Hamburger Morgenpost

Punk-Theater

Musiker Schorsch Kamerun und „Tatort“-Schauspiel­er Fabian

- Von WIEBKE TOMESCHEIT

Ein Elektroaut­o auf der Bühne. Eine Gruppe weißrussis­cher Tänzer in Trachten. Ein langer, zäher Monolog. Dazu Musik. So beschreibe­n Kritiker die beiden Aufführung­en von „Ich habe um Hilfe gerufen – Es kamen Tierschrei­e zurück“, die im November im „HAU“-Theater Berlin zu sehen waren. Das Theaterpro­jekt von Schorsch Kamerun, Mitglied er Hamburger Punk-Band Die Goldenen Zitronen, und „Tatort“-Schauspiel­er Fabian Hinrichs kommt nun auch in Hamburg auf die Bühne. Die MOPO hat Schorsch Kamerun gefragt, was hinter dem Stück mit dm sperrigen Namen steckt.

„Wir hatten eine kleine Vorgabe: Es sollte um Marx und ,Das Kapital’ gehen“, sagt der 52-Jährige. „Wir haben uns überlegt: Was ist Kapital heute? Es gibt ja nicht mehr den bösen Fabrikante­n – heute ist man vielmehr selbst das Kapital. Man muss sich vermarkten. Das hat viel mit Identität zu tun.“

,Identität’ ist dann auch der Dreh- und Angelpunkt des Stücks, das an zwei Abenden auf Kampnagel zu sehen sein wird. „Du hast ja eigentlich 100 Identitäte­n, kannst jeden Tag jemand anders sein. Das ist natürlich auch eine Überforder­ung. Nicht umsonst gibt es Sachen wie Burn-out.“

Selbstverm­arktung, Selbstdars­tellung, Selbstausb­eutung. „Es ist schwierig, heute eine klare Identität zu haben. Wir konnten damals mit den Goldenen Zitronen noch Punks sein – und sind den Konservati­ven damit auch auf die Nerven gegangen. Wir haben noch Franz-Josef Strauß erlebt, der sagte, wir sollten uns mal die Haare waschen!“

Es sei inzwischen sehr viel schwierige­r, wirklich anzuecken, eine Protesthal­tung anzunehmen. „Ich weiß nicht, vielleicht geht man dann heute zum IS?“

Sein eigenes Konzept von Protest ist ein gänzlich anderes. „Besonnenhe­it. Heute ist alles ein Event. Aber mich macht diese ,Eventisier­ung’ melancholi­sch – ich finde es traurig, zu sehen, wenn da der Schlagermo­ve vorbeizieh­t. Mit Spektakel – und mit Angst – lassen sich Sachen gerade am Besten verkaufen.“

„Franz-Josef Strauß wollte, dass wir uns die Haare waschen.“Schorsch Kamerun (52)

Sein Theaterpro­jekt wird deshalb kein Spektakel. Also keines, was Kamerun als solches bezeichnen würde. „Ich habe mich mit Fabian Hinrichs zusammenge­setzt. Wir haben Texte gesammelt. Ich glaube, dass er eine besondere zeitgenöss­ische Figur ist.“

Auf jeden Fall wird aber die Tanzgruppe aus Minsk, die die Berliner Kritiker so irritierte, auch in Hamburg dabei sein. „Müssen sie!“, sagt Kamerun entschiede­n. „Von Weißrussla­nd sagt man ja, es sei eine der letzten europäisch­en Diktaturen. Und diese Gruppe gehört da zur Independen­t-Szene. Das heißt, sie hat ganz andere Gegnerscha­ften als wir hier!“

Komplett durchgepla­nt ist „Ich habe um Hilfe gerufen – Es kamen Tierschrei­e zurück“aber nicht. „Ich mag es, nicht genau zu wissen, was auf der Bühne passiert.“

Kampnagel: 9. und 10.12., Jarrestraß­e 20, 22 Euro, Tel. 27 09 49 49

„Ich mag es, vorher nicht genau zu wissen, was auf der Bühne passiert.“

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 ??  ?? Schorsch Kamerun am Mikrofon: Mit den Goldenen Zitronen und weiteren Musikern bei der großen „Golden Pudel-Gala“2010
Schorsch Kamerun am Mikrofon: Mit den Goldenen Zitronen und weiteren Musikern bei der großen „Golden Pudel-Gala“2010

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