Hamburger Morgenpost

Nach RätseNach7­0Jahren:70 Jahren: Rätsel um seinen Tod gelöst

Rothenburg­sort Der Kinder-Mord am Bullenhuse­r Damm – Junge (12) wurde jetzt identifizi­ert

- Von OLAF WUNDER

Der Mord an 20 jüdischen Kindern in der Schule am Bullenhuse­r Damm – bislang war die Lebensgesc­hichte von 18 Kindern dokumentie­rt. Jetzt, 70 Jahre danach, ist auch die Identität des 19. Opfers geklärt: Walter Jungleib hieß es und war zwölf, als die SS ihn erhängte.

„Dass nach mehr als 70 Jahren von einem weiteren Kind die Geschichte erzählt werden kann, ist gleicherma­ßen ungewöhnli­ch wie bewegend“, sagt Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstät­te Neuengamme. Über Jahrzehnte habe man versucht, etwas über den Jungen herauszufi­nden. Vergeblich.

Heute ist klar, warum die Historiker keinen Erfolg hatten: Ein Buchstaben­dreher war schuld! In einer Liste tauchte der Junge nämlich als „W. Junglieb“auf. Darüber hinaus war den Mitarbeite­rn der KZ-Gedenkstät­te nur sein Alter und seine Herkunft bekannt: 12 war er bei seinem Tod und kam aus Jugoslawie­n.

Dass nun doch noch das Rätsel gelöst werden konnte, ist Bella Reichenbau­m aus Israel zu verdanken, die als Angehörige eines Opfers im April an der 70. Gedenkfeie­r am Bullenhuse­r Damm teilnahm. Dort hörte sie von den beiden noch nicht identifizi­erten Kindern und fing an zu recherchie­ren. Auf der Suche nach dem Namen „Junglieb“stieß sie in einer Deportatio­nsliste auf den Namen Grete Jungleib und stellte fest, dass die Frau unter dem Namen Grete Hamburg (85) in Tel Aviv lebt. Die beiden trafen sich, und schon bald war klar: Bei dem identitäts­losen Jungen vom Bullenhuse­r Damm kann es sich nur um Gretes Bruder Walter gehandelt haben.

Nicht nur für die KZ-Gedenkstät­te, auch für die Schwester ist damit ein jahrzehnte­langes Rätselrate­n vorbei. „Ich bin so erschütter­t, kann gar nicht meine Gefühle beschreibe­n“, sagt sie. „Mein Vater, meine Mutter, Walter und ich wurden im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Die Männer und Kinder wurden von uns getrennt. Walter hatte seine Kappe vergessen, kam zurück, um sie zu holen. Danach war er der letzte in der Reihe, hat sich umgedreht, gewinkt und gelächelt. Das war das letzte Mal, dass wir ihn gesehen haben.“

Inzwischen lässt sich rekonstrui­eren, was mit Walter weiter geschah. Er gehörte zu den Kindern, die sich der Mediziner Dr. Kurt Heißmeyer von Auschwitz nach Neuengamme bringen ließ, um mit ihnen furchtbare Tuberkulos­e-Versuche zu machen. Dann kam am 20. April 1945 aus Berlin der Befehl, die Experiment­e abzubreche­n und die Kinder zu exekutiere­n.

Eines der letzten Rätsel um den Mord ist nun geklärt. Ein anderes nicht: Ob wohl jemals auch die Identität von „H. Wassermann“gelüftet werden kann, dem 20. Opfer? Um ein Mädchen aus Polen soll es sich gehandelt haben. Mehr ist nicht bekannt.

„Walter hat gewinkt, dann haben wir ihn nie wiedergese­hen“Grete Hamburg, die Schwester

 ??  ?? Als Kinder wurden
sie in Auschwitz getrennt: Grete und
Walter Jungleib. Jetzt erfuhr Grete,
dass er zu den 20 Ermordeten vom Bullenhuse­r Damm
gehörte.
Als Kinder wurden sie in Auschwitz getrennt: Grete und Walter Jungleib. Jetzt erfuhr Grete, dass er zu den 20 Ermordeten vom Bullenhuse­r Damm gehörte.
 ??  ?? Der Tatort ist heute eine Gedenkstät­te: Im Keller der Schule am Bullenhuse­r Damm wurden die 20 Kinder erhängt.
Der Tatort ist heute eine Gedenkstät­te: Im Keller der Schule am Bullenhuse­r Damm wurden die 20 Kinder erhängt.
 ??  ?? Missbrauch­te die Kinder für Versuche: Dr. Kurt Heißmeyer
Missbrauch­te die Kinder für Versuche: Dr. Kurt Heißmeyer

Newspapers in German

Newspapers from Germany