Was hinter diesem neuen Automaten steckt
Fremde, nicht zugestellte Päckchen bekommt man für 8,50 Euro jetzt auch im Kreis Günzburg. Wie der Überraschungs-Automat funktioniert und wer damit Geschäfte macht.
Eigentlich war er mit seiner Frau auf dem Rückweg von Günzburg nach Krumbach, doch dann hielt er noch kurz an der Aral-Tankstelle in Ichenhausen an. Tuncay, so stellt er sich vor, hat nämlich von einem „neuen Automaten“direkt an der B16 gehört und möchte ihn jetzt ausprobieren. Für 8,50 Euro gibt es hier Überraschungspakete, sogenannte „Secret Packs“aus dem Automaten. Es handelt sich um Päckchen, die entweder zurückgeschickt und nicht weiterverkauft oder von DHL, Hermes und Co. nicht zugestellt wurden, zum Beispiel wegen einer falsch angegebenen Adresse.
Zuerst schiebt Tuncay seinen Geldschein in den Automaten. Er überlegt noch kurz: „Was ist besser? Großes oder kleines Paket?“, entscheidet sich dann für ein mittelgroßes und tippt die gewünschte Regalnummer ein. Wenige Sekunden später rutschen zwei dünne, leichte Päckchen in den Schub. Sie sind originalverpackt in weißer Folie,
das Adressetikett ist geschwärzt. Der Krumbacher inspiziert seine Ausbeute: Eine Umhängetasche und ein rotes T-Shirt mit Comic-Motiven, „vielleicht was für meine Tochter“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Er macht schnell Platz, die Nächsten warten schon in der Schlange. Ob die beiden Dinge wirklich 8,50 Euro wert sind, weiß der Käufer nicht. Doch darum geht es bei diesem System auch gar nicht.
Jürgen und Tatjana Keuters heißen diejenigen, die im Dezember 2023 die Idee zu den Überraschungs-Automaten in Deutschland hatten. Die Familie kommt aus Niederrieden im Unterallgäu, dort steht der allererste „SecretPack-Automat“ihrer Firma, die „Bimaxta“heißt. „Es geht um den Reiz des Unbekannten und den Kick, nicht zu wissen, was im Paket ist“, erklärt Jürgen Keuters am Telefon. Der Preis von 8,50 Euro sei nicht etwa ein Durchschnittswert der Waren, die im Secret Pack stecken können – denn die kennen auch die Befüller der Automaten nicht. Er setzt sich aus dem „Einkaufspreis, einer kleinen Marge für uns und einer für den FranchiseNehmer vor Ort zusammen“, so der Unternehmer. Dass auch mal „Kruscht“herauskommt, wie später Beispiele in Ichenhausen zeigen, muss für den Kick in Kauf genommen werden. „Wir hatten aber auch schon nigelnagelneue NikeSchuhe im Wert von 180 Euro drin“, so Keuters.
Der Automat in Ichenhausen wurde erst am vergangenen Wochenende aufgestellt und schon jetzt ist er ein Renner. Es ist der vierte des Familienbetriebs, der erste im Kreis Günzburg. Schon bald soll Standort Nummer fünf kommen, der Betreiber verrät sogar wo: „Augsburg. Das wurde sehr oft gewünscht.“Auch Ulm sei häufig nachgefragt worden. Dass das Geschäft mit den Secret-Pack-Automaten „so rasant an Fahrt gewinnt“, hätten die Keuters nicht erwartet. „Teilweise fahren die Leute von Österreich oder Luxemburg her“, so der Unterallgäuer. Beworben hatten sie den ersten Automaten in Niederrieden über Kleinanzeigenportale und TikTok. Gerade auf den Plattformen TikTok und YouTube gibt es immer mehr Videos und Livestreams, in denen Nutzer ihre Secret Packs vor der Kamera auspacken, manche versteigern ihre Päckchen auch.
Das Geschäft mit den Retouren läuft prächtig – auch dank des Hypes im Internet. Schon vor der Automaten-Idee haben die Keuters nicht zugestellte oder zurückgeschickte Pakete, die sonst vernichtet werden, von Sammelstellen abgenommen und damit Leute beliefert, die diese im Internet versteigern. Den Einfall mit den Automaten hatte Tatjana Keuters schließlich. „Wir haben schon länger nach einem Geschäft gesucht, in das unsere Tochter mal einsteigen kann“, erklärt der Vater. Tochter Bibiana leidet an einem Gendefekt, deswegen kann sie wenig und nur schwer sprechen. Die Neunjährige hilft auch jetzt schon mit und soll trotz ihrer Einschränkungen später die Maschinen selbst bedienen können.
Noch vor ein paar Monaten haben die Keuters mehrmals pro Woche kleinere Mengen bestellt, inzwischen kaufen sie so viel Ware, dass diese jede Woche mit dem Lkw angeliefert werden muss. Wo genau die beiden die Retouren herbekommen und wie viel diese kosten, verraten sie nicht. Gelagert werden die Päckchen in ihrem Stadel im Unterallgäu.
Zurück in Ichenhausen: Nach nicht einmal einer halben Stunde ist der Automat halb leer geräumt. Inzwischen drängen sich einige Mädchen vor die Glasscheibe des Automaten. „Ich will das da“, ruft eine und schaut ihre Mama erwartungsvoll an. Die beiden Mütter kamen mit ihren Töchtern aus einem Waldstetter Ortsteil hergefahren. Gegenüber wollten sie noch ein anderes Paket abgeben, bevor sie insgesamt eine mittlere zweistellige Summe an Geldscheinen und Münzen in den Automaten stecken. Eine der beiden Frauen entscheidet sich für einen kleinen Umschlag mit Briefmarke, in der Hoffnung, „vielleicht etwas Schönes, Selbstgemachtes“zu bekommen. Beim Öffnen folgt die Ernüchterung: ein Ladekabel eines MacBooks. Doch wer weiß, was in den Päckchen der Kinder steckt.