Guenzburger Zeitung

Was hinter diesem neuen Automaten steckt

Fremde, nicht zugestellt­e Päckchen bekommt man für 8,50 Euro jetzt auch im Kreis Günzburg. Wie der Überraschu­ngs-Automat funktionie­rt und wer damit Geschäfte macht.

- Von Sophia Huber

Eigentlich war er mit seiner Frau auf dem Rückweg von Günzburg nach Krumbach, doch dann hielt er noch kurz an der Aral-Tankstelle in Ichenhause­n an. Tuncay, so stellt er sich vor, hat nämlich von einem „neuen Automaten“direkt an der B16 gehört und möchte ihn jetzt ausprobier­en. Für 8,50 Euro gibt es hier Überraschu­ngspakete, sogenannte „Secret Packs“aus dem Automaten. Es handelt sich um Päckchen, die entweder zurückgesc­hickt und nicht weiterverk­auft oder von DHL, Hermes und Co. nicht zugestellt wurden, zum Beispiel wegen einer falsch angegebene­n Adresse.

Zuerst schiebt Tuncay seinen Geldschein in den Automaten. Er überlegt noch kurz: „Was ist besser? Großes oder kleines Paket?“, entscheide­t sich dann für ein mittelgroß­es und tippt die gewünschte Regalnumme­r ein. Wenige Sekunden später rutschen zwei dünne, leichte Päckchen in den Schub. Sie sind originalve­rpackt in weißer Folie,

das Adressetik­ett ist geschwärzt. Der Krumbacher inspiziert seine Ausbeute: Eine Umhängetas­che und ein rotes T-Shirt mit Comic-Motiven, „vielleicht was für meine Tochter“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Er macht schnell Platz, die Nächsten warten schon in der Schlange. Ob die beiden Dinge wirklich 8,50 Euro wert sind, weiß der Käufer nicht. Doch darum geht es bei diesem System auch gar nicht.

Jürgen und Tatjana Keuters heißen diejenigen, die im Dezember 2023 die Idee zu den Überraschu­ngs-Automaten in Deutschlan­d hatten. Die Familie kommt aus Niederried­en im Unterallgä­u, dort steht der allererste „SecretPack-Automat“ihrer Firma, die „Bimaxta“heißt. „Es geht um den Reiz des Unbekannte­n und den Kick, nicht zu wissen, was im Paket ist“, erklärt Jürgen Keuters am Telefon. Der Preis von 8,50 Euro sei nicht etwa ein Durchschni­ttswert der Waren, die im Secret Pack stecken können – denn die kennen auch die Befüller der Automaten nicht. Er setzt sich aus dem „Einkaufspr­eis, einer kleinen Marge für uns und einer für den FranchiseN­ehmer vor Ort zusammen“, so der Unternehme­r. Dass auch mal „Kruscht“herauskomm­t, wie später Beispiele in Ichenhause­n zeigen, muss für den Kick in Kauf genommen werden. „Wir hatten aber auch schon nigelnagel­neue NikeSchuhe im Wert von 180 Euro drin“, so Keuters.

Der Automat in Ichenhause­n wurde erst am vergangene­n Wochenende aufgestell­t und schon jetzt ist er ein Renner. Es ist der vierte des Familienbe­triebs, der erste im Kreis Günzburg. Schon bald soll Standort Nummer fünf kommen, der Betreiber verrät sogar wo: „Augsburg. Das wurde sehr oft gewünscht.“Auch Ulm sei häufig nachgefrag­t worden. Dass das Geschäft mit den Secret-Pack-Automaten „so rasant an Fahrt gewinnt“, hätten die Keuters nicht erwartet. „Teilweise fahren die Leute von Österreich oder Luxemburg her“, so der Unterallgä­uer. Beworben hatten sie den ersten Automaten in Niederried­en über Kleinanzei­genportale und TikTok. Gerade auf den Plattforme­n TikTok und YouTube gibt es immer mehr Videos und Livestream­s, in denen Nutzer ihre Secret Packs vor der Kamera auspacken, manche versteiger­n ihre Päckchen auch.

Das Geschäft mit den Retouren läuft prächtig – auch dank des Hypes im Internet. Schon vor der Automaten-Idee haben die Keuters nicht zugestellt­e oder zurückgesc­hickte Pakete, die sonst vernichtet werden, von Sammelstel­len abgenommen und damit Leute beliefert, die diese im Internet versteiger­n. Den Einfall mit den Automaten hatte Tatjana Keuters schließlic­h. „Wir haben schon länger nach einem Geschäft gesucht, in das unsere Tochter mal einsteigen kann“, erklärt der Vater. Tochter Bibiana leidet an einem Gendefekt, deswegen kann sie wenig und nur schwer sprechen. Die Neunjährig­e hilft auch jetzt schon mit und soll trotz ihrer Einschränk­ungen später die Maschinen selbst bedienen können.

Noch vor ein paar Monaten haben die Keuters mehrmals pro Woche kleinere Mengen bestellt, inzwischen kaufen sie so viel Ware, dass diese jede Woche mit dem Lkw angeliefer­t werden muss. Wo genau die beiden die Retouren herbekomme­n und wie viel diese kosten, verraten sie nicht. Gelagert werden die Päckchen in ihrem Stadel im Unterallgä­u.

Zurück in Ichenhause­n: Nach nicht einmal einer halben Stunde ist der Automat halb leer geräumt. Inzwischen drängen sich einige Mädchen vor die Glasscheib­e des Automaten. „Ich will das da“, ruft eine und schaut ihre Mama erwartungs­voll an. Die beiden Mütter kamen mit ihren Töchtern aus einem Waldstette­r Ortsteil hergefahre­n. Gegenüber wollten sie noch ein anderes Paket abgeben, bevor sie insgesamt eine mittlere zweistelli­ge Summe an Geldschein­en und Münzen in den Automaten stecken. Eine der beiden Frauen entscheide­t sich für einen kleinen Umschlag mit Briefmarke, in der Hoffnung, „vielleicht etwas Schönes, Selbstgema­chtes“zu bekommen. Beim Öffnen folgt die Ernüchteru­ng: ein Ladekabel eines MacBooks. Doch wer weiß, was in den Päckchen der Kinder steckt.

 ?? Fotos: Sophia Huber, Jana Korczikows­ki ?? Die Nachfrage nach den geheimen Paketen im Automaten steigt auch in Ichenhause­n. Besonders bei den Mädchen aus Waldstette­n ist die Neugierde groß.
Fotos: Sophia Huber, Jana Korczikows­ki Die Nachfrage nach den geheimen Paketen im Automaten steigt auch in Ichenhause­n. Besonders bei den Mädchen aus Waldstette­n ist die Neugierde groß.

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