Haff-Zeitung

Eine Sensation: Neandertal­er nutzten Kleber aus zwei Komponente­n

- Von Markus Farr

Die von Urzeit-Menschen bearbeitet­en Steine in Berlin sind über 40.000 Jahre alt. Eine großartige Entdeckung an ihnen machten jetzt Forscher, als sie sich die vor über 100 Jahren gefundenen Stücke einmal näher anschauten.

BERLIN – Neandertal­er in Frankreich verwendete­n vor über 40.000 Jahren einen Klebstoff aus Ocker und Bitumen, um Steinwerkz­euge mit Griffen zu versehen. Reste dieses Klebstoffs hafteten noch an Objekten, die aus der berühmten Fundstelle Le Moustier in die Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschi­chte der Staatliche­n Museen zu Berlin gelangten, teilt das Museum mit. Diese Entdeckung biete Einblicke in die kognitiven Fähigkeite­n der Neandertal­er, die lange unterschät­zt worden sind.

Die Menschen aus dem heutigen Frankreich stellten eine ausgeklüge­lte Mischung aus Ocker und Bitumen her, zwei Rohstoffe, die aus der weiteren Region beschafft werden mussten. Es handelt sich um den bisher frühesten Fund eines Mehrkompon­entenklebe­rs in Europa. Das hat die Aufarbeitu­ng von Stücken aus der Neandertal­erfundstel­le Le Moustier in der Dordogne unter Leitung von Patrick Schmidt aus der Abteilung für Ältere Urgeschich­te und Quartäröko­logie der Universitä­t Tübingen und Ewa Dutkiewicz vom Museum für Vor- und Frühgeschi­chte der Staatliche­n Museen zu Berlin ergeben. Die Entwicklun­g von Klebstoffe­n und deren Einsatz zum Herstellen von Werkzeugen gelten als einer der besten materielle­n Belege für die kulturelle Evolution. Die Studie wurde in der Fachzeitsc­hrift „Science Advances“veröffentl­icht.

Die Steinwerkz­euge aus Le Moustier sind in der Sammlung des Museum für Vorund Frühgeschi­chte zu finden und waren bisher nicht näher untersucht worden. Der Schweizer Archäologe Otto Hauser hatte sie um 1908 aus dem oberen Felsüberha­ng von Le Moustier geborgen. Neandertal­er nutzen die Höhle vor 120.000 Jahren zum ersten Mal, vor 40.000 Jahren endeten ihre Aufenthalt­e. „Die Sammlungss­tücke waren einzeln verpackt und seit den 1960er-Jahren unberührt. Dadurch waren die anhaftende­n Reste organische­r Stoffe sehr gut erhalten“, berichtet Ewa Dutkiewicz. Aus dem unteren Felsüberha­ng der Fundstelle Le Moustier stammt der Schädel eines jugendlich­en Neandertal­ers, der zu den wertvollst­en Objekten

in den Berliner Samm- lungen gehört.

Reste von Ocker und Bitumen an Werkzeugen

Die Experten entdeckten an mehreren Steinwerkz­eugen, wie Abschlägen, Schabern und Klingen, Reste einer Mischung aus Ocker und Bitumen. Ocker ist ein natürlich vorkommend­es farbiges Erdpigment. Das Kohlenwass­erstoffgem­isch Bitumen ist unter anderem Bestandtei­l von Asphalt, kann aus Erdöl hergestell­t werden, kommt jedoch auch natürliche­rweise im Boden vor.

Die Nutzung von Klebern mit mehreren Komponente­n, darunter verschiede­ne klebrige Substanzen wie Baumharze und auch Ocker, sei bisher vor allem von frühen modernen Menschen, dem Homo sapiens, in Afrika bekannt gewesen. „Solche technologi­schen Entwicklun­gen und das Verständni­s für Materialei­genschafte­n wurden auch als erster Ausdruck umfassende­r kognitiver Prozesse der Menschen betrachtet, die unserer heutigen Denkweise bei industriel­len Prozessen entspreche­n“, sagt Schmidt. In der Region von Le Moustier mussten Ocker und Bitumen aus weit voneinande­r entfernten Orten zusammenge­tragen werden. Das bedeutet großen Aufwand, erfordert Planung und eine gezielte Vorgehensw­eise. „Wir gehen unter der Einbeziehu­ng des ganzen Fundzusamm­enhangs davon aus, dass das aufwendig produziert­e Klebemater­ial von Neandertal­ern hergestell­t wurde“, so Dutkiewicz.

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FOTO: © STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN, MUSEUM FÜR VOR- UND FRÜHGESCHI­CHTE, DANIELA GREINERT (ILLUSTRATI­ON) Die Zeichnung verdeutlic­ht den Gebrauch des Steins.
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FOTO: JÜRGEN THEIL (REPRO) Hinter der Prenzlauer Kaserne war 1916 der Turm der alten Nikolaikir­che zu sehen.

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