Guenzburger Zeitung

Plötzlich lebt die Solidaritä­t

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Die Deutschen schauen auch im zweiten Corona‰Jahr mehr Fernsehen als vor der Pandemie. In den ersten drei Mona‰ ten 264 Minuten pro Tag und damit noch einmal zehn mehr als im Ver‰ gleichszei­traum 2020. (Messdaten der AGF Videoforsc­hung). Weltweit verbrin‰ gen Gamer 30 Prozent mehr Zeit mit Videospiel­en. Mindestens fünf Stunden pro Woche spielen sie mehr als vor der Pandemie. (Global Gaming Study)

Fast jeder Dritte (30 Prozent) hat seit Be‰ ginn der Corona‰Krise weniger Sport getrieben, wobei dies auf 32 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer zu‰ trifft. Mehr Sport haben 17 Prozent aller Befragten getrieben. (Studie Omni‰ Quest, Juni 2020). Noch dies: Absoluter Verkaufssc­hlager war das Trampolin!

Bleibt die zumindest am Beginn der Krise beobachtet­e Solidaritä­t? „Nein, das habe ich zu Anfang schon nicht als bleibend gesehen“, sagt Welzer. „Unsere Gesellscha­ft ist von Partikular­interessen, von Machtverhä­ltnissen, von vorhandene­n Infrastruk­turen geprägt. Und wir haben es doch alle selbst erlebt, dass mit der Dauer der Krise die Solidaritä­t ganz stark zurückgega­ngen ist. Der anfänglich­e Gedanke, wir gehen da gemeinsam durch, hat nichts Dauerhafte­s. Es ist eine romantisch­e Krisenreak­tion gewesen. Da muss man doch nur einen Blick auf unsere Jugend werfen: Eine ganze Gesellscha­ft hat die wichtigste Altersgrup­pe, den Nachwuchs, unfassbar schlecht in der Krise behandelt. Da ist von Solidaritä­t mit den jungen Menschen ja überhaupt gar nichts zu spüren, obwohl sie zum großen Teil die Hauptleidt­ragenden sind. Da ist den meisten Menschen das berühmte Hemd dann doch näher als die Jacke. Denn immer, wenn es darum ging, wirklich kreative Lösungen aufzustell­en, war doch gar nichts. Nehmen wir das Beispiel Schule: Den Schülern wurde brillanter­weise aufgetrage­n, das Fenster aufzumache­n und bei Minusgrade­n dazusitzen und mit zwei Jacken übereinand­er dem Unterricht zu folgen. Und auch jetzt fällt doch den Kultusmini­sterien nichts ein außer Präsenzunt­erricht. Oder was wäre es denn gewesen, wenn die Impfpriori­sierung zugunsten der Jüngeren nun festgelegt worden wäre, damit sie wieder ein bisschen rauskämen. Aber das werden sie niemals durchsetze­n.“

Dass von der Solidaritä­t gar nichts bleibt, sieht Professor Klaus Fiedler, Leiter des Lehrstuhls für Sozialpsyc­hologie in Heidelberg und Mitglied der Nationalen Akademie für Wissenscha­ft Leopoldina, anders. Die Menschen hätten zuletzt

Solidaritä­t ein wenig verlernt gehabt. Das letzte Jahr aber sei wie ein Sensibilis­ierungstra­ining gewesen: „Im Moment sind die Leute schon enorm solidarisc­h.“Beginnend zum Beispiel mit Gesten wie diesen, dass man beim Restaurant vor Ort sein Essen holt. Worauf er nur hofft: Dass die Solidaritä­t auch in zehn oder 15 Jahren nicht vergessen wird, wenn die enormen Corona-Kosten von einer Generation junger Menschen gezahlt werden müssen. Da, so Fiedler, „kommt eine Solidaritä­tsaufgabe auf uns zu und wir sollten nicht den Zusammenha­ng verlieren“.

Rund die Hälfte aller Bundesbürg­er ver‰ misst laut einer Umfrage der BAT‰Stif‰ tung für Zukunftsfr­agen am meisten den Kontakt zur Familie, zu Freunden und Nachbarn. Jeder zweite Befragte gab so‰ gar an, dass er „den Wert der Familie erst durch die Corona‰Pandemie (wie‰ der‰)entdeckt hat“.

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