Dr. Martin Marianowicz schießt gegen das Gesundheitssystem: Die meisten OPs seien unnötig – und erfolglos
Ganz Deutschland hat Rücken. Jeder Zweite leidet mittlerweile unter Kreuzbeschwerden – rund 400 000 Betroffene landen sogar auf dem OP-Tisch. „85 Prozent der Eingriffe sind unnötig“, gab die Techniker Krankenkasse (TK) gestern bekannt. Diese These stützt auch Wirbelsäulenexperte Dr. Martin Marianowicz (59). Die MOPO hat mit dem renommierten Orthopäden aus München gesprochen.
Dr. Martin Marianowicz ist enttäuscht. Von der Gesundheitspolitik, dem System, von vielen seiner Kollegen. Seiner Meinung nach wird in Deutschland viel zu schnell zum Skalpell gegriffen. Ohne Not, ohne Erfolg! Mit seinem dritten Buch „Den Rücken selbst heilen“, das er gestern in Hamburg vorstellte, ruft der Rücken-Rebell Betroffene jetzt zur Selbsthilfe auf.
Viele OPs sind unnötig: „Wir operieren wie die Weltmeister“, sagt Marianowicz, der seit 32 Jahren als Orthopäde arbeitet. In den vergangenen zehn Jahren habe die Zahl der Rückenoperationen um 150 Prozent zugenommen. „Gerade in Ballungszentren wie Hamburg oder Berlin steht in jeder Klitsche ein Kernspintomograf. Aber wer nur nach MRT- und Röntgenbildern geht, kann jeden in den OP fahren.“
Dabei würden sich laut Marianowicz 80 bis 90 Prozent der Rückenbeschwerden – mit oder ohne ärztliche Behandlung – nach zwölf Wochen in Luft auflösen.
Die große Rücken-Abzocke: „Das Erschreckendste ist, dass die Eingriffe immer größer werden“, sagt Marianowicz. Kleine Entlastungsoperationen würden kaum noch durchgeführt. „Je mehr Etagen verdübelt und Prothesen eingebracht werden, umso höher ist die Vergütung.“
Eine durchschnittliche Rücken-OP kostet in Deutschland zwischen 10 000 und 11 000 Euro. Eine konservative Therapie hingegen gerade mal 30 Euro – im Quartal!
„Das ist ein abartiges System: Je kränker die Menschen sind, desto mehr wird mit ihnen verdient. Deswegen haben wir in Deutschland auch die meisten chronisch Kranken der Welt.“
Vieles ist Kopfsache: In einer Studie wurden 70-Jährige untersucht, die sich laut eigener Angaben als rückengesund einstuften, also keinerlei Beschwerden hatten – und das, obwohl bei 92 Prozent Bandscheibenvorfälle, bei 98 Prozent verschleißte Gelenke festgestellt wurden.
Bei 70 Prozent der chronisch Kranken hingegen konnte keine Ursache für den Schmerz gefunden werden. Häufig entstehe der Schmerz im Kopf, so Marianowicz – „deswegen muss man auch dort ansetzen“.
Nicht gleich zum Arzt: „Der Allerletzte, der als Erstes auf die Menschen losgelassen werden darf, ist der Operateur“, sagt der Rücken-Experte. Häufig würden die Mediziner falsch mit den Patienten umgehen, unnötig dramatisieren. „Viele Patienten sind dann der Meinung, dass wirklich nur noch eine OP helfen kann.“
Mehr Selbsttherapie: „Menschen mit Rückenbeschwerden müssen sich mehr selbst hinterfragen“, fordert Marianowicz. Wie schlimm ist der Schmerz? Wann taucht er auf? Bewege ich mich genug? Ernähre ich mich ausgewogen? Mit seinem „Motivationsbuch“will er Menschen am OP-Tisch vorbeiführen – hin zu einem gesunden Rücken.
„ Je mehr operiert wird, desto mehr wird verdient.“Dr. Martin Marianowicz