Bringen Depressionen Mörder hervor?
Erst Andreas Lubitz, jetzt Ali David S.: Beide waren krank und wurden zum Killer
Von OLAF WUNDER
Hamburg
– Co-Pilot Andreas Lubitz litt unter Depressionen – und riss 150 Menschen mit in den Tod, als er eine GermanwingsMaschine in den französischen Alpen zum Absturz brachte. Das war im März 2015. Jetzt hat ein 18 Jahre alter depressiver Mann neun Unbekannte einfach so erschossen. Können Depressionen einen Menschen in ein Monster verwandeln?
„Mit großer Sicherheit kommt eine Depression des Täters als Ursache für den Amoklauf in München nicht in Frage“, sagt Professor Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Leipzig. Er gilt als Kapazität in Sachen Depression. Hegerl sagt: „Selbst wenn der Amokläufer wegen einer Depression behandelt worden ist, so heißt dies nicht, dass diese bei der Tat eine Rolle gespielt hat.“Depressive Menschen seien nicht häufiger gewalttätig als andere. Im Gegenteil: In der depressiven Krankheitsphase neigen Betroffene zu übertriebenen Schuldgefühlen. „Sie geben immer sich selbst die Schuld, nicht anderen, und würden deshalb nie auf den Gedanken kommen, fremde Menschen in einem Amoklauf zu töten.“
Der US-Experte Peter Langman, der das Buch „Amok im Kopf“geschrieben hat, das die Polizei im Zimmer von Ali David S. fand, stimmt Hegerl zu. Zwar litten neun von zehn Amokläufern, die er untersuchte, an Depressionen. Auslöser sei die Depression hingegen nicht gewesen. Langman: Es gibt „keine einfache Erklärung für das Phänomen des jugendlichen Amokläufers oder eine Formel, nach der sich voraussagen ließe, wer zum Massenmörder wird. Das Problem ist zu komplex.“
Aus Sicht der Gießener Kriminologin Britta Bannenberg ist Ali David S. ein „typischer Amokläufer“. „Ein junger Mann, ein egoistischer Einzelgänger, still, zurückgezogen, schwer zugänglich“, sagt sie. „Diese Täter haben eine Persönlichkeitsstörung, sie sind Narzissten. Sie fühlen sich nicht anerkannt, ungerecht behandelt, tragen ein Grundgefühl der Kränkung mit sich herum.“Laut Bannenberg ist ein Amokläufer ein Mensch, „der mit dem Leben nicht zurechtkommt. Er lehnt die Menschen ab und verachtet sie, weil sie ihn in seiner von ihm selbst empfundenen Großartigkeit nicht würdigen.“Er entwickele Hass- und Gewaltfantasien und sucht dann irgendwann den „großen Abgang“. Dabei kalkuliere er seine eigene Tötung mit ein.
Bannenberg hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Häufung von Gewalttaten in jüngerer Zeit – Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg – den Amoklauf ausgelöst hat. „Die breite Berichterstattung über diese Anschläge kann den 18-Jährigen angeregt haben, seine schon lange bestehenden Pläne nun umzusetzen, sie vielleicht früher auszuführen.“
Für Unsinn hält Bannenberg die Diskussion darüber, dass gewaltverherrlichende Computerspiele schuld sind am Amoklauf. Solche Spiele können „einen verstärkenden Effekt auf die Tötungsfantasien haben, sie sind aber nicht die Ursache“. Allerdings warnt Bannenberg Eltern: Wenn Kinder stundenlang in die Welt von Ego-ShooterSpielen abtauchten, sei das ein Alarmsignal und ein Anlass, genau hinzugucken, was los ist.