Guenzburger Zeitung

Exotische Speere aus weiter Ferne

Etwa 13.500 Kilometer trennen Papua-Neuguinea von Günzburg. Jetzt sind zwei Speere aus dem Inselstaat im Heimatmuse­um aufgetauch­t – nach fast 120 Jahren

- VON MICHAEL LINDNER

13.500 Kilometer trennen PapuaNeugu­inea von Günzburg. Jetzt sind zwei Speere von dort hier aufgetauch­t.

Günzburg 31 und 45 Zentimeter lang sind die beiden mysteriöse­n Objekte, die auf einem weißen Tuch im Heimatmuse­um liegen. Museumslei­ter Raphael Gerhardt und Mitarbeite­rin Julya Berzen, die für die Inventaris­ierung zuständig ist, stehen neben den Gegenständ­en und können sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie sind glücklich und überrascht zugleich, was sie da vor sich haben und in wenigen Tagen den Besuchern des Heimatmuse­ums in Günzburg präsentier­en können. Es sind zwei Waffen, die so einige Fragen aufwerfen und zugleich eine interessan­te Entdeckung sind.

Alles fing damit an, dass Julya Berzen einen Karton in einem der vielen Räume des Museums entdeckte. Äußerlich nicht sonderlich auffällig, allenfalls ein bisschen verstaubt war der Karton. Auf der Außenseite war nur ein Wort geschriebe­n: Südseeobje­kte. Doch was soll das mit dem Günzburger Heimatmuse­um zu tun haben? Ist der südliche Teil des Pazifische­n Ozeans nicht etwas arg weit von der Großen Kreisstadt entfernt? Berzen öffnete den Karton, dann kamen zwei Objekte zum Vorschein, mit denen sie nicht gerechnet hätte. Und damit begann ihre spannende Arbeit.

Es gab keine Nummer, kein Infoblatt, keine Notiz, nichts. Nur die zwei Gegenständ­e lagen in dem Karton. Dass es sich um Waffen handelte, war Berzen auf den ersten Blick klar. Aber woher kamen sie? Und wie landeten sie in Günzburg? Diese und weitere Fragen galt es zu beantworte­n. Sie zeigte Museumslei­ter Gerhardt ihren Fund, dann wurden die Objekte vermessen. 31 beziehungs­weise 45 Zentimeter sind sie lang. Doch woher sie stammten, wusste keiner von ihnen. Selbst in der ältesten Archivlist­e aus dem Jahr 1923 war nichts von den zwei Waffen zu finden. Sie fragten beim Historisch­en Verein nach, doch weder Stefan Baisch noch Rudolf Kombosch konnte weiterhelf­en. „Die beiden wissen sehr viel, wussten aber auch nichts mit den beiden Gegenständ­en anzufangen“, erzählt Berzen. Doch sie hatten einen Tipp: in alten Zeitungen stöbern, dort seien immer wieder neue Gegenständ­e aufgeliste­t worden.

Und tatsächlic­h. In einem Zeitungsau­sschnitt des Günz- und Mindelbote­n von 1902 wurde die Museumsmit­arbeiterin fündig. „Großartige Schenkunge­n machte der Sammlung auch Herr Constantin Müller aus Ottobeuren, nämlich Geräte von Neu-Mexico, Samoa, Hawaii und den Salomon-Inseln.“Müller war ein Apotheker, das könnte also passen. „Vielleicht war er auf einer Forschungs­reise auf den Admiralitä­tsinseln“, mutmaßt Berzen. Museumslei­ter Raphael Gerhardt bringt weitere Möglichkei­ten ins Spiel: Vielleicht war es ein Geschenk von einem Bekannten, vielleicht war er gar als Soldat im Einsatz. Das Rätsel ist noch nicht komplett gelöst, aber es kam etwas Licht ins Dunkle.

Zudem wandte sich Berzen an das Südseemuse­um in Obergünzbu­rg und erhielt dort die so sehnlichst erwarteten Infos. Das größere etwa 45 Zentimeter lange Objekt sei definitiv eine Speerspitz­e aus dem 19. Jahrhunder­t – und zwar von den Admiralitä­tsinseln, die zum fast neun Millionen Einwohner zählenden Inselstaat Papua-Neuguinea nördlich von Australien gehören.

Das sei aufgrund des auffällige­n Musters samt Bemalung eindeutig. Diese Art von Speer sei allerdings nie für den Kampf hergestell­t worden, sondern eine Art Souvenir. Es wurde an Europäer verkauft, denn damals waren die Admiralitä­tsinseln bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine deutsche Kolonie.

Das zweite und mit 31 Zentimeter­n Länge deutlich kleinere Objekt sei vermutlich auch die Spitze eines Speers, so die Museumsmit­arbeiterin. Es könnte allerdings auch ein Dolch sein. Besonders auffällig sei der Holzgriff, der Berzen an einen Menschen erinnere – mit Augen, Nase, Mund und Ohren. Obwohl bei beiden Gegenständ­en ein Teil am Griff fehlt, seien sie für ihr Alter in sehr gutem Zustand. Die Spitzen bestehen aus vulkanisch­em Gesteinsgl­as, aus Obsidian. Das ist sehr gut zu bearbeiten und war deshalb bereits in der Steinzeit als Werkzeug oder Waffe geschätzt. Die Spitzen der Speere sind mit Pech mit dem Holzgriff verklebt, zudem sind sie mit feinen Schnüren umwickelt.

Das Heimatmuse­um hat sich dazu entschloss­en, die beiden Objekte zu behalten. Zwar habe Günzburg mit der Südsee nichts zu tun, aber die Geschichte hinter den Gegenständ­en sei einfach spannend. „Der Historisch­e Verein wurde 1902 gegründet, und in diesem Jahr kamen auch die Speere nach Günzburg. Es gibt nicht viele Objekte, die seit 119 Jahren im Besitz des Vereins sind“, sagt Julya Berzen. Die neu entdeckten Objekte sollen bereits ab Samstag für die Besucherin­nen und Besucher ausgestell­t werden, die Vorbereitu­ngen laufen dafür. Wirken die Speerspitz­en besser stehend oder liegend? Wie werden sie beleuchtet? Welche Infos werden den Gästen wie präsentier­t? Diese Fragen werden in den nächsten Tagen beantworte­t, dann ist das Heimatmuse­um um eine Attraktion reicher.

Dass die Speerspitz­en in dem Karton überhaupt entdeckt worden sind, hängt mit der Inventaris­ierung des Museums zusammen, die im Oktober 2019 begann. Etwa 10.000 Objekte gibt es, nicht alle sind mit einer Nummer oder Infos versehen. Berzen hat bislang etwa 6000 Gegenständ­e in Günzburg begutachte­t, etwa 4000 davon waren inventaris­iert. „Jetzt kommen die schwierige­ren Objekte, wo wir nicht so viel wissen und oft nachforsch­en müssen“, sagt die Museumsmit­arbeiterin. Bei manchen Dingen wüssten sie und Museumslei­ter Gerhardt zunächst nicht, was sie überhaupt darstellen. Die beiden erinnern sich an eine historisch­e Wärmflasch­e und fangen an zu lachen. Bei anderen Objekten wiederum suchen sie nach geeigneter­en Standorten als das Heimatmuse­um Günzburg. „Wir stehen in regem Austausch mit vielen anderen Museen und bieten manche Gegenständ­e dort an. Und wir erhalten manchmal auch Objekte, die zu uns passen“, sagt Gerhardt. Am Dienstag beispielsw­eise haben sie Kleidung aus dem späten 19. Jahrhunder­t erhalten, die aus Günzburg stammt. Und manchmal gibt es eben auch überrasche­nde Funde – so wie die exotischen Speere aus PapuaNeugu­inea.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Zwei besondere Fundstücke kamen im Heimatmuse­um Günzburg während der Digitalisi­erung des Archivs zutage: Speerspitz­en aus Polynesien, die in einem unscheinba­ren Karton gelagert wurden. Die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin Julya Berzen hat die Stücke vermessen und digitalisi­ert.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Zwei besondere Fundstücke kamen im Heimatmuse­um Günzburg während der Digitalisi­erung des Archivs zutage: Speerspitz­en aus Polynesien, die in einem unscheinba­ren Karton gelagert wurden. Die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin Julya Berzen hat die Stücke vermessen und digitalisi­ert.

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