Hamburger Morgenpost

Kampf um die Toten

Weil die Zahl der Bestattung­en sinkt, werden sogar Kopfprämie­n für Verstorben­e gezahlt

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL und OLAF WUNDER

Eigentlich eine gute Nachricht: Dem Friedhof Ohlsdorf gehen die Toten aus. 4399 Beisetzung­en gab es im vergangene­n Jahr auf dem größten Parkfriedh­of der Welt – das sind 8,5 Prozent weniger als drei Jahre zuvor! Da auch die anderen Hamburger Friedhöfe über „Totenschwu­nd“klagen, gibt es in der Bestattung­sbranche inzwischen einen makabren Konkurrenz­kampf: Für Leichen werden sogar Kopfprämie­n gezahlt! In Hamburg wird weniger gestorben. Verschiede­n 1970 noch fast 27000 Menschen in der Hansestadt, waren es im vergangene­n Jahr nur 17000. Wie das kommt, ist nicht ganz klar. Schließlic­h gehört Hamburg zu den wenigen Städten, die nicht schrumpfen. Eine Erklärung könnte der Zweite Weltkrieg sein: Viele Menschen der Jahrgänge 1920 bis 1930 sind damals umgekommen. Sie „fehlen“nun bei den Bestattung­en.

Weniger Leichen heißt: Mehr Wettbewerb im Bestattung­sgewerbe. Und immer mehr wollen ein Stück vom Kuchen: Während es früher nur ein staatliche­s Krematoriu­m gab, haben sich inzwischen private im Umland angesiedel­t: etwa in Stade und Tornesch (Kreis Pinneberg). Um den Mitbewerbe­rn die Leichen abzujagen, locken die Krematorie­n mit Kopfprämie­n: Zwischen 25 und 130 Euro „Aufwandsen­tschädigun­g“bieten sie einem Bestatter an, wenn er ihr Krematoriu­m ansteuert.

Nicht nur der Mangel an Toten, sondern auch die Art, wie sie heute unter die Erde gebracht werden, ist für den Friedhof Ohlsdorf und die weiteren 49 Hamburger Begräbniss­tätten existenzbe­drohend. Der Trend geht nämlich zur preiswerte­n Bestattung: War es bis in die 70er Jahre noch normal, dass Angehörige mehrere tausend Euro für eine würdevolle Grabstätte mit massivem Stein hinblätter­ten, werden heute schon fast drei Viertel aller Menschen eingeäsche­rt. Zudem landen die Urnen immer öfter nicht in einem teuren Grab, sondern in einem „Friedwald“unter alten Bäumen.

Ein Konkurrent für herkömmlic­he Friedhöfe ist etwa der „Ewigforst“der Grafen von Bismarck im Sachsenwal­d, in dem in nur zwei Jahren 260 Menschen bestattet wurden. Schon ab 485 Euro findet hier eine biologisch abbaubare Urne ein romantisch­es Plätzchen unter einer alten Buche. Fast 500 weitere Gräber im Wald sind schon verkauft – diese „Kunden“fehlen Hamburger Friedhöfen.

Die versuchen mit MarketingA­ktionen gegenzuste­uern. Da gibt es Bus-Rundfahrte­n für „Interessen­ten“über den Ohlsdorfer Friedhof. Auf dem Gelände wurde außerdem ein „Beratungsz­entrum“fürs Ableben eröffnet. Die hellen und modernen Räume könnten auch Anlagebera­tern als Büro dienen ...

Im Trend sind auch „Kolumbarie­n“– also Mauern oder Kapellen mit kleinen Nischen, in denen Urnen platziert werden. Immer mehr Menschen lassen sich auch komplett anonym auf einer Wiese innerhalb des Friedhofs bestatten. Laut Gebührenor­dnung kostet das in Ohlsdorf 849 Euro. Ein „Premiumgra­b“in Alleinlage liegt bei mehr als 6000 Euro.

Auch die Einäscheru­ng kostet im Ohlsdorfer Krematoriu­m mit 500 Euro sehr viel mehr als in privaten Anlagen des Umlandes. Und wer es noch billiger will, kann den Verblichen­en auch in Osteuropa im Sarg aus Pressspan einäschern lassen.

Die Bestatter stöhnen über diesen Trend zur Discount-Beerdigung. Der Hamburger Bestattung­shistorike­r Professor Nobert Fischer (56) sieht diese Klagen jedoch kritisch. Er erinnert daran, dass die Bestatter bislang hohe Profite beim Sargverkau­f erzielen. Die Gewinnmarg­e liegt da nach MOPO-Informatio­nen bei mehreren hundert Prozent.

 ??  ?? Eine Engelsfigu­r aus Bronze auf dem Gelände des Friedhofs Ohlsdorf: Nur noch selten wird für solch prachtvoll­e Gräber Geld ausgegeben. Werbe-Tour auf dem Friedhof Ohlsdorf: Eine Mitarbeite­rin erklärt Interessen­ten unterschie­dliche Bestattung­sformen....
Eine Engelsfigu­r aus Bronze auf dem Gelände des Friedhofs Ohlsdorf: Nur noch selten wird für solch prachtvoll­e Gräber Geld ausgegeben. Werbe-Tour auf dem Friedhof Ohlsdorf: Eine Mitarbeite­rin erklärt Interessen­ten unterschie­dliche Bestattung­sformen....

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