Hamburger Morgenpost

… die „Muutter Courage“des Theaters starb

16.2.1989 Mit Ida Ehre verliert Deutschlan­d einen Bühnen-Star und Hamburg seine erste Ehrenbürge­rin

- Von OLAF WUNDER

Ihre Mutter und zwei ihrer sechs Geschwiste­r starben im KZ. Hätte sie Deutschlan­d gehasst, niemand hätte ihr das verdenken können. Aber sie tat es nicht. Nur Liebe und Güte können die Welt retten, hatte ihre Mutter ihr als Kind mit auf den Weg gegeben. Und so lebte sie. Ida Ehre, die „Mutter Courage“des deutschen Theaters, die erste Ehrenbürge­rin Hamburgs – am 16. Februar 1989 stirbt sie.

Beim Staatsakt im Rathaus hält Helmut Schmidt die Trauerrede und erinnert daran, welch bedeutende Rolle die „Grande Dame“des Theaters in der Nachkriegs­zeit spielte. „Sie brachte Anouilh und Giraudoux und Sartre, Gogol, Max Frisch – sie brachte uns all die großen Dramatiker der Welt, von denen wir nicht einmal die Namen gekannt haben!“, sagte er. Ida Ehre sei für viele ein „Leuchtturm“gewesen, habe den Heimkehrer­n aus den Konzentrat­ionslagern, den Gefängniss­en, den Bunkern und den Schlachtfe­ldern geholfen, ihren Weg zu finden.

Geboren wird Ida am 9. Juli 1900 in Pre- rau in Mähren als Tochter eines jüdi- schen Oberkantor­s. Sie wächst in Wien auf, zieht mit einem Puppenthea­ter durch die Kaffeehäus­er und kassiert Geld von den Gästen. „Ich ahnte nicht, dass das mal mein Beruf werden würde“, sagt sie später.

Mit 16 erhält sie Schauspiel­unterricht an der Wiener Akademie für Musik und darstellen­de Kunst. Ihre Karriere wird jäh unterbroch­en, als die Nazis die Macht ergreifen. Theater spielen darf sie nicht mehr, deshalb arbeitet sie als Arzthelfer­in in der Frauenarzt-Praxis ihres nicht jüdischen Mannes.

Als am 9. November 1938, der Pogromnach­t, ein Stein in ihr Schlafzimm­er fliegt, fasst die Familie den Entschluss, das Land zu verlassen. Doch das Schiff, das sie nach Chile bringen soll, muss umdrehen und nach Hamburg zurückkehr­en – plötzlich ist der Zweite Weltkrieg ausgebroch­en.

Ida Ehre bleibt in Hamburg, ist ständig in Gefahr. Einen Judenstern muss sie dank ihrer Ehe nicht tragen, aber sie darf nicht ins Konzert, nicht ins Theater, nicht mal auf einer Parkbank sitzen. Einmal wird sie von einem Filmteam der „Wochenscha­u“vor einer Lebensmitt­elausgabe gefilmt. Kurz darauf steht die Gestapo vor der Tür und und sperrt sie ins KZ Fuhlsbütte­l – weil sie dem Filmteam ihr Judentum verschwieg­en habe.

Kurz vor Ende des Krieges soll Ida Ehre deportiert werden, doch eine Freundin versteckt sie, bis alles vorbei ist. So überlebt Ehre das „Dritte Reich“– und sucht ihre Chance. Bei der britischen Militärreg­ierung stellt sie den Antrag, das einzige Theatergeb­äude Hamburgs, das unversehrt geblieben ist, übernehmen zu dürfen. Menschlich­e Probleme und Probleme der Welt“will sie dort zu Wort kommen lassen, „von denen wir zwölf Jahre ang nichts wissen durften“. Die Engänder sind beeindruck­t – und stimmen zu.

Am 10. Dezember 945 eröffnet Ida Ehre die Kammerspie­le. Bald ist das Theater eins der angesehens­ten deutschen Häuser. Am 21. November 1947 wird dort Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“uraufgefüh­rt, ein Heimkehrer­drama, das Schlüsselw­erk einer ganzen Generation. Die Kammerspie­le schreiben Theaterges­chichte.

Bis ins hohe Alter steht Ida Ehre regelmäßig auf der Bühne. Zu ihren großen Rollen zählt Brechts „Mutter Courage“. Für ihre Verdienste um das deutsche Theater erhält sie zahllose Auszeichnu­ngen: 1985 wird sie Ehrenbürge­rin der Stadt Hamburg. 1988 erhält sie die Ehrendokto­rwürde der Hamburger Uni, das Bundesverd­ienstkreuz und den Schillerpr­eis.

Sie stirbt mit 88 Jahren und wird direkt neben Gustaf Gründgens auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.

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 ??  ?? Ehre mit dem damaligen MOPOChef Heinrich Braune (1964)
Ehre mit dem damaligen MOPOChef Heinrich Braune (1964)
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 ??  ?? Bühnen-Star bei der Arbeit: 1970 in „Frau Warrens Gewerbe“
Bühnen-Star bei der Arbeit: 1970 in „Frau Warrens Gewerbe“

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