Großes Kino im Sinne der Nazis entstand in Mecklenburg und fiel in Ungnade
Er steht nicht in der Ortschronik und doch fand er statt: ein Filmdreh der Ufa in und um Lelkendorf, der allerdings nicht nur dort fast in Vergessenheit geriet. Zu Recht? Vielleicht nicht ganz.
LELKENDORF – Als Anfang Mai 1933 ein Stab von rund 50 Männern und Frauen samt technischer Ausrüstung in Lelkendorf einrückte, da verband sich damit bei Drehbuchautor und Regisseur Richard SchneiderEdenkoben und manchem Herrn bei der Babelsberger Universal-Filmgesellschaft die Hoffnung, großes Kino ganz im Sinne der gerade an die Macht gelangten Nazis machen zu können. Rastplatz und Drehort zugleich war der Besitz des jungen Baron Joachim-Dietrich von Levetzow, denn das Adelsgeschlecht nannte Lelkendorf mit Schloss und Umgebung seit mehreren Jahrhunderten sein Eigen. Lelkendorf war Levetzow und Levetzow war Lelkendorf. Aber warum zog es die Filmleute gerade hierher in das idyllische, freilich aber einsame Mecklenburger Land, dorthin wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“sagten? Zwei Gründe waren es: das Sujet und die Ruhe.
Für die Story braucht man wenige Worte. Die zwei Söhne eines alten Bauern buhlen um eine aufreizende blonde Schönheit, die zufällig auf dem Händler-Wagen ihres Vaters des Weges kommt. Der Brudermord ist unausweichlich. Der Mörder wird verhaftet und der Alte greift wieder zum Pf lug, um seine Scholle zu wenden. Eine Kain- und Abel-Geschichte im Bauernmilieu. Der Arbeitstitel des Films „Blut und Scholle“war folgerichtig.
Ruhe suchte man deswegen, weil dieser Ufa-Film der erste der Unternehmensgeschichte werden sollte, der ausschließlich aus Außenaufnahmen
bestand. Kein Babelsberg, kein Atelier, keine schallschluckenden Wände, nur Himmel und Erde – oder eben Scholle. Bei der Suche nach dem dafür geeigneten „location set“, wie es heute in der Branche heißt, soll kein Geringerer als der damalige stellvertretende Vorsitzende des Ufa-Aufsichtsrats und Aufsichtsrat der Deutschen Bank Emil von Stauss seinen Anteil gehabt haben.
Stauss kannte die Gegend, denn 30 Kilometer Luftlinie entfernt von Lelkendorf und von den Levetzows hatte er sich vom 1931 Pleite gegangenen Vorbesitzer das Schloss Burg Schlitz zugelegt. Die Landschaft war und ist ähnlich anmutig, vor allem aber war sie frei vom Lärm der Stadt, der Straße, der Eisenbahn, der Flugzeuge, der Menschen. Die damalige Tontechnik für Außenaufnahmen verlangte absolute Stille.
Mitten in den Dreharbeiten am 8. Juli 1933 tauchte Josef Goebbels, der frisch ernannte Reichspropagandaminister, auf, in seiner Begleitung die angehende StarRegisseurin Leni Riefenstahl. Hier dürfte sie den Filmmusiker Herbert Windt und den Kameramann Werner Bohne bei der Arbeit näher kennen und schätzen gelernt haben. Noch im selben Jahr schrieb Windt die Musik für den NS-PropagandaFilm „Sieg des Glaubens“, eine pompöse Würdigung des NSDAP-Parteitages in Nürnberg im September 1933. Gleiches folgte mit dem Parteitags-Film „Triumph des Willens“ein Jahr später. Auch für Riefenstahls-Olympia-Film 1936 steuerte Windt die Musik bei. Werner Bohne wiederum avancierte zu einem der profiliertesten Kameramänner im Dritten Reich. Riefenstahl engagierte auch ihn für ihren Propaganda-Streifen „Triumph des Willens“.
Goebbels zeigte sich vom Fortgang der Filmaufnahmen beeindruckt. „Wie mühsam das doch ist. Das ist schon gar keine Kunst mehr, sondern Plage. Bewundernswert die Schauspieler, an der Spitze der Idealist Schneider-Edenkoben.“So notierte er einen Tag später in seinem Tagebuch. Im Übrigen machte der Reichsminister auf seiner Stippvisite in Lelkendorf Pause in Neubrandenburg, wo er auf der Hinreise speiste und auf der Rückreise seine wahrscheinlich einzige Rede in der Vier-Tore-Stadt hielt, nämlich im Konzerthaus Reinmann am Stargarder Tor. Das Gebäude, nach dem Krieg Volkshaus genannt, brannte 1959 ab. Just an jenem Sonnabend fand dort eine Veranstaltung der Nazi-Organisation BDM (Bund Deutscher Mädel) statt, und der NSDAP-Führung der Stadt gelang es tatsächlich, Goebbels in den Saal zu holen und ihn auch reden zu lassen. „In Neubrandenburg bei der n.s. Jugend. Das war ein Empfang.“Die Neubrandenburger Zeitung berichtete ausführlich und voller Begeisterung.
Der Dreh des Bauerndramas ging unterdessen seinem Ende entgegen. Die Regie wollte es, dass noch der Brand einer strohgedeckten Hütte in Szene gesetzt werden musste – als ein wirkungsvoller Schlussakkord. Zur Beherrschung des Feuers wurde die Neukalener Freiwillige Feuerwehr um Mithilfe gebeten. 18 Kameraden waren im Einsatz, so steht es in der Chronik des Feuerlöschwesens Neukalen. Ein Leichenbegräbnis zuvor war vom Glockengeläut der Malchiner St. Johanniskirche, extra eingespielt für diese Szene, dramatisch begleitet worden. Am 1. November 1933 hatte der Film mit dem geänderten Titel „Du sollst nicht begehren“Premiere im Gloria-Palast von Berlin. Er wurde ein Flop. Nicht nur, dass er schwerfällig und langweilig war, sondern auch, weil dem Reichsernährungsminister Walter Darré die Darstellung des Bauerntums im Lichte der neuen Machthaber quer lag. Er startete eine Boykottund Pressekampagne gegen die Ufa und sah den „gesamten Nährstand“hinter sich. Sein Motto: So sind unsere Bauern nicht. Vorsichtiger mit seiner Kritik an dem Blut-und-Boden-Steifen agierte des Nazi-Zentralblatt „Völkischer Beobachter“. Hatte doch Goebbels mit dem demonstrativen Besuch in Lelkendorf das nunmehrige Pleite-Projekt geadelt.
Wegen Darrés Kampagne beschwerte sich die Ufa bei Goebbels, verwies auf die wirtschaftlichen Folgen eines Boykotts. Intern hatte man trotz erheblicher Bedenken zweier Gutachter am Drehbuch den Film als „Experiment“genehmigt. Ermöglicht wurde es „einem der vielversprechendsten nationalsozialistischen Schriftsteller
im Sinne der von Herrn Goebbels geäußerten Anschauung“. Mit diesen Worten hatte Ufa-Generaldirektor Ludwig Klitzsch den Streifen abgesegnet, wohl wissend, dass SchneiderEdenkoben nicht nur private Beziehungen bis in höchste Nazi-Kreise pflegte. Schließlich kam der Film nicht in den Verleih, sondern ins Archiv. Nur in Österreich lief er ein Jahr später, wohl weil unter den Schauspielern drei Österreicher agierten.
Die Filmproduktion kostete rund 180.000 Reichsmark, der Verlust belief sich auf mehr als 200.000 Reichsmark. Durch die Bereitstellung seines Bodenbesitzes, durch die Einquartierungen im Schloss und sogar durch die leihweise Überantwortung von eigenen Tauben für eine Filmszene partizipierte der Baron an dem total missglückten Unternehmen. Eigenmittel eingeschlossen soll es für die Anschaffung eines Flugzeuges gereicht haben. So hieß es bald im Dorf. Die Legende hat sich bis heute gehalten. Was die Lelkendorfer Ortschronik betrifft: Sie kann nun durch eine weitere Seite ergänzt werden.