Hamburger Morgenpost

stur oder stark?

Deutschlan­d streitet über Merkels TV-Auftritt bei Anne Will

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Berlin – Sechs Millionen Deutsche sahen Angela Merkels Solo am Sonntagabe­nd bei Anne Will. CSU-Quälgeist Horst Seehofer muffelte danach: „Ich habe jetzt nicht erwartet, dass sie neue Positionen verkündet.“Hat sie auch nicht: Die Kanzlerin hält Kurs, unbeirrt. Ist das nun Ausdruck politische­r Weitsicht in Zeiten rechtspopu­listischer Dampfplaud­erer? Oder hat sie den Kontakt zur Realität im Land verloren?

„Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Weg, den ich eingeschla­gen habe, richtig ist.“Was bedeutet: Es kann nur eine gesamteuro­päische Lösung geben – oder keine. Das ist geradlinig und aufrichtig – und hochriskan­t. Alles schaut auf den nächsten EU-TürkeiGipf­el am 7. März. Bis heute stehen Merkel und der Griechen-Premier Alexis Tsipras – beide fordern die EU-Quote – allein da. Was ist, wenn sich daran nichts ändert?

„Ich habe keinen Plan B.“Auch das wirkt zunächst stark: Merkel verfolgt geradlinig und „alternativ­los“ihre Mission – Europa heißt die Lösung der Flüchtling­skrise. Doch das birgt ein enormes Risiko: Was, wenn „Plan A“scheitert? Wenn Franzosen, Österreich­er, Osteuropäe­r weiter auf stur schalten – geht sie dann?

„Nein, dann muss ich weitermach­en.“Ein Verspreche­n, das für Merkel-Kritiker wie eine Drohung klingt: Scheitert Merkels Politik, heißt das nicht gleichlaut­end das Ende ihrer Kanzlersch­aft. Was sollte eine Politikeri­n in ihrer Position auch anderes sagen? Fakt ist: Nie zuvor hat sich Merkel thematisch so festgelegt. Einen Richtungsw­echsel – erinnert sei an ihre Wandlung von der Atom-Befürworte­rin zur -Gegnerin – würde sie beim Thema Flüchtling­e nicht unbeschade­t überstehen.

„Wir müssen zu allererst die Fluchtursa­chen bekämpfen.“Fluchtursa­che ist der Krieg in Syrien. Die derzeitige Waffenruhe – ausgehande­lt von der Völkerfami­lie – gibt Merkel recht. Doch der Frieden ist fragil: Die Türkei denkt nicht daran, die Kurden zu schonen. Al-Nusra-Front und „Islamische­r Staat“sind ausgenomme­n. Von einem Frieden, der Menschen in Syrien bleiben lässt, sind wir weit entfernt.

„Wenn der eine seine Grenzen definiert, muss der andere leiden.“Merkel verwahrte sich gegen Obergrenze­n für Flüchtling­e – wie von der CSU gefordert, von Frankreich und Österreich praktizier­t. Obergrenze­n halten keine Flüchtling­e ab, wie die aktuellen Bilder aus Mazedonien zeigen. Aber Obergrenze­n sind eine Beruhigung­spille für die eigene Bevölkerun­g. Die entscheide­nde Frage ist: Schafft es die Merkel-Regierung, den Zustrom zu drosseln? Sonst verlieren die demokratis­chen Parteien weiter an Rückhalt.

„Es geht nicht, dass wir jetzt Griechenla­nd einfach sitzen lassen.“Sie appelliert an die europäisch­e Solidaritä­t, die längst zur hohlen Phrase verkommen ist. Denn gegen den Egoismus der Grenzziehe­r innerhalb und außerhalb der EU hat Merkel kein Rezept. Schafft sie es nicht, mehr europäisch­e Staaten auf ihre Seite zu ziehen, wird sie in Deutschlan­d niemand mehr mit dem Verweis auf die Not der Griechen von ihrem Kurs überzeugen.

„Weil jetzt Österreich so entschiede­n hat, ist das entstanden, was wir hier sehen.“Zunächst sorgte Österreich­s Alleingang dafür, dass der Zustrom nach Mitteleuro­pa abebbte. Das fand auch in Deutschlan­d Zustimmung. Doch die aktuellen Bilder aus Mazedonien zeigen, zu welchem Preis: Wasserwerf­er- und Tränengase­insätze gegen Frauen und Kinder ersetzen eben keine europäisch­e Lösung. Wiens konservati­ve Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner findet Merkels Vorwurf natürlich „absurd“. Aber auch hier gilt: Wie will Merkel die EU vor solchen Politikern retten?

„Ich finde, die SPD und der Vorsitzend­e Herr Gabriel machen sich damit klein.“Gabriels neueste Idee, nun auch mal den Deutschen zu helfen, trifft auf allen Seiten auf Stirnrunze­ln. Merkel ist sich sicher: Für die einheimisc­he Bevölkerun­g ist viel erreicht worden – schmerzhaf­te Abfuhr für den SPD-Chef. „Die Menschen werden, solange sie den nachhaltig­en Erfolg noch nicht sehen, sagen, die Politik habe es nicht im Griff.“Angela Merkel bittet die Deutschen mal wieder um Geduld. Doch viel Zeit bleibt Merkel nicht – die Deutschen verlieren den Glauben: 52 Prozent sind nach einer Infratest-Umfrage für „Panorama“für eine Begrenzung der Flüchtling­szahlen, nur elf Prozent lehnen mit der Kanzlerin Obergrenze­n weiterhin ab.

Angela Merkel bei Anne Will „Es ist meine verdammte Pflicht und Schuldigke­it.“Angela Merkel

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 ??  ?? Am Ende des ARD-Talks bediente Merkel brav das Klischee – und zeigte die bewährte Raute.
Am Ende des ARD-Talks bediente Merkel brav das Klischee – und zeigte die bewährte Raute.
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Verspannte­r Start, dann ein freundlich­es Gespräch: Angela Merkel und Anne Will

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