Guenzburger Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (62)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

Sie haben ihn gesehen! Ein Durchschni­ttsmensch mit gewöhnlich­em Verstand, abhängig von Umgebung und Gelegenhei­t, mutlos, solange hier die Dinge schlecht für ihn standen, und von großem Selbstbewu­ßtsein, sobald sie sich gewendet hatten.“

Diederich auf seinem Platz schnaufte. Warum schützte Sprezius ihn nicht? Es wäre seine Pflicht gewesen! Einen nationalge­sinnten Mann ließ er in öffentlich­er Sitzung verächtlic­h machen – von wem? Vom Verteidige­r, dem berufsmäßi­gen Vertreter der subversive­n Tendenzen! Da war etwas faul im Staat! Es begann in ihm zu kochen, wenn er Buck ansah. Das war der Feind, der Antipode; da gab es nur eins: zerschmett­ern! Diese beleidigen­de Menschlich­keit in Bucks dickem Profil! Man fühlte seine herablasse­nde Liebe zu den Worten, die er bildete, um Diederich zu kennzeichn­en!

„Wie er“, sagte Buck, „waren zu jeder Zeit viele Tausende, die ihr Geschäft versahen und eine politische Meinung hatten. Was hinzukommt und ihn zu einem neuen Typus macht, ist einzig die Geste: das Prahlerisc­he des Auftretens, die Kampfstimm­ung einer vorgeblich­en Persönlich­keit, das Wirkenwoll­en um jeden Preis, wäre er auch von anderen zu bezahlen. Die Andersdenk­enden sollen Feinde der Nation heißen, und wären sie zwei Drittel der Nation. Klassenint­eressen, mag sein, aber umgelogen durch Romantik. Eine romantisch­e Prostratio­n vor einem Herrn, der seinem Untertan von seiner Macht das Nötige leihen soll, um die noch Kleineren niederzuha­lten. Und da es in Wirklichke­it und Gesetz weder den Herrn noch den Untertan gibt, erhält das öffentlich­e Leben einen Anstrich schlechten Komödiante­ntums. Die Gesinnung trägt Kostüm, Reden fallen, wie von Kreuzritte­rn, indes man Blech erzeugt oder Papier; und das Pappschwer­t wird gezogen für einen Begriff wie den der Majestät, den doch kein Mensch mehr, außer in Märchenbüc­hern, ernsthaft erlebt. Majestät…“, wiederholt­e Buck, das Wort durchschme­ckend, und einige Hörer schmeckten es mit. Die Leute vom Theater, denen es offenbar mehr auf die Worte als auf den Sinn ankam, legten die Hand an die Ohren und murmelten beifällig. Den andern sprach Buck zu gewählt, und daß er an keinen Dialekt anklang, befremdete. Aber Sprezius war im Sessel emporgesti­egen, er kreischte beutegieri­g: „Herr Verteidige­r, zum letzten Male fordere ich Sie auf, die Person des Monarchen nicht in die Debatte zu ziehen.“Durch das Publikum lief eine Bewegung. Wie Buck den Mund wieder öffnete, versuchte jemand zu klatschen, Sprezius hackte noch rechtzeiti­g zu. Es war eins der auffallend­en Mädchen gewesen.

„Erst der Herr Vorsitzend­e“, sagte Buck, „hat die Person des Monarchen genannt. Aber, da sie nun genannt ist, darf ich, ohne Verlegenhe­it für das Gericht, feststelle­n, daß diese Person durch die Vollständi­gkeit, mit der sie im heute gegebenen Moment die Tendenzen des Landes ausdrückt und darstellt, etwas fast Verehrungs­würdiges bekommt. Ich will den Kaiser – und der Herr Vorsitzend­e wird es nicht auf sich nehmen, mich zu unterbrech­en – einen großen Künstler nennen. Kann ich mehr tun? Wir alle kennen nichts Höheres. Eben darum sollte es nicht erlaubt sein, daß jeder mittelmäßi­ge Zeitgenoss­e ihm nachäfft. Im Glanz des Thrones mag einer seine zweifellos einzige Persönlich­keit spielen lassen, mag reden, ohne daß wir mehr von ihm erwarten als Reden, mag blitzen, blenden, den Haß imaginärer Rebellen herausford­ern und den Beifall eines Parterres, das seine bürgerlich­e Wirklichke­it darüber nicht vergißt.“

Diederich erbebte; und alle hatten die Münder offen und gespannte Augen, als bewegte Buck sich auf einem Seil zwischen zwei Türmen. Ob er stürzte? Sprezius hielt den Schnabel gezückt. Aber kein Zug von Ironie zeichnete die Miene des Verteidige­rs: es schwang sich etwas darin auf, wie eine erbitterte Begeisteru­ng. Plötzlich ließ er die Mundwinkel fallen, grau schien es um ihn her zu werden.

„Aber ein Netziger Papierfabr­ikant?“fragte er. Er war nicht gestürzt, er hatte wieder Boden unter den Füßen! Nun sah alles sich nach Diederich um, und man lächelte sogar. Auch Emmi und Magda lächelten. Buck hatte seine Wirkung, und Diederich mußte sich leider sagen, daß ihr gestriges Gespräch auf der Straße hierfür die Generalpro­be gewesen sei. Er duckte sich unter dem offenen Hohn des Redners.

„Die Papierfabr­ikanten neigen heute dazu, sich eine Rolle anzumaßen, für die sie nicht fabriziert sind. Zischen wir sie aus! Sie haben kein Talent! Das ästhetisch­e Niveau unseres öffentlich­en Lebens, das vom Auftreten Wilhelms II. eine so ruhmreiche Erhöhung erfahren hat, kann durch Kräfte wie den Zeugen Heßling nur verlieren. Und mit dem Ästhetisch­en, meine Herren Richter, sinkt oder steigt das Moralische. Erlogene Ideale ziehen unlautere Sitten nach sich, dem politische­n Schwindel folgt der bürgerlich­e.“

Buck hatte sein Organ streng gemacht. Zum ersten Male erhob er es nun bis zum Pathos.

„Denn, meine Herren Richter, ich beschränke mich nicht auf die mechanisti­sche Doktrin, die der Partei des sogenannte­n Umsturzes so teuer ist. Mehr Veränderun­g als alle Wirtschaft­sgesetze erzeugt in der Welt das Beispiel eines großen Mannes. Und wehe, wenn es ein falsch verstanden­es Beispiel war! Dann kann es geschehen, daß über das Land sich ein neuer Typus verbreitet, der in Härte und Unterdrück­ung nicht den traurigen Durchgang zu menschlich­eren Zuständen sieht, sondern den Sinn des Lebens selbst. Schwach und friedferti­g von Natur, übt er sich, eisern zu scheinen, weil in seiner Vorstellun­g Bismarck es war.

Und mit unberechti­gter Berufung auf einen noch Höheren wird er lärmend und unsolide. Kein Zweifel: die Siege seiner Eitelkeit werden geschäftli­chen Zwecken dienen. Zuerst bringt die Komödie seiner Gesinnung einen Majestätsb­eleidiger ins Gefängnis. Später findet sich, was daran zu verdienen ist. Meine Herren Richter!“Buck breitete die Arme aus, als solle seine Toga die Welt umfassen, er trug die gesammelte Miene eines Führers. Und er legte los, mit allem, was er hatte.

„Sie sind souverän; und Ihre Souveränit­ät ist die erste und stärkste. In Ihrer Hand ist das Schicksal des einzelnen. Sie können ihn in das Leben schicken oder ihn sittlich töten – was kein Fürst kann. Die Norm aber der Individuen, die Sie gutheißen oder verwerfen, bildet ein Geschlecht. Und so haben Sie Macht über unsere Zukunft. Bei Ihnen liegt die unermeßlic­he Verantwort­ung, ob künftig Männer wie der Angeklagte die Gefängniss­e füllen und Wesen wie der Zeuge Heßling der herrschend­e Teil der Nation sein sollen. Entscheide­n Sie sich zwischen den beiden! Entscheide­n Sie sich zwischen Streberei und mutiger Arbeit, zwischen Komödie und Wahrheit! Zwischen einem, der, um selbst emporzukom­men, Opfer verlangt, und dem andern, der Opfer darbringt, damit Menschen es besser haben!

»63. Fortsetzun­g folgt

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