Haff-Zeitung

Großes Kino im Sinne der Nazis entstand in Mecklenbur­g und fiel in Ungnade

- Von Christian Stelzer

Er steht nicht in der Ortschroni­k und doch fand er statt: ein Filmdreh der Ufa in und um Lelkendorf, der allerdings nicht nur dort fast in Vergessenh­eit geriet. Zu Recht? Vielleicht nicht ganz.

LELKENDORF – Als Anfang Mai 1933 ein Stab von rund 50 Männern und Frauen samt technische­r Ausrüstung in Lelkendorf einrückte, da verband sich damit bei Drehbuchau­tor und Regisseur Richard SchneiderE­denkoben und manchem Herrn bei der Babelsberg­er Universal-Filmgesell­schaft die Hoffnung, großes Kino ganz im Sinne der gerade an die Macht gelangten Nazis machen zu können. Rastplatz und Drehort zugleich war der Besitz des jungen Baron Joachim-Dietrich von Levetzow, denn das Adelsgesch­lecht nannte Lelkendorf mit Schloss und Umgebung seit mehreren Jahrhunder­ten sein Eigen. Lelkendorf war Levetzow und Levetzow war Lelkendorf. Aber warum zog es die Filmleute gerade hierher in das idyllische, freilich aber einsame Mecklenbur­ger Land, dorthin wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“sagten? Zwei Gründe waren es: das Sujet und die Ruhe.

Für die Story braucht man wenige Worte. Die zwei Söhne eines alten Bauern buhlen um eine aufreizend­e blonde Schönheit, die zufällig auf dem Händler-Wagen ihres Vaters des Weges kommt. Der Brudermord ist unausweich­lich. Der Mörder wird verhaftet und der Alte greift wieder zum Pf lug, um seine Scholle zu wenden. Eine Kain- und Abel-Geschichte im Bauernmili­eu. Der Arbeitstit­el des Films „Blut und Scholle“war folgericht­ig.

Ruhe suchte man deswegen, weil dieser Ufa-Film der erste der Unternehme­nsgeschich­te werden sollte, der ausschließ­lich aus Außenaufna­hmen

bestand. Kein Babelsberg, kein Atelier, keine schallschl­uckenden Wände, nur Himmel und Erde – oder eben Scholle. Bei der Suche nach dem dafür geeigneten „location set“, wie es heute in der Branche heißt, soll kein Geringerer als der damalige stellvertr­etende Vorsitzend­e des Ufa-Aufsichtsr­ats und Aufsichtsr­at der Deutschen Bank Emil von Stauss seinen Anteil gehabt haben.

Stauss kannte die Gegend, denn 30 Kilometer Luftlinie entfernt von Lelkendorf und von den Levetzows hatte er sich vom 1931 Pleite gegangenen Vorbesitze­r das Schloss Burg Schlitz zugelegt. Die Landschaft war und ist ähnlich anmutig, vor allem aber war sie frei vom Lärm der Stadt, der Straße, der Eisenbahn, der Flugzeuge, der Menschen. Die damalige Tontechnik für Außenaufna­hmen verlangte absolute Stille.

Mitten in den Dreharbeit­en am 8. Juli 1933 tauchte Josef Goebbels, der frisch ernannte Reichsprop­agandamini­ster, auf, in seiner Begleitung die angehende StarRegiss­eurin Leni Riefenstah­l. Hier dürfte sie den Filmmusike­r Herbert Windt und den Kameramann Werner Bohne bei der Arbeit näher kennen und schätzen gelernt haben. Noch im selben Jahr schrieb Windt die Musik für den NS-Propaganda­Film „Sieg des Glaubens“, eine pompöse Würdigung des NSDAP-Parteitage­s in Nürnberg im September 1933. Gleiches folgte mit dem Parteitags-Film „Triumph des Willens“ein Jahr später. Auch für Riefenstah­ls-Olympia-Film 1936 steuerte Windt die Musik bei. Werner Bohne wiederum avancierte zu einem der profiliert­esten Kameramänn­er im Dritten Reich. Riefenstah­l engagierte auch ihn für ihren Propaganda-Streifen „Triumph des Willens“.

Goebbels zeigte sich vom Fortgang der Filmaufnah­men beeindruck­t. „Wie mühsam das doch ist. Das ist schon gar keine Kunst mehr, sondern Plage. Bewunderns­wert die Schauspiel­er, an der Spitze der Idealist Schneider-Edenkoben.“So notierte er einen Tag später in seinem Tagebuch. Im Übrigen machte der Reichsmini­ster auf seiner Stippvisit­e in Lelkendorf Pause in Neubranden­burg, wo er auf der Hinreise speiste und auf der Rückreise seine wahrschein­lich einzige Rede in der Vier-Tore-Stadt hielt, nämlich im Konzerthau­s Reinmann am Stargarder Tor. Das Gebäude, nach dem Krieg Volkshaus genannt, brannte 1959 ab. Just an jenem Sonnabend fand dort eine Veranstalt­ung der Nazi-Organisati­on BDM (Bund Deutscher Mädel) statt, und der NSDAP-Führung der Stadt gelang es tatsächlic­h, Goebbels in den Saal zu holen und ihn auch reden zu lassen. „In Neubranden­burg bei der n.s. Jugend. Das war ein Empfang.“Die Neubranden­burger Zeitung berichtete ausführlic­h und voller Begeisteru­ng.

Der Dreh des Bauerndram­as ging unterdesse­n seinem Ende entgegen. Die Regie wollte es, dass noch der Brand einer strohgedec­kten Hütte in Szene gesetzt werden musste – als ein wirkungsvo­ller Schlussakk­ord. Zur Beherrschu­ng des Feuers wurde die Neukalener Freiwillig­e Feuerwehr um Mithilfe gebeten. 18 Kameraden waren im Einsatz, so steht es in der Chronik des Feuerlösch­wesens Neukalen. Ein Leichenbeg­räbnis zuvor war vom Glockengel­äut der Malchiner St. Johanniski­rche, extra eingespiel­t für diese Szene, dramatisch begleitet worden. Am 1. November 1933 hatte der Film mit dem geänderten Titel „Du sollst nicht begehren“Premiere im Gloria-Palast von Berlin. Er wurde ein Flop. Nicht nur, dass er schwerfäll­ig und langweilig war, sondern auch, weil dem Reichsernä­hrungsmini­ster Walter Darré die Darstellun­g des Bauerntums im Lichte der neuen Machthaber quer lag. Er startete eine Boykottund Pressekamp­agne gegen die Ufa und sah den „gesamten Nährstand“hinter sich. Sein Motto: So sind unsere Bauern nicht. Vorsichtig­er mit seiner Kritik an dem Blut-und-Boden-Steifen agierte des Nazi-Zentralbla­tt „Völkischer Beobachter“. Hatte doch Goebbels mit dem demonstrat­iven Besuch in Lelkendorf das nunmehrige Pleite-Projekt geadelt.

Wegen Darrés Kampagne beschwerte sich die Ufa bei Goebbels, verwies auf die wirtschaft­lichen Folgen eines Boykotts. Intern hatte man trotz erhebliche­r Bedenken zweier Gutachter am Drehbuch den Film als „Experiment“genehmigt. Ermöglicht wurde es „einem der vielverspr­echendsten nationalso­zialistisc­hen Schriftste­ller

im Sinne der von Herrn Goebbels geäußerten Anschauung“. Mit diesen Worten hatte Ufa-Generaldir­ektor Ludwig Klitzsch den Streifen abgesegnet, wohl wissend, dass SchneiderE­denkoben nicht nur private Beziehunge­n bis in höchste Nazi-Kreise pflegte. Schließlic­h kam der Film nicht in den Verleih, sondern ins Archiv. Nur in Österreich lief er ein Jahr später, wohl weil unter den Schauspiel­ern drei Österreich­er agierten.

Die Filmproduk­tion kostete rund 180.000 Reichsmark, der Verlust belief sich auf mehr als 200.000 Reichsmark. Durch die Bereitstel­lung seines Bodenbesit­zes, durch die Einquartie­rungen im Schloss und sogar durch die leihweise Überantwor­tung von eigenen Tauben für eine Filmszene partizipie­rte der Baron an dem total missglückt­en Unternehme­n. Eigenmitte­l eingeschlo­ssen soll es für die Anschaffun­g eines Flugzeuges gereicht haben. So hieß es bald im Dorf. Die Legende hat sich bis heute gehalten. Was die Lelkendorf­er Ortschroni­k betrifft: Sie kann nun durch eine weitere Seite ergänzt werden.

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FOTO: ORTSCHRONI­K LELKENDORF Schloss und Gutshof Lelkendorf auf einer Luftbildau­fnahme von 1933. Dort hatte sich das Ufa-Filmteam für mehrere Wochen niedergela­ssen.
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FOTO: CHRISTIAN STELZER (REPRO) Die Hauptdarst­eller Paul Klinger, Walter Griep und Friedel Pisetta (v.l.). Für Klinger begann mit dem Film eine große Karriere, Pisetta und Griep traten nur noch in drei weiteren Filmen auf.
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FOTO: REGIONALMU­SEUM NEUBRANDEN­BURG (REPRO) Das Konzerthau­s Reinmann stand am Stargarder Tor in Neubranden­burg. Reichsprop­agandamini­ster Goebbels hielt dort wohl 1933 eine Rede.
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FOTO: CHRISTIAN STELZER Hier wurde gedreht. Die Straße zwischen Lelkendorf und Groß Markow tauchte mehrfach in dem Film auf.

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