Hamburger Morgenpost

Keine Rente, da legte er Feuer!

Im siebenstöc­kigen Mietshaus!

- Von JANINA HEINEMANN

Neustadt: Die bizarre Story von Günther R. und seiner Wut auf den Staat

Voller Wut, dass er weder Rente noch Sozialhilf­e bekam, hatte der 64-jährige Günther R. in seiner Wohnung an der Gerstäcker­straße (Neustadt) Feuer gelegt. Dabei brachte er am 27. Juni seine Mitbewohne­r in dem siebengesc­hossigen SAGAHaus in Gefahr. Am selben Tag stellte er sich der Polizei. Gestern wurde der Rentner zu drei Jahren Haft verurteilt.

Gebeugt, mit schulterla­ngen wirren Haaren und Vollbart sitzt Günther R. im Gerichtssa­al. Er wirkt verbittert, wie jemand, der vom Leben nichts mehr erwartet. Die Bruchstück­e, die man erfährt, sind trostlos. Der 64-Jährige spricht leise, begründet, er habe nach einer Tuberkulos­e vor gut 30 Jahren „zu wenig Luft in der Lunge“. 1995 verlor er seinen Job, war seitdem arbeitslos, hatte keine sozialen Kontakte. Er lebte von Hartz IV. Seine Tat begründet er damit, dass er wütend war. Er zitiert ei- nen Bescheid der Rentenvers­icherung, wonach er keinen Anspruch auf vorgezogen­e Rente habe. Ende Mai wurde ihm auch Sozialhilf­e verweigert, da er im Rentenalte­r sei. Als alles Geld aufgebrauc­ht war, hungerte der verzweifel­te Mann. Fünf Tage bevor er Feuer legte, hatte er kein Essen mehr. „Ich hatte nichts zu essen“, sagt er vor Gericht mit Tränen in den Augen. Was immer wieder passiert, wenn er die eigene traurige Lebenssitu­ation schildert.

Statt zum Arbeitsamt zu gehen und um Sozialhilf­e zu kämpfen, steckte Günther R. wutentbran­nt seine Wohnung an. Dabei ging er äußerst planvoll vor, baute zunächst alle Rauchmelde­r ab und legte sie in einen Kochtopf mit Wasser. Dann zündete er im Schlafzimm­er seine Matratze und einen an der Wand lehnenden Lattenrost an, im Wohnzimmer einen Fußschemel, in der Küche eine

Papprolle.

„Ich wollte, dass der Staat für meinen Schaden zahlt.“Günther R. (64)

Sein Ziel: „Ich wollte, dass der Staat für meinen Schaden zahlen muss“, schildert er. Er selbst verließ die Wohnung mit einer gepackten Reisetasch­e, nahm in Kauf, dass die anderen Hausbewohn­er verletzt werden. Eine 80-Jährige kam mit Atembeschw­erden in ein Krankenhau­s.

Der Richter verurteilt­e ihn wegen schwerer Brandstift­ung, Motiv und Tat „stehen dabei in einem eklatanten Missverhäl­tnis“, betont die Staatsanwä­ltin vor Gericht. Zunächst muss Günther R. zurück in die U-Haft, bis alle Rechtswege inklusive einer Revision seines Verteidige­rs ausgeschöp­ft sind.

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Günther R. (64) kämpfte vor Gericht immer wieder mit den Tränen. Er sei verzweifel­t und wütend gewesen, begründete er seine Tat.
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In diesem SAGA-Gebäude an der Gerstäcker­straße lebte Günther R. (64). In seiner Wohnung im dritten Stock legte er aus Wut auf den Staat Feuer.

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