Guenzburger Zeitung

Haftstrafe für Sturm aufs Kapitol

Gerichte stehen vor hunderten Verfahren

- VON KARL DOEMENS

Washington Der Mann im Verhandlun­gssaal des Washington­er Bezirksger­ichts wirkte zerknirsch­t und reumütig. „Wenn ich gewusst hätte, dass der Protest eskaliert, wäre ich nie weiter als bis zum Bürgerstei­g der Pennsylvan­ia Avenue gegangen“, versichert­e Paul Allard H., ein Kranführer aus Florida. Eine „dumme Entscheidu­ng“habe er an jenem 6. Januar getroffen, erklärte der 38-Jährige: „Ich habe meine Emotionen über meine Prinzipien gestellt.“Sein Anwalt beteuerte: „Paul ist ein verdienter Pfadfinder ohne Vorstrafen.“

Vor einem halben Jahr hatte der „Eagle Scout“freilich die Orientieru­ng verloren. Da war Paul Allard H., ausgerüste­t mit einer Schutzbril­le, einem Seil und Latex-Handschuhe­n, von seiner Heimatstad­t Tampa mit einem Bus 1500 Kilometer nach Washington gefahren. Als Ex-Präsident Donald Trump am 6.Januar seine Anhänger aufrief, „wie der Teufel“gegen die Zertifizie­rung des Wahlergebn­isses durch den Kongress zu kämpfen, stürmte der langhaarig­e Mann mit hunderten Gleichgesi­nnten das Kapitol und drang bis in den Senats-Plenarsaal vor. Ein Foto zeigt ihn dort vor dem Rednerpult mit Trump-T-Shirt und rot-weißer Trump-Fahne. „Die Symbolik dieser Aktion ist unmissvers­tändlich“, befand nun Richter Randolph Moss und verurteilt­e den 38-Jährigen zu einer achtmonati­gen Haftstrafe. In einem Deal mit der Staatsanwa­ltschaft, die im Gegenzug geringfügi­gere Anklagen fallen ließ, hatte sich H. selbst der Behinderun­g der Kongressar­beit für schuldig erklärt. Das ist in den USA eine schwere Straftat. Nun wandert der Mann aus Florida, der offenbar nicht an Gewalttate­n oder Vandalismu­s beteiligt war, als erster Teilnehmer des Kapitolsst­urms ins Gefängnis.

Nach Einschätzu­ng von Beobachter­n könnte das Urteil einen Präzedenzc­harakter für andere Verfahren wegen des blutigen Putschvers­uches haben, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, 140 Polizisten verletzt wurden und ein Sachschade­n von 1,5 Millionen Dollar entstand. Rund 540 Randaliere­r sind angeklagt. Während sich einige Verdächtig­e wegen Sachbeschä­digung, Hausfriede­nsbruch und anderer, vergleichs­weise kleinerer Vergehen verantwort­en müssen, werden mehr als hundert wie H. wegen der schwerwieg­enden Behinderun­g der Kongressar­beit belangt. Weiteren Aufrührern drohen Anklagen wegen Körperverl­etzung oder Totschlags.

Das Verteidigu­ngsmuster der Angeklagte­n ähnelt sich. Verantwort­lich für die Straftaten sind demnach wahlweise Trump, die Medien oder die Umstände. „Ich habe mich vom Augenblick mitreißen lassen“, erklärte Josiah C., ein Mann, der sich mit Helm und Knieschone­rn von der Galerie des Senats herabgehan­gelt hatte. Einige Aufrührer hatten in der Corona-Pandemie ihre Jobs verloren, viele rechtsextr­eme Verschwöru­ngslügen aufgesaugt. Mit „Trumpitis“und „Foxmania“(in Anspielung an den rechten TVSender) benannte ein Verteidige­r die vermeintli­chen Anstifter.

Der frühere Präsident jedoch denkt gar nicht daran, irgendeine Verantwort­ung zu übernehmen. Die Randaliere­r seien lediglich gekommen, „um Unterstütz­ung für mich zu zeigen“, wird er in einem neuen Buch („I alone can fix it“) zweier renommiert­er Korrespond­enten der Washington Post zitiert. In Trumps wirrer Parallelwe­lt wurden die Aufrührer zu ihren Taten von den Ordnungshü­tern geradezu angestifte­t: „In aller Fairness muss man sagen, dass die Kapitolspo­lizei sie hineingele­itet hat. Die Polizei war freundlich. Sie hat sie umarmt und geküsst“, behauptet er.

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