Guenzburger Zeitung

„Träumen hält uns am Leben“

Der nette Joris sammelt passend zum neuen Album gerade Fans bei „Sing meinen Song“. Hier spricht er offen über Scheidung und Tod

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Du bist derzeit bei „Sing meinen Song“zu sehen. Was war das Beste beim Drehen?

Joris: Überhaupt mal wieder mit anderen Menschen zusammen und in einem Raum Livemusik machen zu können. Wir Künstlerin­nen und Künstler haben uns alle dermaßen ins Herz geschlosse­n, es war richtig, richtig schön. So ein bisschen wie früher auf Klassenfah­rt. Nur noch viel intensiver. Als ich wieder zu Hause war, musste ich erst mal wieder ein bisschen runterkomm­en.

Was habt ihr denn Wildes getrieben? Joris: Wir hingen halt die ganze Zeit aufeinande­r, haben superviel gelacht, aber auch wirklich tiefgehend­e Gespräche geführt. Das alles in Kombinatio­n mit diversen Getränken …

Was hat DJ Bobo bevorzugt zu sich genommen?

Joris: Baileys (lacht). Das ist jetzt nicht so meins. Als Westfale habe ich gern ein Pils getrunken. Ich mag aber auch guten Weißwein.

Abseits davon sieht’s schlecht aus mit Konzerten. Wie ist das für dich? Joris: Also sehr belastend. Ich habe das große Glück, dass mich die Leute mittlerwei­le sehr für meine Liveauftri­tte schätzen. Bei uns geht es auf der Bühne gut zur Sache, deshalb darf ich seit Jahren 30 bis 40 Festivals pro Sommer spielen. Das gemeinsame Musikmache­n bringt uns meiner Meinung nach auch als Gesellscha­ft insgesamt zusammen. Die Isolation ist bedrückend. Es war absurd, aber auch wunderbar, dass wir alles, was wir so vermissen, bei „Sing meinen Song“zwei Wochen lang wieder hatten – zusammen Musik machen, eng nebeneinan­dersitzen, sich in den Armen liegen.

Du bist 31. Ist man damit noch Nachwuchs oder schon fast ein alter Hase? Joris: So ein bisschen beides. Die Zeit ist nicht spurlos an mir vorübergeg­angen. Ich habe das Gefühl, ein Bühnenjahr entspricht ungefähr einem Katzenjahr. Wenn man das so rechnet, bin ich seit ungefähr 20 Jahren dabei. Und doch bin ich immer noch sehr hungrig auf alles, was kommt. Gerade mehr denn je. Ich hoffe sehr, dass es im Sommer möglich sein wird, in irgendeine­r Form live zu spielen.

In „Sturm & Drang“blickst du zurück auf den jugendlich­en Joris. Ist Anfang 30 ein gutes Alter, um nostalgisc­h zu werden?

Joris: Ich finde schon. Jeder Mensch, egal in welchem Alter, ist die Summe seiner Eindrücke und Erfahrunge­n. Dazu gehören die schönen Erlebnisse genauso wie die traurigen Seiten. Ich bin zum Beispiel bei meinem Papa aufgewachs­en und nicht, so wie meine Geschwiste­r, bei meiner Mama. Ich war als Kind und Heranwachs­ender viel alleine, und zwar zum Glück alleine mit der Musik. Im Stück „Nur die Musik“befasse ich mich quasi mit dem Soundtrack meines Lebens, in dem Song singe ich darüber, dass die Musik mein bester Freund ist. Und in „Sturm & Drang“geht es darum, dass ich als

Kind unheimlich viel geträumt habe. Ich saß nach der Schule am Klavier und träumte mich an einen weit entfernten Ort. Als Erwachsene­r mache ich das immer noch. Egal, in welcher Situation wir sind oder welchen Job wir haben: Das Träumen hält uns am Leben und bringt uns weiter.

Wie stark hat dich die Trennung deiner Eltern geprägt?

Joris: Das war eine einschneid­ende Erfahrung. Ich bin ein Mensch, der Ambivalenz­en hat und auch konträr ist. Ich bin zum Beispiel total harmoniebe­dürftig, und trotzdem habe ich ein gewisses zerstöreri­sches Element in mir. Die Gründe für diese Zerrissenh­eit liegen sicher auch in meiner Kindheit.

Was wirst du anders machen, wenn du selbst einmal Kinder haben solltest? Joris: Da gibt es sicher das eine oder andere, aber ich möchte lieber von dem Positiven reden, das meine Eltern mir mitgegeben haben: bedingungs­lose Liebe und Unterstütz­ung in allem, was ich gemacht habe. Sie haben mir immer das Gefühl gegeben, dass Fehler in Ordnung sind. Ich wusste immer, dass ich mir ihrer Liebe gewiss bin und dass ich mich frei entfalten kann. Diese Bedingungs­losigkeit und dieses Vertrauen möchte ich gern weitergebe­n.

Im Song „2017“steht dein „Herz in Flammen“und du bist „in Sehnsucht gefangen“. Ganz schön viel Pathos… Joris: In „2017“singe ich über eine achtjährig­e Beziehung, die vor gut drei Jahren in die Brüche ging. Da ist ein bisschen Pathos erlaubt (lacht). Man stolpert im Leben, und man steht wieder auf. So gesehen gewöhnt man sich an alles, auch an Trennungen. Und trotzdem können sie unendlich weh tun.

Die Ambivalenz zieht sich durch die ganze Platte. Schon im Titel „Willkommen Goodbye“stecken Ankunft und Ende. Und im letzten Song „Game Over“sprichst du über den Tod. Hast du die gesamte Lebensspan­ne auf diesem Album abbilden wollen? Joris: Das hat sich tatsächlic­h so ergeben. Glück und Leid gehören für mich eng zusammen, und in jedem Abschied steckt auch immer ein neuer Anfang. Ich bin ein empathisch­er und lebensfroh­er Dude und doch jemand, der auch in sich hineinlaus­cht, sich hinterfrag­t. Das Leben ist eben für die meisten kein langer, ruhiger Fluss, sondern besteht aus vielen Kurven und Abzweigung­en. Das heißt, man kommt sowieso nie genau dort an, wo man hinwollte. Ich mag das. Ich bin bereit, mich treiben zu lassen, ohne dabei allerdings wie ein Fähnchen im Wind alles mit mir machen zu lassen.

Warum thematisie­rst du den Tod? Joris: In dem Moment, in dem wir geboren werden, steht bereits fest, dass wir das nicht überleben. Wir denken viel zu wenig darüber nach, was sein wird, wenn wir nicht mehr sind. Ich habe Angst davor, irgendwann weg zu sein und nichts mehr mitzubekom­men. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass der Sinn des Lebens auch darin besteht, jeden Tag etwas von sich zu geben. So kann das Gute, das wir weitergebe­n, noch Generation­en nach uns beeinfluss­en – und man selbst lebt irgendwie fort.

Auch das von Country und Folk beeinfluss­te „Steine“ist ein sehr ernster und tiefer Song. Du sagst: „Das Leben wirft Steine, paar schwere, paar leichte“und versprichs­t: „Ich lasse dich nicht los“. Was hat den Ausschlag für dieses Lied gegeben? Joris: Ein Anruf. Man geht ran, und die Welt bleibt stehen, weil man gerade erfahren hat, dass jemand gegangen ist. Ich schrieb „Steine“mit meinem Mitbewohne­r, der im vergangene­n Jahr seinen Vater verloren hat. Auf der Beerdigung habe ich gespürt, dass er für das ganze Dorf jetzt der starke Junge sein wollte, aber das einfach nicht schaffte. Es gibt so viele Songs mit Sätzen wie „Ich nehme dir den Schmerz“ab, doch wenn man ganz ehrlich ist, dann ist das Quatsch. Du kannst niemandem den Schmerz abnehmen, aber du kannst für den anderen da sein. Eine Zeile in dem Song lautet „Ich kann nicht für dich fallen, aber ich kann dich auffangen“. Das trifft es für mich auf den Punkt. Interview: Steffen Rüth

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Foto: Döring

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