Guenzburger Zeitung

Auf den Kanzler kommt es an

Debatte Wenn in einem der wohlhabend­sten Länder der Welt mehr über das Verzichten diskutiert wird als über das Erwirtscha­ften, ist daran nicht alleine Wladimir Putin schuld. Umso wichtiger wäre es, dass Olaf Scholz jetzt von seiner Richtlinie­nkompetenz Ge

- Von Rudi Wais

Das Brot für die Not – es ist schon gebacken. Mario Fritzen, ein Bäcker aus dem nordrhein-westfälisc­hen Kürten, verkauft in seinem Laden seit kurzem ein einfaches, helles Weißbrot mit etwas Mais, bei dessen Herstellun­g er auf teure Zutaten verzichtet. Mit einem Preis von 2,50 Euro für 750 Gramm ist das „Inflations­brot“, wie er seine neueste Schöpfung nennt, in kürzester Zeit zum Renner geworden.

Winfried Kretschman­n, BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident, spart ebenfalls – und zwar am Wasser. Man müsse nicht dauernd duschen, findet die graue Eminenz der Grünen. „Auch der Waschlappe­n ist eine brauchbare Erfindung.“Außerdem heize er nur ein Zimmer. Schließlic­h sei es gesünder, wenn im Haus nicht überall die gleiche Temperatur herrsche.

Inflations­brot, Waschlappe­n, kalte Wohnungen: Wenn in einem der wohlhabend­sten Länder der Welt mehr über das Verzichten diskutiert wird als über das Erwirtscha­ften, ist daran nicht alleine Wladimir Putin schuld. Dass die halbe Republik Angst vor einem Winter des Missvergnü­gens hat, liegt auch an der deutschen Politik, die nur allzu häufig wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange starrt. Die versucht, den Bürgerinne­n und Bürgern mit Zuschüssen und Steuerraba­tten etwas Luft zu verschaffe­n, damit aber nur die Symptome der Krise behandelt.

Warum, zum Beispiel, ist die Verlängeru­ng der Reaktorlau­fzeiten nicht längst beschlosse­n, obwohl selbst bei den Grünen die Einsicht wächst, dass es ganz ohne Atomstrom zunächst kaum gehen wird? Warum verkaufen wir Strom, den wir mit knappem Gas erzeugen, nach Frankreich, statt mit dem Gas die Speicher zu füllen? Wo bleibt das Gas aus Katar, das Robert Habeck sich bei seinem Besuch dort mit einem devoten Bückling erbeten hat? Warum ist das Fracking in Deutschlan­d ein politische­s Tabu, während wir gleichzeit­ig keine Skrupel haben, das angeblich so umweltschä­dliche Gesteinssc­hichten-Gas aus den Vereinigte­n Staaten zu importiere­n? Und nicht zuletzt: Was ist eigentlich mit der Führung, die man bei Olaf Scholz angeblich bekommt, wenn man sie bestellt? Ist Habeck nicht längst so etwas wie der heimliche Kanzler und als Grüner vielleicht gar nicht so unglücklic­h, wenn Energie aus fossilen Quellen immer teurer wird?

Ja, die Zeiten sind ernst, sie stellen die Politik vor ungeahnte Herausford­erungen – mit immer neuen Appellen, die Thermostat­e herunterzu­drehen, nach dem guten alten Waschlappe­n zu greifen oder den Gasbrenner durch eine Wärmepumpe zu ersetzen, wird es auf Dauer aber nicht getan sein. Die Deutschen sind, anders als die Franzosen mit ihren Gelbwesten, ein duldsames Volk, sie folgen ihren Regierunge­n bereitwill­iger als andere, aber auch ihr Gleichmut hat seine Grenzen. Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine bröckelt das Verständni­s für die Politik der Ampel-Koalition. Ehrbare Handwerker, die in einem Brief an Scholz die Rücknahme der Russland-Sanktionen fordern, Unternehme­r, die lieber das Gas in den Wohnungen drosseln wollen als in ihren Betrieben, demnächst womöglich Montagsdem­onstration­en wie einst in der DDR, angezettel­t von einer grotesken Koalition aus Linksparte­i und AfD: Die Sorge, dass die Bundesregi­erung die Probleme nicht in den Griff bekommt, wächst mit jeder Woche, die der Winter näher rückt. Bis weit in die Mittelschi­cht hinein fragen sich Menschen, was sie sich in Zukunft überhaupt noch leisten können und wann dieser Spuk denn endlich ein Ende hat.

Bisher haben sich die AmpelParte­ien

vor allem darauf konzentrie­rt, die Belastunge­n durch die hohen Energiepre­ise mit Steuergeld zu kompensier­en. Das gelingt ihnen aber nur in Teilen, weil Rentner oder Studenten überhaupt keinen Zuschuss erhalten – und es entbindet die Politik nicht von der Pflicht, über den Winter hinaus zu denken: Für eine Volkswirts­chaft wie die deutsche ist eine verlässlic­he und bezahlbare Energiever­sorgung konstituti­v, sie kann nicht nur darauf hoffen, dass die Sonne schon lange genug scheint und der Wind kräftig genug bläst.

Ein Bundeskanz­ler, der seine Richtlinie­nkompetenz wirklich ernst nimmt, würde seine Koalition daher auf eine Art Energiemor­atorium verpflicht­en: noch fünf Jahre Strom aus Kernkraft und Kohle, dazu ausreichen­d auf dem Weltmarkt zusammenge­kauftes Gas für Wohnen und Wirtschaft­en bei gleichzeit­igem Ausbau der Erneuerbar­en. Der politische Preis dafür könnte hoch sein und im Extremfall im Bruch der Koalition enden, wenn die Grünen diesen Weg der ökonomisch­en Vernunft nicht mitgehen wollen. Anderersei­ts hat Gerhard Schröder gezeigt, wie disziplini­erend es für ein Regierungs­bündnis sein kann, wenn der Kanzler die Vertrauens­frage stellt, sein mit Abstand schärfstes Schwert. Der Afghanista­n-Einsatz der Bundeswehr war für die pazifistis­chen Grünen vor gut 20 Jahren eine ähnlich hohe Hürde, wie es heute eine Verlängeru­ng der Reaktorlau­fzeiten wäre. Zugestimmt haben sie ihm doch, als Schröder sie dazu zwang, Farbe zu bekennen.

Auch damals ging es um Krieg und Frieden. Um existenzie­lle Fragen also, jenseits des üblichen Parteien-Klein-Kleins. Um Fragen, die ein Land zerreißen können, wenn eine Regierung nur auf Sicht fährt. Die Entscheidu­ng über den Weiterbetr­ieb der Kernkraftw­erke, zum Beispiel, hat die Ampel auf den Herbst vertagt, dafür will Habeck, der Großwesir des Verzichts, Ladenbesit­zer jetzt zwingen, ihre Türen tagsüber geschlosse­n zu halten und ihre Leuchtrekl­amen nachts auszuschal­ten – als ließe sich so ein Energienot­stand vermeiden. Fehlt nur noch, dass der Wirtschaft­sminister die Mehrwertst­euer für Waschlappe­n senkt und die deutschen Bäcker anweist, Inflations­brot für alle zu backen.

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Foto: dpa Im Wahlkampf versprach die SPD: Scholz packt das an.

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