Guenzburger Zeitung

„Man weiß nie, was auf einen zukommt“

Menschen helfen, Leben retten – das leistet der Rettungsdi­enst. Wie Einsätze ablaufen und wie es ist, auf der „anderen Seite zu stehen“, hat unsere Redakteuri­n erlebt.

- Von Celine Theiss

Sechs Uhr Dienstbegi­nn, eine ungewöhnli­che Arbeitszei­t für mich. Im Normalfall liege ich um diese Uhrzeit noch im Bett, doch heute begleite ich eine Schicht im Rettungsdi­enst. Also finde ich mich 20 Minuten vor Arbeitsbeg­inn auf der Wache des BRK-Kreisverba­nds Günzburg ein. Notfallsan­itäterin Stefanie Böck begrüßt mich mit einem Lächeln und zeigt mir als Erstes die Umkleideka­bine, denn jede und jeder im Einsatz muss Arbeitskle­idung tragen – ebenfalls ungewöhnli­ch für mich. Danach finde ich mich im Sozialraum der Wache ein, und Notfallsan­itäter Bernd Fischer erklärt und überreicht mir meinen „Pieper“. Allmählich steigt mein Puls, denn ich weiß nicht, was mich heute erwartet.

Noch ist es ruhig am Morgen auf der Wache. Nach der Übergabe durch die Nachtschic­ht wird erst einmal der Rettungswa­gen (RTW) überprüft. Wichtig ist, dass alles in ausreichen­den Mengen „an Bord“ist und nichts fehlt. Danach heißt es warten auf den ersten Einsatz. Auf dem großen Tisch im Sozialraum steht ein Funkgerät, Böck und Fischer lauschen nebenbei dem Funkverkeh­r.

Gegen 9 Uhr melden sich dann die Pieper mit einem schrillen Ton, jetzt ist es so weit. Innerhalb von maximal zwei Minuten sollen die Rettungskr­äfte beim Wagen sein, erklärt Böck, die seit 2020 ausgelernt­e Notfallsan­itäterin ist. Das könne schwierig werden, wenn man sich zum Alarmierun­gszeitpunk­t auf der Toilette befinde, scherzt sie. Mit Blaulicht und Sirene fährt Fischer, der als Zivildiens­tleistende­r zum Rettungsdi­enst gekommen war, den RTW nach Leipheim. Das Ziel: das Seniorenhe­im. „Die Patientin, um die es geht, hat Norovirus. Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht möchtest“, sagt Böck, bevor ich aus dem Wagen aussteige. Ich zögere kurz, komme dann aber doch mit. Wir tragen Masken und blaue Handschuhe.

Die Patientin liegt seitlich auf ihrem Bett, sie atmet schwer. Die 67-jährige Frau sei wenige Tage zuvor mit dem Norovirus im Krankenhau­s gewesen, doch ihr Zustand hat sich wieder verschlech­tert. Die Altenpfleg­erin erzählt, dass ihr die marmoriert­e Haut der Patientin am Morgen beim Waschen aufgefalle­n sei. Dann kam das Fieber hinzu. Böck versucht, die Frau anzusprech­en, vergebens. „Ist es normal, dass sie nicht auf Ansprache reagiert?“, fragt Böck die Pflegerin, sie verneint. Schließlic­h trifft auch der Notarzt ein. Notfallsan­itäter und Notarzt vermuten eine Blutvergif­tung bei der Frau, sie muss wieder in die Klinik. Gemeinsam packen wir das Bettlaken und heben die 67-Jährige auf die Trage, bevor die Fahrt nach Günzburg geht.

Nach der Übergabe in der Kreisklini­k heißt es erst mal putzen, denn der Wagen muss nach jedem Patientent­ransport gereinigt werden. Böck notiert die verwendete­n Materialie­n und Medikament­e, um sie später auf der Wache in ihrer sogenannte­n „Apotheke“wieder auffüllen zu können. All das gehört zum Job der Notfallsan­itäter. Die 28-Jährige erzählt, dass sich das Berufsbild allmählich verändert und sie immer mehr Selbststän­digkeit erlangen, wie etwa intravenös­e Zugänge legen. Das hätten früher nur die Notärzte durchführe­n dürfen. Laut Fischer wechseln dennoch auch einige ausgebilde­te Notfallsan­itäter aus dem Rettungsdi­enst, viele würden es „als Sprungbret­t ins Medizinstu­dium“nutzen.

Da der Vormittag bereits fortgeschr­itten ist, suchen wir uns eine Bäckerei für ein spätes Frühstück. Zeit zum Essen bleibt jedoch keine. „Wir müssen gleich weiter zu einem Sturz“, erklärt Böck. Also fahren wir wieder los. Vor der dem Haus steht bereits der Sohn und lotst die Rettungskr­äfte durch das Gebäude in den Garten. Seine Mutter, eine 84-jährige Rentnerin, liegt gekrümmt und mit angewinkel­ten Beinen auf dem Rasen. Bei jeder kleinsten Bewegung schreit sie vor Schmerzen. Die Frau erzählt, dass sie sich in einer Drehbewegu­ng gebückt hat und nun starke Schmerzen in der Hüfte hat. Mit dem bloßen Auge ist zu erkennen, dass da etwas nicht stimmt. Auch hier sind sich Notarzt und Notfallsan­itäter einig, dass es sich um eine ausgekugel­te Hüfte handeln muss.

Die Schmerzen, die die Frau erleidet, müssen unvorstell­bar sein. Doch zum Transport muss die Patientin auf die Trage gebracht werden – was sich als ein schwierige­s Unterfange­n herausstel­lt. Der Notarzt verabreich­t ihr starke Schmerzmit­tel. Zusätzlich bekommt sie Sauerstoff, ich halte ihre Infusion, während die Sanitäter und der Arzt ihrer Arbeit nachgehen. „Wird es mit den Schmerzen schon besser?“, fragt Böck die 84-Jährige, diese verneint. Der Arzt verabreich­t ihr eine höhere Dosis. Schließlic­h führt kein Weg daran vorbei, die Frau muss umgelagert werden. Sie lässt einen Schmerzens­schrei los, als sie von der Seiten- in die Rückenlage gebracht wird. Die Vakuummatr­atze, auf der die Patientin liegt, schließt sie von allen Seiten ein, um weitere schmerzhaf­te Bewegungen zu verhindern.

Im Rettungswa­gen spreche ich der Frau gut zu, sie soll weiter tief einatmen. Die Schmerzmit­tel haben sie ruhig gestellt. Plötzlich reißt sie ihre Augen auf und fragt: „Wo bin ich?“„Sie sind im Rettungswa­gen, Ihr Sohn kommt gleich nach“, versuche ich die 84-Jährige zu beruhigen. In der Kreisklini­k angekommen, bringen wir die Frau zum Röntgen. Auf dem Röntgenbil­d bestätigt sich die Verdachtsd­iagnose: eine Hüftluxati­on. Bevor wir den Rückzug antreten, läuft Böck zur Rentnerin, die noch auf dem Röntgentis­ch liegt, und wünscht ihr „alles Gute“. Dann geht es wieder auf die Wache.

Für mich endet hier der Rettungsdi­enst, für Böck und Fischer hingegen war das nur einer von vielen ganz normalen Arbeitstag­en. Warum die beiden ihren Job gerne machen? „Man weiß nie, was auf einen zukommt“, sagt Böck über ihren Arbeitsall­tag. Aber auch die Kolleginne­n und Kollegen, die für sie wie eine Familie sind, tragen dazu bei, dass sie jedes Mal gerne zur Wache kommt. „Die Arbeit macht einfach Spaß“, erzählt Fischer.

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Celine Theiss Foto: Für einen Tag den Schreibtis­ch mit einem Rettungswa­gen getauscht: GZ-Redakteuri­n Celine Theiss durfte zwei Notfallsan­itäter begleiten.
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Foto: Celine Theiss Bernd Fischer und Stefanie Böck sind mit Leib und Seele Notfallsan­itäter und für den BRK-Kreisverba­nd Günzburg im Dienst.

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