Kampf um die Toten
Weil die Zahl der Bestattungen sinkt, werden sogar Kopfprämien für Verstorbene gezahlt
Eigentlich eine gute Nachricht: Dem Friedhof Ohlsdorf gehen die Toten aus. 4399 Beisetzungen gab es im vergangenen Jahr auf dem größten Parkfriedhof der Welt – das sind 8,5 Prozent weniger als drei Jahre zuvor! Da auch die anderen Hamburger Friedhöfe über „Totenschwund“klagen, gibt es in der Bestattungsbranche inzwischen einen makabren Konkurrenzkampf: Für Leichen werden sogar Kopfprämien gezahlt! In Hamburg wird weniger gestorben. Verschieden 1970 noch fast 27000 Menschen in der Hansestadt, waren es im vergangenen Jahr nur 17000. Wie das kommt, ist nicht ganz klar. Schließlich gehört Hamburg zu den wenigen Städten, die nicht schrumpfen. Eine Erklärung könnte der Zweite Weltkrieg sein: Viele Menschen der Jahrgänge 1920 bis 1930 sind damals umgekommen. Sie „fehlen“nun bei den Bestattungen.
Weniger Leichen heißt: Mehr Wettbewerb im Bestattungsgewerbe. Und immer mehr wollen ein Stück vom Kuchen: Während es früher nur ein staatliches Krematorium gab, haben sich inzwischen private im Umland angesiedelt: etwa in Stade und Tornesch (Kreis Pinneberg). Um den Mitbewerbern die Leichen abzujagen, locken die Krematorien mit Kopfprämien: Zwischen 25 und 130 Euro „Aufwandsentschädigung“bieten sie einem Bestatter an, wenn er ihr Krematorium ansteuert.
Nicht nur der Mangel an Toten, sondern auch die Art, wie sie heute unter die Erde gebracht werden, ist für den Friedhof Ohlsdorf und die weiteren 49 Hamburger Begräbnisstätten existenzbedrohend. Der Trend geht nämlich zur preiswerten Bestattung: War es bis in die 70er Jahre noch normal, dass Angehörige mehrere tausend Euro für eine würdevolle Grabstätte mit massivem Stein hinblätterten, werden heute schon fast drei Viertel aller Menschen eingeäschert. Zudem landen die Urnen immer öfter nicht in einem teuren Grab, sondern in einem „Friedwald“unter alten Bäumen.
Ein Konkurrent für herkömmliche Friedhöfe ist etwa der „Ewigforst“der Grafen von Bismarck im Sachsenwald, in dem in nur zwei Jahren 260 Menschen bestattet wurden. Schon ab 485 Euro findet hier eine biologisch abbaubare Urne ein romantisches Plätzchen unter einer alten Buche. Fast 500 weitere Gräber im Wald sind schon verkauft – diese „Kunden“fehlen Hamburger Friedhöfen.
Die versuchen mit MarketingAktionen gegenzusteuern. Da gibt es Bus-Rundfahrten für „Interessenten“über den Ohlsdorfer Friedhof. Auf dem Gelände wurde außerdem ein „Beratungszentrum“fürs Ableben eröffnet. Die hellen und modernen Räume könnten auch Anlageberatern als Büro dienen ...
Im Trend sind auch „Kolumbarien“– also Mauern oder Kapellen mit kleinen Nischen, in denen Urnen platziert werden. Immer mehr Menschen lassen sich auch komplett anonym auf einer Wiese innerhalb des Friedhofs bestatten. Laut Gebührenordnung kostet das in Ohlsdorf 849 Euro. Ein „Premiumgrab“in Alleinlage liegt bei mehr als 6000 Euro.
Auch die Einäscherung kostet im Ohlsdorfer Krematorium mit 500 Euro sehr viel mehr als in privaten Anlagen des Umlandes. Und wer es noch billiger will, kann den Verblichenen auch in Osteuropa im Sarg aus Pressspan einäschern lassen.
Die Bestatter stöhnen über diesen Trend zur Discount-Beerdigung. Der Hamburger Bestattungshistoriker Professor Nobert Fischer (56) sieht diese Klagen jedoch kritisch. Er erinnert daran, dass die Bestatter bislang hohe Profite beim Sargverkauf erzielen. Die Gewinnmarge liegt da nach MOPO-Informationen bei mehreren hundert Prozent.