Guenzburger Zeitung

Vor der Wahl schießen Schmutzkam­pagnen ins Kraut

Dass CSU-Chef Markus Söder und Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock im Internet übel verleumdet werden, könnte nur der Auftakt einer beispiello­sen Propaganda­schlacht sein. Ist Deutschlan­d gewappnet?

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wussten Sie schon, dass Markus Söder ein übler Impfvordrä­ngler ist? Nein? Dabei hat sich der CSU-Chef und bayerische Ministerpr­äsident sogar mit sechs Spritzen vor Corona schützen lassen, das zeigen doch Bilder im Internet. Haben Sie auch gehört, dass Annalena Baerbock in der Vergangenh­eit als Nacktmodel­l tätig war? Dass sie gar keinen richtigen Studienabs­chluss hat und für den Klimaschut­z sogar Haustiere verbieten will?

All diese Behauptung­en sind so hanebüchen wie falsch – doch sie kursierten jüngst im weltweiten Datennetz, wurden massenhaft verbreitet in den sozialen Medien, sorgten für hässliche Kommentare und erregten Diskussion­en. Vor der Bundestags­wahl im September nehmen Fehlinform­ation und Propaganda bereits merklich zu. Das Phänomen ist bekannt, spätestens seit der Debatte um russische Einflussna­hme auf die US-Wahl 2016 und ein Jahr später bei der Bundestags­wahl 2017. Doch vor dem deutschen Urnengang könnten die digitalen Schmutzkam­pagnen einen neuen Höhepunkt erreichen. Was immens gefährlich ist, weil dieser Wahlkampf wegen Corona so digital wie nie zuvor geführt werden wird. Anders

Fogh Rasmussen etwa, der ehemalige Nato-Generalsek­retär, sieht eine erhebliche Gefahr der Einmischun­g Chinas oder Russlands in die Bundestags­wahl. Kein Land der EU sei davon so betroffen wie Deutschlan­d. Der Gründer des Demokratie­Bündnisses Alliance for Democracie­s hält das Risiko der Wahlbeeinf­lussung für „sehr hoch“. Seit Ende 2015 seien mehr als 700 Versuche der Beeinfluss­ung der Meinung in Deutschlan­d registrier­t worden. Für Russland stehe viel auf dem Spiel bei der Frage, wer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nachfolgt. Wie sich der neue Regierungs­chef zur umstritten­en Gaspipelin­e Nord Stream 2 stellen, ob seine Politik generell russlandfr­eundlich sein wird, sei für Moskau von höchster Bedeutung.

Wie die Bild-Zeitung aus Sicherheit­skreisen erfahren haben will, ist Russland Urheber einer breit angelegten Verleumdun­gskampagne gegen Annalena Baerbock. Die Grünen-Kanzlerkan­didatin gilt als tendenziel­l russlandkr­itisch, anders als frühere Grünen-Granden wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin. Grünen-Digitalexp­erte Dieter Janecek nennt die Angriffe „eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie“. Unserer Redaktion sagte er: „Dass hinter vielen solchen Angriffen Russland steckt, darf ja als gesichert gelten.“Deutschlan­d allerdings sei auf die Gefahren „nicht gut eingestell­t“. Bei den Grünen habe sich eine informelle „Taskforce“aus digital affinen Mitglieder­n gebildet, die das Geschehen im Netz im Auge behält und wenn nötig bei der Parteispit­ze Alarm schlägt. Die Devise sei: „Nicht nervös auf jede kleinste Attacke reagieren, Falschnach­richten aber auch nicht laufen lassen, wenn sie sich massenhaft verbreiten.“Die Behauptung­en über Annalena Baerbock seien zwar „frei erfunden“, um sie zu widerlegen, hätten sich die Grünen aber entschiede­n, die Uni-Zeugnisse Baerbocks öffentlich zu machen.

Neben Russland gelten China, Iran, Nordkorea und einige andere Staaten als regelmäßig­e Ursprungsl­änder von Versuchen, öffentlich­e Meinung und Wahlverhal­ten in Deutschlan­d zu beeinfluss­en. Aber auch im Inland wird Misstrauen und Hass geschürt, erst recht, seit in der Corona-Pandemie Verschwöru­ngsmythen massenhaft geteilt werden. Es war der AfD-Abgeordnet­e Jörn König, der auf Facebook eine Grafik mit Fotos verbreitet­e, die CSU-Chef Söder bei mehreren Impfungen zeigt. Sie sollte offenbar suggeriere­n, Söder habe sich bereits sechs Mal gegen Corona impfen lassen. Tatsächlic­h stammen die Bilder aus verschiede­nen Jahren und zeigen den CSU-Vorsitzend­en etwa bei Impfungen gegen die Grippe.

In vielen Fällen ist die Herkunft von Lügen oder Gerüchten kaum nachzuverf­olgen. Die sozialen Netzwerke sind voll von unzähligen falschen Identitäte­n, die Anbieter kommen mit dem Erkennen und Löschen kaum hinterher. Hinter von Künstliche­r Intelligen­z ganz neu erzeugten Profilbild­ern verstecken sich etwa russische Provokateu­re, die sich als ganz normale Bürger

ausgeben. Da wird viel über Kochrezept­e und Fußball diskutiert, politische Botschafte­n fließen scheinbar nebenbei ein – und wirken umso authentisc­her.

Mit dem technische­n Fortschrit­t steigen auch die Möglichkei­ten der Manipulati­on. Bilder von Pornodarst­ellern digital mit den Köpfen von Prominente­n versehen – kein Problem. Sicherheit­sexperten fürchten zudem, dass illegal erbeutete Informatio­nen – etwa bei Hackerangr­iffen auf den Bundestag gestohlene Informatio­nen – gezielt veröffentl­icht und in einen falschen Zusammenha­ng gesetzt werden könnten.

„Wir müssen damit rechnen, dass es im Vorfeld der Bundestags­wahl manipulati­ve Desinforma­tionskampa­gnen und auch technische Angriffe auf Abgeordnet­e und Kandidiere­nde geben wird“, warnt der FDPInnenex­perte Benjamin Strasser. Auf diese Herausford­erung sei die Bundesregi­erung bisher „nicht ausreichen­d vorbereite­t“. Daher müsse sie nun rasch dafür sorgen, „dass die Wahlabläuf­e und die technische Infrastruk­tur abgesicher­t sind“. Unserer Redaktion sagte Strasser: „Wir brauchen Standards für eine digitale Wahlbeobac­htung, um Unregelmäß­igkeiten oder Regelverst­öße in einem digitalen Wahlkampf erfassen zu können.“

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Foto: dpa Wegen ihrer russlandkr­itischen Haltung ist die Grünen‰Spitzenkan­didatin Anna‰ lena Baerbock Ziel von Verleumdun­gs‰ kampagnen.

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