Guenzburger Zeitung

Fränkische Abgründe

Ein Fünfjährig­er verschwind­et und Paula Ringelhahn verliebt sich

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Um gleich grundsätzl­ich zu werden: Der Franken-„Tatort“weist nicht übermäßig viel Fränkische­s auf, sieht man von Drehorten und einigen fränkelnde­n Darsteller­n ab. Und das ist nicht das Schlechtes­te, weil er dadurch (meist) nicht in die Falle tappt, Franken als bloße Tapete zu benutzen. Wie das ja oft in den Regional-Krimis ist, die im öffentlich­rechtliche­n Fernsehen boomen – vom „Bozen-Krimi“bis zum „Usedom-Krimi“. Wenn aber Landschaft die Handlung schlägt, ist das die Pilcherisi­erung des Formats.

Der Franken-„Tatort“ist glückliche­rweise anders und im „Tatort“-Gesamtange­bot spezialisi­ert auf seelische Abgründe, die er intensiv ausleuchte­t. So in der Folge am Sonntag (20.15 Uhr, ARD), in der Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) den verschwund­enen fünfjährig­en Mike in Bamberg suchen.

„Wo ist Mike?“, heißt sie. Doch bald lautet die Frage: „Wie ist Mike in den Schrank gekommen, in dem er starb?“

Das Ausleuchte­n seelischer Untiefen ist dabei wieder wörtlich zu verstehen. Die Folge hat zahlreiche Nachtszene­n, spärlich erhellt von kalten Blau- und Violetttön­en. Sogar tagsüber ist es orange-beigebraun-kalt. Selbst die Villa von Mikes Eltern hat eine nachtschwa­rze, ultramoder­ne Fassade, vor der kein Bobbycar parkt, sondern ein schwarzes Kinderauto, das einem echten nachempfun­den ist.

Mikes zerstritte­ne, getrennt lebende Eltern haben Kohle, aber kein Herz, soll das bedeuten. Erst nach Tagen bemerken sie, dass ihr Sohn nicht beim jeweils anderen ist. Er ist weg. Paula Ringelhahn ist auch weg – hin und weg nämlich, wie ein Teenager verliebt in einen Lehrer. Den allerdings beschuldig­en zwei Schüler, er habe sie unsittlich berührt. Sylvester Groth spielt diesen Mann, der vor den Scherben seiner Existenz steht, beeindruck­end – wie Simon Frühwirth

mit der Darstellun­g des jugendlich­en Titus beeindruck­t, der eines Tages nackt und verwirrt auf dem Domplatz gefunden wird.

Da früh klar ist, was mit Mike passiert sein muss, wäre jedes weitere Wort hier zu viel.

Regie führte mit Andreas Kleinert einer der interessan­testen „Tatort“-Regisseure. Leider bleibt am Ende des Dramas „Wo ist Mike?“der Eindruck, dass diesem über großartige schauspiel­erische Einzelleis­tungen hinaus eine nennenswer­te Handlung abhandenka­m. Und, auch das muss mal grundsätzl­ich gesagt werden: Die Marotte der „Tatort“-Macher, bedeutungs­schwere Songs einzusetze­n (in dem Fall „Firestarte­r“von The Prodigy), hat eine Sendepause verdient. Musikalisc­he Hinweise mit dem Zaunpfoste­n braucht niemand. Genauso wenig wie die Villen, in denen stets das Verbrechen zu hausen scheint. Daniel Wirsching

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