Wenn sich ein Spieler plötzlich in Luft auflöst
Manchmal kann es sich lohnen, ein Fußballspiel nicht live im Stadion, sondern zu Hause von der Couch aus zu verfolgen. Vor allem in den kalten Wintermonaten in die Kuscheldecke eingemummelt, während bewundernswert hartgesottene Fans Schnee und Wind auf der Tribüne trotzen. Ein weiterer Vorteil der heimischen vier Wände: vor dem TV-Gerät lassen sich Fouls und Abseits angesichts der Nahaufnahmen und vielfältigen Wiederholungen in deutlich besserer Qualität konsumieren, als wenn das in die Jahre gekommene Auge vom dritten Oberrang aus das Gewackel auf den Großbildleinwänden identifizieren soll.
Trotzdem oder gerade deshalb dürfen sich Fernsehzuschauer und -zuschauerinnen nicht in Sicherheit wiegen und sich dem falschen Glauben hingeben, sie hätten die völlige Übersicht über das Spiel. Auch ihr Blick könnte getrübt sein. Das musste beispielsweise das verblüffte TV-Publikum in Spanien feststellen. Die Fußballfans verfolgten gerade die Partie zwischen dem FC Barcelona und Betis Sevilla, als Barça-Spieler Ronald Araujo nach einem Zweikampf plötzlich von der Bildfläche verschwand. Aufgelöst, verpufft, weggebeamt?
Nein, natürlich nicht. Des Rätsels Lösung? Er war gewissermaßen mit der digitalen Werbebande verschmolzen. Barcelonas Innenverteidiger Willian José hatte Araujo derart rüde zur Seite geschubst, dass dieser in der realen Welt über die Seitenlinie hinaus in die Werbebande geflogen war.
Für die Zuschauer im Stadion gut sichtbar, für die Menschen an den Fernsehbildschirmen zu Hause dagegen eine Szene zum Atem anhalten. Denn der Spieler löste sich im Moment des Zusammenpralls gewissermaßen in Luft auf. In Wirklichkeit wurde er aber nur von der digital eingespielten Werbebande überdeckt.
Um dieses Phänomen zu verstehen, hier ein kleiner technischer Exkurs: 2018 startete die digitale Werbebande in der englischen Premier League ihren Siegeszug. Mittlerweile ist sie auch in der Bundesliga etabliert. Unter dem Fachbegriff „Virtual Hybrid Digiboard System“werden die LED-Flächen rund um das Spielfeld mit Werbeeinblendungen bespielt.
So ist es möglich, die Botschaften speziell auf die zuschauende Klientel und ihre Landessprache zurechtzuschneiden – egal, welche Werbeschriftzüge die realen Banden im Stadion tragen. Wirbt dort analog beispielsweise der regionale Bäckerbetrieb, ist auf dem TVGerät stattdessen der Coca-ColaSchriftzug zu sehen.
Das Publikum zu Hause bemerkt davon so lange nichts, solange die Werbebande unberührt bleibt. Sobald jedoch die analoge und die digitale Welt kollidieren, kommt es zu verschwundenen Personen, Köpfen oder Gliedmaßen. Allerdings kein Grund, die Störungsstelle des TV-Senders anzurufen, wie das in Spanien beim Verschwinden von Ronald Araujo der Fall war. Schließlich hatte der Fußballer, nachdem er erfolgreich aus der Werbebande geklettert war, auch für das Fernsehpublikum wieder seine wahre Gestalt angenommen. (Bild: Monfort, dpa)