Als der Wal noch vier Beine hatte
Heute leben große und kleine Wale in allen Weltmeeren. Vor knapp 50 Millionen Jahren hatten ihre Vorfahren noch vier Beine und lebten zeitweise an Land.
Stuttgart Die Vorfahren der Wale sahen noch ganz anders aus. Vor 50 Millionen Jahren hatten sie noch keine Flossen und tauchten auch nicht in den Tiefen der Meere. Einer dieser Urzeit-Wale wurde im Jahr 2011 in dem Land Peru in Südamerika ausgegraben. Er war vier Meter lang, hatte vier Beine und kleine Hufe. Mit seinem Schwanz konnte er wie ein Biber durchs Wasser paddeln. „Die Vorfahren der Wale jagten an Land und im Wasser. Sie lebten wahrscheinlich an den Küsten flacher Meere oder an den Ufern von Seen und Flüssen“, sagt Eli Amson. Er erforscht die Meerestiere der Urzeit und arbeitet am Naturkundemuseum in Stuttgart im Bundesland BadenWürttemberg.
Im Laufe der Zeit gingen die UrWale immer seltener an Land und wurden zu Meeresbewohnern. Dafür gebe es einen guten Grund, erklärt Eli Amson: „Zur Zeit der Dinosaurier lebten in den Ozeanen noch gefährliche Meeressaurier wie die Mosasaurier oder die Plesiosaurier. Sie starben vor 66 Millionen Jahren aus. In den Meeren war es weniger gefährlich.“Die Vorfahren der Wale fanden also schneller Beute und wurden selbst weniger gefressen.
Durch den Umzug ins Wasser veränderte sich ihr Aussehen. Die Hinterbeine wurden kleiner und der Körper länger. Die Vorderbeine entwickelten sich zu kräftigen Flossen. Auch in der Sahara-Wüste in Ägypten fanden Forschende die versteinerten Überreste eines Urzeit-Wales. Der hatte schon einen stromlinienförmigen Körper, Seitenflossen und eine Schwanzflosse. Die Hinterbeine sind noch gut zu erkennen. Zum Laufen waren sie aber zu klein und zu schwach. „Vor etwa 40 Millionen Jahren lebten sie nur noch im Wasser und gingen nicht mehr an Land. Es entwickelten sich außerdem immer mehr Arten. Bald gab es kleine und schon sehr große Wale“, sagt Eli Amson.
Die Ur-Wale eroberten alle Weltmeere. Deshalb finden Forschende
ihre versteinerten Überreste auf der ganzen Welt: in der afrikanischen Wüste ebenso wie in Peru, Indien und Pakistan. Auch in Deutschland fanden sich schon Wirbelknochen und Zähne von 35 Millionen Jahre alten Urzeit-Walen. Inzwischen gibt es 91 Walarten auf der Erde. An Landtiere erinnern sie nicht mehr. Selbst die kleinen Beinchen am Schwanz haben sie verloren. Um Spuren ihrer Vorfahren zu finden, muss man schon genauer hinsehen. Wale haben zum Beispiel noch Reste von Beckenknochen. Hand- und Fingerknochen sind in den Flossen zu erkennen.
Auch die nächsten Verwandten der Wale leben heute noch an Land und teils im Wasser. Forschende haben das Erbgut von Walen und vielen anderen Säugetieren untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Wale und Flusspferde besonders eng miteinander verwandt sind. Sie haben einen gemeinsamen Vorfahren, der vor etwa 55 Millionen Jahren lebte.
Übrigens: Wusstest du, dass ein Wal das schwerste Lebewesen der Welt ist? Blauwale wiegen bis zu 200 Tonnen. Doch der Forscher Eli Amson hat in dem Land Peru in Südamerika einen noch größeren und schwereren Urwal entdeckt. Dieses Ungetüm lebte vor 39 Millionen Jahren und soll bis zu 340 Tonnen gewogen haben. Das entspricht ungefähr dem Gewicht von zwei leeren Passagier-Flugzeugen. Passenderweise bekam der ausgestorbene Meeresbewohner den Namen Perucetus colossus. Das bedeutet so viel wie „kolossaler Wal aus Peru“. Er ist wahrscheinlich das schwerste Tier aller Zeiten, schwerer als jeder Dinosaurier. Den heutigen Walen ähnelte der Koloss kaum. Er hatte winzige Flossen, einen kleinen Kopf und einen 20 Meter langen Körper. An Land konnte er nicht leben. Wahrscheinlich paddelte das Tier in küstennahen Gewässern. Seine Knochen waren sehr schwer. Ein Wirbel wog mehr als ein erwachsener Mann. (Birk Grüling, dpa)