Toben vor Wut
Heftige Proteste nach dem Völkermord-Beschluss des Bundestages
Sonnabend, 4. Juni 2016 Istanbul – Die Türkei schäumt. Der Beschluss des Bundestags, die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord zu bezeichnen, hat im Land zu wütenden Protesten geführt. Etliche Demonstranten in osmanischen Uniformen skandierten antideutsche Parolen, trugen Plakate mit Hakenkreuzen. Auf Transparenten wurde Deutschland als „faschistisch“bezeichnet.
Zum Schutz vor den antideutschen Protesten riegelte die türkische Polizei die Umgebung vor dem deutschen Generalkonsulat in Istanbul ab und ließ Wasserwerfer auffahren.
Grenzenlose Wut auch bei türkischen Politikern. Justizminister Bekir Bozdag sprach Deutschland wegen der Judenvernichtung der Nazis das Recht auf Kritik an der Türkei ab. „Erst verbrennst du die Juden im Ofen, dann stehst du auf und klagst das türkische Volk mit Genozidverleumdungen an“, wird er von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zitiert.
Bereits gestern hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan den Botschafter aus Berlin nach Ankara zurückbeordert. Die deutsch-türkischen Beziehungen seien ernsthaft beschädigt, sagte er.
Drei der vier im türkischen Parlament vertretenen Parteien sprachen der Resolution des Bundestags „jede historische und rechtliche Gültigkeit“ab. In einer gemeinsamen Erklärung forderten Erdogans AKP sowie die Oppositionsparteien CHP und MHP die Regierung auf, zur Wahrung der türkischen Interessen „die nötigen Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen“. Das Parlament sei zu jeder Unterstützung bereit.
Massive Reaktionen auch in der türkischen Medienlandschaft, Hakenkreuze und Kanzlerin Merkel mit Hitlerbärtchen auf verschiedenen Titelseiten. Die Zeitung „Sabah“– die Positionen der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP wiedergibt – erscheint mit Blick auf das Bündnis zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg mit der Schlagzeile: „Unser Waffenbruder ist uns in den Rücken gefallen.“Zu der Bundestags-Entscheidung meinte das Blatt: „Dadurch ist die Schicksalsgemeinschaft, die im Ersten Weltkrieg begonnen hat, Geschichte. (...) Unsere Soldaten haben ihr Leben offenbar umsonst für Deutschland gegeben.“
Mit überwältigender Mehrheit (nur eine Gegenstimme) hatte der Bundestag die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich am Donnerstag als Völkermord verurteilt.