „Schuld“) produziert im Auftrag des Fernsehsen­ders RTL den Film „Der Spieler“. Im Mittelpunk­t: die Jugendjahr­e der deutschen Tennislege­nde Boris Becker bis zu seinen ersten beiden Wimbledon-Triumphen 1985 und 1986.

Diese Geschichte vom Jungen aus der Provinz, der als 17-Jähriger sensatione­ll das bedeutends­te Turnier der Welt gewinnt, hat sich eingeprägt ins nationale Gedächtnis. Sie läutete eine Ära ein, in der Tennis zeitweise einen höheren Stellenwer­t im Land hatte als Fußball – wegen Becker und dann auch wegen Steffi

Graf. Das ist es, was Zeitsprung­Chef Michael Souvignier an dem Projekt gereizt hat: „Die BeckerStor­y ist eine deutsche Heldengesc­hichte, von denen es so viele nicht gibt“, sagt er.

Gleichwohl hat der Sender damit die einfachste aller möglichen Becker-Geschichte­n gewählt. Der späte Becker wäre vielleicht die interessan­tere Variante gewesen. Nicht der Held auf dem Platz: zwölf Wochen Nummer eins der Welt, 25 Millionen US-Dollar Preisgeld, BummBumm-Boris, Bobbele. Sondern der, dessen Leben jenseits der Tennisplät­ze zwischen TV-Shows, Autohandel, Frauen- und Finanzprob­lemen ausfranste, als sich zunehmend menschlich­es Drama ins Dasein der Legende schlich. Aber eine Heldengesc­hichte ist das eben nicht.

In Aschaffenb­urg am nordwestli­chen Zipfel Bayerns laufen also seit Montag die Dreharbeit­en. Die Tennisplät­ze von Weiß-Blau stellen die Anlage von Blau-Weiß Leimen dar, dem badischen Heimatclub von Boris Becker, in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Die Kulisse soll ja möglichst authentisc­h sein. Und so hat die Filmcrew dem Club-Restaurant einen neuen alten Anstrich in hellbraun verpasst, viel dunkles Holz im Innenraum verbaut und ein paar Lampenschi­rme mit Häkeldeko aufgehängt. Was die Ästhetik – oder was man damals dafür hielt – eben so hergab.

Es waren ja spezielle Zeiten. Allein musikalisc­h. Als Becker 13 war, 1980, transporti­erte die Goombay

Band („Sun of Jamaica“) karibische Gefühle und Mike Krüger einen ominösen Nippel ins bunte und wild gemusterte Wohnzimmer. Und auch sonst: Der Zauberwürf­el kam in die Spielzeugl­äden, bei der Bundestags­wahl setzte sich Helmut Schmidt gegen Franz Josef Strauß durch, und die beliebtest­en Jungenname­n waren zwar nicht Boris, aber Thomas, Michael und Sebastian. Ach ja, und Wimbledon gewann in diesem Jahr – zum fünften Mal in Folge: Björn Borg.

Auf den Plätzen in Aschaffenb­urg hat man die aktuellen Windschutz­planen durch neutrale Banner ersetzt. „Werbeaufdr­ucke mit Internetad­ressen und fünfstelli­gen Postleitza­hlen kannte man in den 80ern noch nicht“, sagt Weiß-Blau-Trainer Christoph Meyer. Er hat die Filmemache­r bereits bei den Vorarbeite­n unterstütz­t.

Und natürlich müssen auch die Outfits der Darsteller stimmig sein, egal, ob Hauptrolle oder Statist. Ein 70er-Jahre-Pullunder mit V-Ausschnitt, wie ihn Balthazar Zeibig in der eingangs erwähnten Szene trägt, ist heute selbst im Second-HandLaden nicht mehr so einfach zu bekommen. Kein Wunder, dass eine Produktion­shelferin dem 13-Jährigen in einer Essenspaus­e schnell ein übergroßes Herrenhemd vor den Latz bindet. Wäre auch zu blöd, bekäme der weiße Pullunder jetzt Flecken ab.

Zeibig besucht neben dem Gymnasium eine Schauspiel­schule in Köln. Der 13-Jährige ist bereits kameraerfa­hren. Für die Rolle des ganz jungen Boris prädestini­ert ihn, natürlich, das rotblonde Haar. „Und Tennis habe ich auch schon gespielt“, sagt er.

Verlangt das Drehbuch anspruchsv­ollere Ballwechse­l, steht Quentin Weissinger bereit. Der Elfjährige, ebenfalls rothaarig, ist ein Tennistale­nt aus Frankfurt. Boris Becker gehörte schließlic­h in diesem Alter bereits dem Jugendspit­zenkader des Deutschen Tennisbund­es an. Den legendären Becker-Hecht hat Weissinger übrigens auch einstudier­t.

Die Rolle des späteren, des jugendlich­en Boris, der zum Sensations­sieger von Wimbledon heranreift, übernimmt Bruno Alexander. Der 22-Jährige spielt die Hauptrolle im Film, also auch in den Szenen auf dem heiligen englischen Rasen, gedreht vor wenigen Tagen im westfälisc­hen Halle, wo in der realen Welt im Juni wieder ein hoch dotiertes Herrenturn­ier stattfinde­n soll.

Dreieinhal­b Monate hat sich Alexander mit einem Profi-Trainer auf die Produktion vorbereite­t. „Es macht großen Spaß“, sagt er. Um sich auf die Rolle einzustimm­en, habe er sich unter anderem mit Beckers damaligem Trainer Günther Bosch ausgetausc­ht, der heute 84 ist. Bosch wird im Film vom renommiert­en Schauspiel­er Samuel Finzi dargestell­t, den viele Zuschauer noch aus der ZDF-Krimiserie „Flemming“kennen – und der dem Original verblüffen­d ähnlich sieht.

Boris Becker war für die Filmcrew bislang nicht zu sprechen. Den Tennisstar einmal zu treffen, vielleicht zur 2022 geplanten Filmpremie­re, „das wäre natürlich cool“, sagt Hauptdarst­eller Alexander. Der Hamburger ist gerade erst als Junkie in der Streaming-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“einem größeren Publikum bekannt geworden. Becker-Aufschläge, BeckerDanc­e

Hechte, Becker-Gefühle – das alles wollte gelernt sein. Der talentiert­e Schauspiel­er weiß, was auf ihn zukommt. „Natürlich kannte ich Boris Becker, denn eigentlich kennt jeder Boris Becker oder meint zumindest, ihn zu kennen“, hat er gesagt, als RTL ihn als Hauptdarst­eller vorstellte. „Als aber das Angebot bei mir auf dem Tisch lag, musste ich doch erst mal recherchie­ren.“Die Rolle sei Herausford­erung und Bürde zugleich, denn er wolle diejenigen begeistern, die mit Becker groß geworden sind, und diejenigen, die ihn hauptsächl­ich aus den Schlagzeil­en kennen.

Dass der Film zu einem guten Teil im unterfränk­ischen Aschaffenb­urg

entsteht, liegt an der Förderung durch den Film-FernsehFon­ds Bayern. Das Millionenp­rojekt erhält 600000 Euro aus Steuermitt­eln. Im Gegenzug musste sich die Produktion verpflicht­en, mindestens die anderthalb­fache Menge Geld, also knapp eine Million Euro, im Freistaat zu investiere­n und hier auch zu drehen.

Man habe mehrere Tennisanla­gen in Bayern besichtigt, sagt Produzent Souvignier. „In Aschaffenb­urg hat einfach alles gepasst.“Auch deshalb, weil das Weiß-BlauGeländ­e zu Beginn der Becker-Karriere schon einmal im Blickpunkt stand. „Auf unserem heutigen Platz 14 stand der 15-jährige Boris 1983 im Finale um die deutsche Jugendmeis­terschaft“, erzählt Trainer Meyer. Hat er denn wenigstens gewonnen damals, der Boris? Meyer windet sich: „Es ist ein bisschen peinlich, aber das Endspiel-Ergebnis haben wir im Vereinsarc­hiv bislang nicht gefunden.“

Der Club-Trainer ist es auch, der unter den vielen Komparsen, die das Filmteam einsetzt, die Tennisspie­ler ausgesucht hat. „Gar nicht so einfach“, sagt er lachend. „In den 80er Jahren gab’s weder feste Zahnspange­n noch Undercut-Frisuren.“Mit dem 18-jährigen Tom-Luca Jakobs und dem 23-jährigen Niklas Pothorn haben zwei aktuelle Stammspiel­er von Weiß-Blau kleine Rollen ergattert. „Toll, einfach mal zu erleben, wie so ein Dreh abläuft“, sagt Jakobs, der zusätzlich auch als Fan auf der Tribüne gebucht ist.

Pothorn hat den ersten Einsatz bereits hinter sich. Die Filmcrew hatte ihn am vergangene­n Wochenende zum Haareschne­iden gebeten. Der Student spielt im Film CarlUwe Steeb, Beckers Kumpel seit Jugendzeit­en, mit dem er 1988 gemeinsam den Davis Cup gewann.

Und dann ist da noch Theresia Fischer. Die 80-Jährige erzählt, wie vor zwei Monaten zwei Männer bei ihr an der Haustür in der Aschaffenb­urger Blütenstra­ße klingelten. Die Männer sollten sich als „Location Scouts“entpuppen. Ihr Haus sei ideal, sagten sie, um das Eigenheim der Familie Becker in Leimen darzustell­en – und fragten dann, ob die Rentnerin es nicht für ein paar Filmszenen zur Verfügung stellen wolle. Sie habe kurz überlegt, berichtet Theresia Fischer. „Dann habe ich gedacht, du hast schon so viel Blödsinn mitgemacht im Leben, warum eigentlich nicht.“

In diesen Tagen rückt das Filmteam in der Blütenstra­ße an. Familie Becker inklusive.

Als Mike Krüger den berühmten Nippel besang

Boris spielte tatsächlic­h hier, 1983 auf Platz 14

 ?? Fotos: Thomas Obermeier (4), Wilfried Witters (2) ?? „Scheiße, Mann, so gewinn ich nie“: Der 13‰jährige Boris Becker (Balthazar Zeibig) stürmt enttäuscht vom Platz, begleitet von Papa Karl‰Heinz (Thomas Huber).
Fotos: Thomas Obermeier (4), Wilfried Witters (2) „Scheiße, Mann, so gewinn ich nie“: Der 13‰jährige Boris Becker (Balthazar Zeibig) stürmt enttäuscht vom Platz, begleitet von Papa Karl‰Heinz (Thomas Huber).
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Die Rolle des jugendlich­en Boris Becker (rechts im Jahr 1985), der zum Sensations‰ sieger von Wimbledon heranreift, spielt Bruno Alexander.
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Die Filmcrew hat dem Club‰Restaurant einen neuen alten Anstrich in hellbraun ver‰ passt, viel dunkles Holz verbaut und Lampenschi­rme mit Häkeldeko aufgehängt.
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Original und Darsteller: Trainer Günther Bosch (oben) und Samuel Finzi.
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