Verschwisterung von Musik und Malerei
Projizierte Bilder von Albertine Holler begleiten die Musik von Susanne Steinle (Sopran), Miku Nisimoto Neubert (Klavier) und dem Streichquartett Ponticello.
Richard Wagners Wesendock-Lieder zählen zweifellos zu den Gipfelleistungen der Liedkunst des 19. Jahrhunderts. Sie entstanden im Umkreis von Wagners Ringen um sein Liebesdrama „Tristan und Isolde“, das der Musikwelt ungeahnte neue harmonische Möglichkeiten erschloss. Eigenwillig ist Wagners Melodieführung, langatmig sind die Phrasen. Explosive Einsätze, Sprünge in große Höhen, extreme Abschattierungen fordern der Sängerin alles ab.
Wer hat die Kraft und Konzentration, die Stimmgewalt und Erfahrung, diese Lieder zu interpretieren? Im Landkreis Günzburg gibt es dafür eine einfache Antwort: Susanne Steinle kann das. Wohl absichtlich hatte die Burgauerin diese Musik mit ihrer starken Sogwirkung an das Ende des Konzertabends „Susanne Steinle und Freunde in der KapuzinerHalle“gestellt. Den Abend eröffnet hatte sie mit einem Gegenstück, der Komposition „Acht Lieder aus ‚letzte Blätter‘ von Hermann Glimm“.
Richard Strauss war, als er diese Poesie 1885 vertonte, noch eng an Wagner orientiert gewesen. Sehnsucht und unerfüllte Liebe ziehen sich wie ein roter Faden thematisch durch diese Lieder. Die ganze Palette vom stillen, in sich gekehrten Leiden bis zum Aufbrausenden und Vorwurfsvollen konnte Susanne Steinle hier ausreizen. Mal seufzend, leise und sanft ansetzend, dann wieder, zuweilen in harschen Wendungen, ins knallig Expressive sich steigernd, demonstrierte sie, dass ihre üppige Klangfarbe in allen Lagen zu Gebote steht. Sie habe dem Publikum viel zugemutet, meinte Kulturamtsleiter Stefan Siemons mit feiner Ironie am Ende des Konzerts. In der Tat, in diese Gipfelregionen der Musik zu steigen, das fordert auch dem Zuhörer einiges ab.
Gleichfalls Gipfelleistungen bot Miku Nishimoto Neubert, und zwar nicht nur als kongeniale Klavier-Begleiterin von Susanne Steinle. Die Japanerin, Honorarprofessorin an der Hochschule für Musik und Theater in München, interpretierte im ersten Konzertteil drei Walzer von Frederic Chopin, nach der Pause drei Preludes von Claude Debussy. Kein anderer hat wie Chopin den Walzer aus der
Sphäre der gehobenen Tanz- und Unterhaltungsmusik in die Region absoluter Musik katapultiert. Dem wehmütig Klagenden des cis-MollWalzers gewann Miku Nishimoto Neubert eine feine Grazie ab, im „Minutenwalzer“unterlegte sie der rasend sich drehenden Virtuosität eine gute Portion noblen Esprits. Kleine Charakterstudien schuf Claude Debussy, Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus. Seine Preludes sollen Eigenarten und Stimmungen von Figuren, Ereignissen und Landschaften fühlbar machen. „Feux d’artifice“(Feuerwerk) heißt eines der Preludes. Sein Name verspricht
viel, das Stück selbst übertrifft, gut ausgeführt, alle Erwartungen. Kaskaden von sprühenden Funkennebeln, aus denen einzelne Leuchtkörper grell herausbrachen, hervorgezaubert aus den 88 Tasten von Miku Nishimoto Neubert, machten Hören und Sehen vergehen.
Zu den Freunden von Susanne Steinle zählt auch das Streichquartett „Ponticello“aus Ulm. Dank seiner Hilfe konnten die Wesendonck-Lieder, von Wagner für Sopran und Klavierbegleitung vorgesehen, von Felix Mottl für eine Orchesterbegleitung bearbeitet, in Burgau in einer kammermusikalischen
Besetzung erklingen. Eine musikalische Rarität, Andante und Scherzo aus Anton Bruckners einzigem Streichquartett, spielte das Quartett klangschön und stilsicher, und es rundete mit seinem Betrag zu Mozarts Konzertarie für Klavier, Streicher und Sopran das abwechslungsreiche Programm des Konzertabends ab.
Musik und Malerei stehen in enger Beziehung zueinander. Das zeigt sich allein schon daran, dass wir für die Beschreibung von Musik gern Vokabeln aus dem Bereich der Malerei verwenden: helle und dunkle Töne, Koloraturen, Klangfarben und -schattierungen, Farbtöne
und Klangtupfer, strahlender und dumpfer Klang. Zu den Freunden von Susanne Steinle zählt nicht zuletzt die Malerin Albertine Holler. Fotografien ihrer ausdrucksstarken Gemälde wurden beim Konzertabend „Susanne Steinle und Freunde“auf die Wand oberhalb der Musizierenden projiziert, langsam sich bewegend, teilweise sich überlagernd. Die Effekte waren frappierend. So manches Gehörte erschloss sich intensiver beim Blick auf die Augen und Münder von Frauen, in den Farbund Formen-Dschungel einer hochgesteckten Frisur, in ein zerfließendes Gesicht.