Eine Sensation: Neandertaler nutzten Kleber aus zwei Komponenten
Die von Urzeit-Menschen bearbeiteten Steine in Berlin sind über 40.000 Jahre alt. Eine großartige Entdeckung an ihnen machten jetzt Forscher, als sie sich die vor über 100 Jahren gefundenen Stücke einmal näher anschauten.
BERLIN – Neandertaler in Frankreich verwendeten vor über 40.000 Jahren einen Klebstoff aus Ocker und Bitumen, um Steinwerkzeuge mit Griffen zu versehen. Reste dieses Klebstoffs hafteten noch an Objekten, die aus der berühmten Fundstelle Le Moustier in die Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin gelangten, teilt das Museum mit. Diese Entdeckung biete Einblicke in die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler, die lange unterschätzt worden sind.
Die Menschen aus dem heutigen Frankreich stellten eine ausgeklügelte Mischung aus Ocker und Bitumen her, zwei Rohstoffe, die aus der weiteren Region beschafft werden mussten. Es handelt sich um den bisher frühesten Fund eines Mehrkomponentenklebers in Europa. Das hat die Aufarbeitung von Stücken aus der Neandertalerfundstelle Le Moustier in der Dordogne unter Leitung von Patrick Schmidt aus der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen und Ewa Dutkiewicz vom Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin ergeben. Die Entwicklung von Klebstoffen und deren Einsatz zum Herstellen von Werkzeugen gelten als einer der besten materiellen Belege für die kulturelle Evolution. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Science Advances“veröffentlicht.
Die Steinwerkzeuge aus Le Moustier sind in der Sammlung des Museum für Vorund Frühgeschichte zu finden und waren bisher nicht näher untersucht worden. Der Schweizer Archäologe Otto Hauser hatte sie um 1908 aus dem oberen Felsüberhang von Le Moustier geborgen. Neandertaler nutzen die Höhle vor 120.000 Jahren zum ersten Mal, vor 40.000 Jahren endeten ihre Aufenthalte. „Die Sammlungsstücke waren einzeln verpackt und seit den 1960er-Jahren unberührt. Dadurch waren die anhaftenden Reste organischer Stoffe sehr gut erhalten“, berichtet Ewa Dutkiewicz. Aus dem unteren Felsüberhang der Fundstelle Le Moustier stammt der Schädel eines jugendlichen Neandertalers, der zu den wertvollsten Objekten
in den Berliner Samm- lungen gehört.
Reste von Ocker und Bitumen an Werkzeugen
Die Experten entdeckten an mehreren Steinwerkzeugen, wie Abschlägen, Schabern und Klingen, Reste einer Mischung aus Ocker und Bitumen. Ocker ist ein natürlich vorkommendes farbiges Erdpigment. Das Kohlenwasserstoffgemisch Bitumen ist unter anderem Bestandteil von Asphalt, kann aus Erdöl hergestellt werden, kommt jedoch auch natürlicherweise im Boden vor.
Die Nutzung von Klebern mit mehreren Komponenten, darunter verschiedene klebrige Substanzen wie Baumharze und auch Ocker, sei bisher vor allem von frühen modernen Menschen, dem Homo sapiens, in Afrika bekannt gewesen. „Solche technologischen Entwicklungen und das Verständnis für Materialeigenschaften wurden auch als erster Ausdruck umfassender kognitiver Prozesse der Menschen betrachtet, die unserer heutigen Denkweise bei industriellen Prozessen entsprechen“, sagt Schmidt. In der Region von Le Moustier mussten Ocker und Bitumen aus weit voneinander entfernten Orten zusammengetragen werden. Das bedeutet großen Aufwand, erfordert Planung und eine gezielte Vorgehensweise. „Wir gehen unter der Einbeziehung des ganzen Fundzusammenhangs davon aus, dass das aufwendig produzierte Klebematerial von Neandertalern hergestellt wurde“, so Dutkiewicz.