Hamburger Morgenpost

Biedermann und Bestie

Nach 23 Jahren sind Lüneburger Ermittler auf der Spur von Kurt-Werner W. – dem vielleicht schlimmste­n Serienmörd­er der Nachkriegs­geschichte

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL und ANASTASIA IKSANOV

Diese Augen! Wer die Fotos von Kurt-Werner W. betrachtet, vergisst sie nie wieder. Zu diesen Bildern gibt es einen schrecklic­hen Verdacht: Der blonde Mann soll der schlimmste Serienmörd­er Norddeutsc­hlands gewesen sein. Aktuell ermittelt eine SoKo der Lüneburger Polizei, ließ bereits auf verschiede­nen Friedhöfen Leichen exhumieren.

Die Wiederaufn­ahme des Verfahrens ist das Ergebnis eines komplizier­ten Puzzles. Ermittler haben über Jahre Indizien zusammenge­tragen. Die MOPO kennt die Details: Sie ergeben das Bild eines zutiefst kriminelle­n Mannes, das wir in den kommenden Tagen Stück für Stück veröffentl­ichen werden.

Es zeigt ein verpfuscht­es Leben, das immer wieder um Gewaltverb­rechen kreist. Es gibt Ermittlung­en und Urteile gegen ihn, eine Haftstrafe, eine Flucht. Und einen seltsamen und dünnen Anstrich der Normalität, mit dem Kurt-Werner W. seine Abgründe zu kaschieren versuchte.

Kurt-Werner W. hat vergewalti­gt und gequält. Das wusste man schon länger. Was jetzt im Raum steht, ist viel monströser als das. Sieben Morde

könnten auf sein Konto gehen – darunter die Göhrde-Morde, Fälle, die damals das ganze Land in Atem hielten.

Zwischen seiner ersten Straftat und seinem Selbstmord 1993 vergehen 29 Jahre.

Diese Zeit wird jetzt von der Lüneburger Kripo bis ins Kleinste überprüft. Denn: Die Tatmuster vieler weiterer Fälle passen zusammen. Als sicher sehen die Ermittler inzwischen an, dass Kurt-Werner W. 1989 im Raum Lüneburg die damals 41 Jahre alte Birgit M. ermordet hat. Die Leiche wurde nie gefunden. Hat der Friedhofsg­ärtner sie in einer frischen Grabstelle vergraben? Aber der Reihe nach.

Brutal schon als Teenager: Kurt-Werner W. wird 1949 geboren. Sein Vater arbeitet bei einem Energie-Unternehme­n. Die Dinge laufen schnell aus dem Ruder. Mit 14 Jahren wird die „vorläufige Fürsorgeer­ziehung“angeordnet. Der Junge kommt in das „Wichern-Stift“.

1964 dringt der 15-Jährige bewaffnet mit einem Dolch ins Haus der Nachbarin ein und versucht, Geld zu stehlen. Als die Frau erwacht, würgt er sie und flieht. Kurt-Werner wird zu Jugendarre­st verurteilt. Danach beginnt er eine Lehre als Elektriker. Die erste Sex-Attacke mit 16:

1965 betatscht der Junge in Bardowick, einem Dorf bei Lüneburg, eine Radfahreri­n. 1967 begeht er einen Betrug. Als Kripoleute ihn festnehmen wollen, droht er ihnen mit einem Kleinkalib­ergewehr. Die Beamten schießen, verletzen den 18-Jährigen am Bein. Er entkommt zunächst, wird später zu einem Jahr Jugendknas­t verurteilt.

1970: Er vergewalti­gt eine 17Jährige. Tatort Elbe-Seiten-Kanal. Das Opfer: eine Anhalterin. Kurt-Werner W. vergewalti­gt die 17-Jährige und versucht, sie zu erwürgen. Er legt das leblose Opfer in den Kofferraum seines Autos und rast in einen Wald. Als er die Klappe öffnet, attackiert die inzwischen wieder erwachte Frau ihn mit einem Spaten. Werner W. schlägt den Kofferraum­deckel zu und rast davon. Später lässt er die Frau frei.

Die Kripo ermittelt KurtWerner W. als Täter, findet bei ihm zwei Kleinkalib­ergewehre. Das Urteil wird 1971 gefällt: Fünfeinhal­b Jahre Haft. KurtWerner W. verbüßt die Strafe im Knast Wolfenbütt­el und wird 1974 entlassen.

Der Mordfall Ilse Gerkens: Bei der Hausdurchs­uchung, die zu W.s Haftstrafe führte, fanden die Ermittler auch Zeitungsau­sschnitte von 1968 über den Mord an Ilse Gerkens. Die Frau war in Lüneburg von einem Unbekannte­n vom Rad geschossen worden – mit einem Kleinkalib­ergewehr, wie es auch bei anderen Fällen eingesetzt wurde. Doch niemand scheint damals diese Spur weiterverf­olgt zu haben. Das bürgerlich­e Leben – und

ein geheimer Raum: Bis in die 80er Jahre hält Kurt-Werner W. sich in Karlsruhe auf, kehrt dann nach Lüneburg zurück. W. hat von seinem Vater das Haus und mehr als 15 000 Quadratmet­er Land geerbt.

Kurt-Werner W. hat inzwischen geheiratet und bezieht das Haus mit seiner Ehefrau. Doch ein Zimmer ist für sie tabu: der „geheime Raum“im Obergescho­ss. Bis zu seinem Freitod 1993 hat sie den Raum vermutlich nie betreten.

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Warum vergräbt man einen Neuwagen im Garten? Diese Frage wollen die Ermittler jetzt klären.
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Der Ford wird geborgen. Im Fahrzeug schlugen später Leichenspü­rhunde an.
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In seinem Lüneburger Haus hatte der Täter ein „geheimes Zimmer“.
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Blonde Föhnfrisur: Kurt-Werner W. legte großen Wert auf sein Äußeres.

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