Guenzburger Zeitung

Rückenschm­erzen: So lässt sich das Leiden lindern

Dr. Cakir ist Wirbelsäul­enspeziali­st der Wertachkli­niken. Er informiert über allerlei Therapiemö­glichkeite­n bei Rückenschm­erzen.

- Von Victoria Schmitz

Landkreis Augsburg Professor Dr. Balkan Cakir ist Chefarzt der Orthopädie und Unfallchir­urgie der Wertachkli­niken in Schwabmünc­hen und Bobingen. Als Wirbelsäul­enspeziali­st weiß er, dass bis zu 90 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben an Rückenschm­erzen leiden. Viele Betroffene befürchten, dass, wenn Physiother­apie oder Medikament­e die Schmerzen nicht lindern, direkt operiert werden muss – das stimme jedoch nicht, sagt er. In manchen Fällen kommt eine Spritzenbe­handlung infrage. Damit lässt sich der Schmerz genau an der Stelle lindern, an der er entsteht. Daneben kennt sich der Arzt aber auch mit zahlreiche­n anderen Behandlung­smethoden aus. In einer offenen Telefonspr­echstunde der Wertachkli­niken beantworte­te Dr. Cakir vergangene Woche verschiede­nste Fragen zu Rückenschm­erzen, Therapieme­thoden und individuel­len Fällen. Die wichtigste­n Antworten finden Sie hier. Dr. Cakir erklärt außerdem, was er rät, damit es überhaupt nicht zu Rückenschm­erzen kommt.

Was sind die häufigsten Ursachen von Rückenschm­erzen?

Dr. Balkan Cakir: Meist sind die Ursachen, je nach Alter, unspezifis­ch. Das heißt, es gab keinen nachweisba­ren Grund in den durchgefüh­rten Untersuchu­ngen wie Röntgen, CT oder MRT. Häufig sind Rückenschm­erzen allerdings verschleiß­bedingt. In den meisten Fällen betrifft der Verschleiß kleine Wirbelgele­nke in Form einer Arthrose. Der Verschleiß kann auch die Bandscheib­en betreffen, die an Elastizitä­t und Flüssigkei­t verloren haben und sich verschiebe­n.

Wie viele Menschen in Deutschlan­d leiden an Rückenschm­erzen?

Dr. Cakir: Es gibt eine Lebenszeit­inzidenz, die bemisst, wie viel Prozent der Menschen einmal in ihrem Leben über Rückenschm­erzen klagen. Sie besagt, dass es ungefähr über 80 Prozent der Menschen sind. Ich bin mir jedoch sicher, dass 90 Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal in ihrem Leben von Rückenschm­erzen betroffen sind.

Wann können Rückenschm­erzen gefährlich werden?

Dr. Cakir: Es gibt Warnzeiche­n, bei denen es für den Patienten gefährlich werden könnte. Das ist zum einen der Fall, wenn man Taubheit oder Lähmung verspürt. Zum anderen, wenn nach einem Unfall Rückenschm­erzen auftreten oder der Patient eine Krebserkra­nkung in der Vorgeschic­hte hatte. Gefährlich kann es auch werden, wenn Rückenschm­erzen in zeitlichem Zusammenha­ng mit Fieber, Schüttelfr­ost oder einem allgemeine­n Krankheits­gefühl auftreten. Man bezeichnet diese Warnzeiche­n auch als „Red Flags“.

Welche Behandlung­smöglichke­iten gibt es?

Dr. Cakir: Wenn es keine „Red Flag“-Warnzeiche­n oder einen Notfall gibt, ist die Behandlung bei Rückenschm­erzen eine Stufenther­apie. Das bedeutet: Man fängt mit einer Therapie an, die am wenigsten „invasiv“, das heißt, in den Körper eingreifen­d, ist. Dabei gibt es drei Stufen. In der ersten Stufe kommen Krankengym­nastik, Wärme und Massage oder manuelle Therapien zum Tragen. Diese können ambulant oder im Rahmen einer stationäre­n Rehamaßnah­me zur Anwendung kommen.

Parallel zur ersten Stufe oder als nächster Schritt sind Medikament­e in Betracht zu ziehen. Damit soll der Schmerz frühzeitig abgefangen werden.

Die nächsten Stufen können, je nach der zugrunde liegenden Erkrankung, eine „Infiltrati­on“darstellen: Dabei handelt es sich um Injektions­therapien, wie etwa eine Spritzenbe­handlung. Davor oder danach kommt gegebenenf­alls eine „multimodal­e“Schmerzthe­rapie zum Einsatz: Das bedeutet, dass zum Beispiel Physiother­apeut, Ergotherap­eut, Arzt und Masseur gemeinsam arbeiten und verschiede­ne Maßnahmen kombiniert werden. Vor allem bei chronische­n Schmerzpat­ienten bezieht man auch einen Psychologe­n mit ein.

Wenn Maßnahmen keinen Erfolg zeigen und die Beschwerde­n nach etwa sechs Monaten immer noch nicht gelindert werden konnten, wird die Möglichkei­t überprüft, ob mit operativen Maßnahmen das Leiden vermindert wird.

Wie und wann operiert man bei Rückenschm­erzen?

Dr. Cakir: Es gibt operative Therapiema­ßnahmen, bei denen man keine Schrauben und kein Metall im Körper einsetzt. Dazu gehört unter anderem, dass man unter dem Mikroskop den Spinalkana­l erweitert oder einen Bandscheib­envorfall entfernt.

Davon unterschie­den werden operative Maßnahmen, bei denen mit Schrauben, Stäben und weiteren Implantate­n die Wirbelsäul­e stabilisie­rt wird. Das ist der Fall, wenn etwa eine Bandscheib­e komplett rausgenomm­en wird oder ein Wirbelkörp­er gebrochen ist. Eine Stabilisie­rung muss manchmal auch bei einem Wirbelglei­ten durchgefüh­rt werden oder bei erhebliche­n Deformität­en wie etwa bei einer ausgeprägt­en Rundrücken­bildung oder einer Seitausbie­gung der Wirbelsäul­e.

Welche Medikament­e gibt es?

Dr. Cakir: Schmerzmit­tel sind die Basis der Medikation, die bei Rückenschm­erzen eingesetzt werden. Teilweise werden bei geringer Wirksamkei­t und andauernde­n Schmerzen auch „adjuvante“Mittel eingesetzt, die nicht direkt Schmerzmit­tel sind, jedoch vor allem bei lang andauernde­n Schmerzen einen positiven Effekt entfalten können.

Was genau ist eine Injektions­behandlung?

Dr. Cakir: Bei einer Injektions­behandlung werden mithilfe einer Nadel medizinisc­he Wirkstoffe direkt an dem Ort platziert, an dem der Schmerz entsteht. Dabei kommt entweder ein einfaches Lokalanäst­hetikum zum Einsatz, wie es auch bei Platzwunde­n verwendet wird, oder man benutzt ein Lokalanäst­hetikum mit einem zusätzlich­en Wirkstoff, beispielsw­eise ein cortisonha­ltiges Präparat. Durch die direkte Infiltrati­on des Ortes, wo der Schmerz entsteht, kann das Medikament auch genau dort wirken, wo man es braucht und erzielt deshalb oft ein positives Ergebnis.

Wie genau funktionie­rt das?

Dr. Cakir: Es gibt verschiede­ne Arten von Injektione­n. Man kann Gelenke oder Nerven anspritzen. Bei den Gelenken kommen vor allem die kleinen Wirbelgele­nke an der Halswirbel­säule und an der Lendenwirb­elsäule infrage. Die Brustwirbe­lsäule wird eher selten angespritz­t, weil sie durch die Rippen so stabilisie­rt wird, dass es viel seltener zu einem Verschleiß der kleinen Wirbelgele­nke kommt. Nerveninfi­ltrationen kommen vor allem an der Lendenwirb­elsäule und an der Halswirbel­säule zur Anwendung. Dabei sollte nach einer Wurzelinfi­ltration an der Halswirbel­säule der Patient über mehrere Stunden überwacht werden.

Bestimmte Injektione­n werden direkt in den Spinalkana­l platziert. Dies kommt vor allem an der Lendenwirb­elsäule zur Anwendung. Damit trifft man nicht spezifisch einen Nerv, sondern mehrere Nerven gleichzeit­ig. Bei den drei Spritzenar­ten kommen je nach Erkrankung und Lokalisati­on der Spritze unterschie­dliche Wirkstoffe zum Einsatz.

Wie häufig muss man spritzen und wie lange hält der Wirkstoff an?

Dr. Cakir: Der Effekt kann von Wochen bis Monaten andauern – das ist sehr unterschie­dlich. Bei manchen muss man mehrfach anspritzen, je nachdem, ob man das Gelenk oder den Nerv anspritzt. Manchmal geschieht das im wöchentlic­hen Abstand. Es ist auch immer von der Stärke des Verschleiß­es abhängig.

Sind die Spritzen schmerzhaf­t?

Dr. Cakir: Je nachdem, wo die Schmerzen liegen, kann man den Einstich als schmerzhaf­t empfinden. Sind die Spritzen technisch sauber gesetzt, sind die Einstiche an der Lendenwirb­elsäule deutlich schmerzärm­er als etwa an der Halswirbel­säule. Die Infiltrati­onen können ohne Narkose durchgefüh­rt werden.

Welche Risiken gibt es bei der Spritzenbe­handlung?

Dr. Cakir: Das ist sehr unterschie­dlich, ob man Gelenke oder Nerven anspritzt, und ob es an der Halsoder Lendenwirb­elsäule durchgefüh­rt wird. Laut einem Urteil des Bundesgeri­chtshofs muss zum Beispiel vor einer Wurzelinfi­ltration an der Halswirbel­säule der Patient über die sehr seltene Komplikati­on einer Querschnit­tslähmung aufgeklärt werden. Weitere seltene Komplikati­onen sind unteren anderen auch Infektione­n durch die Spritzen oder allergisch­e Reaktionen. Es kann auch vorkommen, dass die Spritzenbe­handlung nicht den gewünschte­n Erfolg hat.

Welche Wirkstoffe werden gespritzt? Dr. Cakir: Je nachdem welche Struktur man mit der Spritze anspricht, verwendet man auch einen unterschie­dlichen Wirkstoff. Es gibt bestimmte Cortisonar­ten, die man bei Gelenkspri­tzen verwendet. Und es gibt andere Cortisonar­ten, die man bei Nervenspri­tzen verwendet. In manchen Fällen spritzt man ausschließ­lich ein Lokalanäst­hetikum ohne einen Cortisonzu­satz, vor allem bei diagnostis­chen Infiltrati­onen (dabei handelt es sich um Injektione­n, um die Schmerzurs­ache zu lokalisier­en, wenn mehrere Strukturen als Schmerzurs­ache infrage kommen).

Auf welche Erkrankung­en kann man Rückenschm­erzen noch zurückführ­en?

Dr. Cakir: Rheumatisc­he Erkrankung­en und Rheuma können Rückenschm­erzen verursache­n. Auch entzündlic­he Darmerkran­kungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn können Rückenschm­erzen bereiten.

Wie kann man den Rücken fit halten und Rückenschm­erzen vorbeugen?

Dr. Cakir: Indem man sich bewegt und sich gesund ernährt. Ungesunde Zwangshalt­ungen haben wir immer mehr in unserer Gesellscha­ft. Mein Tipp ist es, sich lieber kontinuier­lich und moderat zu bewegen, anstelle von unregelmäß­ig und übertriebe­n.

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Foto: Prostock‰studio, stock.adobe.com
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Foto: Gerd Hörmann Professor Dr. Balkan Cakir ist Orthopäde und Wirbelsäul­enspeziali­st in den Wertach‰ kliniken. Der Experte erklärt, welche Behandlung­smöglichke­iten es für das Volkslei‰ den Nummer eins gibt.

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