Hamburger Morgenpost

Der Ghetto-Künstler

Der Hamburger Jan Siebert lebt in Rio und malt die dunklen Ecken der Stadt

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Von NILS WEBER

Copacabana, Zuckerhut, Bikini-Beautys – für die Postkarten­motive von Rio de Janeiro hat sich der Maler Jan Siebert nie interessie­rt. Den Hamburger, der seit vielen Jahren in Brasiliens Metropole in einer Favela lebt, fasziniert die dunkle Seite der Stadt, die er auf ungewöhnli­che Weise auf die Leinwand bringt und dabei sogar schon unter Beschuss geriet.

Wenn sich Rio schlafen legt, beginnt für Siebert der Tag. Dann macht sich der 44-Jährige mit Staffelei, Leinwand, Pinseln, Farben und Taschenlam­pe auf in die Schattenwe­lt der brasiliani­schen Metropole, die ihm Nacht für Nacht als Atelier dient.

„Wie malt man Dunkelheit?“, diese Frage habe am Anfang seiner Kunst gestanden, sagt „Nachtmensc­h“Siebert, den die MOPO während der Olympische­n Spiele in seinem Haus in der Favela Vidigal besucht hat.

Die Antwort auf diese Frage kann man heute und morgen in der Event-Location „Eiskeller“in Hamburg bewundern. Es ist die erste große Werkschau Sieberts – „ein Teil meines Lebens“.

Es ist ein ungewöhnli­ches Leben. Mit 24 Jahren war der Kunststude­nt nach Mexiko ausgewande­rt, wo er weiterstud­ierte und nach sieben Jahren nach Brasilien zog, über Santos und Sao Paulo nach Rio. „Lateinamer­ika hat mich schon früh fasziniert. Außerdem war mir der Akademie-Kram in Hamburg zu piefig, und den Leuten dort waren meine Ideen und Sachen zu abgefreakt.“

Speziell und mitunter spektakulä­r ist seine Arbeitswei­se. Siebert, längst ein anerkannte­r Künstler, malt seine Bilder vor Ort. Und immer nachts. Dafür kehrt er manchmal über Wochen an denselben Platz zurück, der ihn in seinen Bann zieht. Szenen einer Stadt, wie sie Touristen nie sehen.

Es kann passieren, dass Siebert mitten in einem Straßentun­nel arbeitet. Oder an Treffpunkt­en für Gangster und Prostituie­rte. Oft gewann er ihr Vertrauen, malte sie und irgendwann verwahrten sie sogar seine Malutensil­ien. „Man wird so langsam ein Teil des Lebens, das man malt“, erzählt er. Das mache seine Bilder sehr echt und lebendig. „Ich suche nicht die Gefahr“, betont Siebert, „sondern das Motiv. Aber manchmal ist es dort, wo ich male, gefährlich.“

Lebensgefä­hrlich wurde es vor vier Jahren ausgerechn­et in seiner als friedlich geltenden Favela. Siebert hockte nachts im Gassenlaby­rinth vor seiner Staffelei, als er einen Ruf hörte und dann einen Schuss, der in seine Richtung abgefeuert wurde.

„Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Dann brüllte jemand, ich solle meine Waffe auf den Boden legen. Ich war total verdattert, aber dann legte ich ganz langsam meinen Pinsel hin.“Es waren Polizisten auf Patrouille, die ihn für einen Gangster gehalten hatten. „Heute kann ich darüber lachen.“Das Bild hat er „Der Schuss“genannt.

Ausstellun­g im „Eiskeller“,

Lessers Passage 4, Heute 18 bis 24 Uhr, morgen 14 bis 24 Uhr, Eintritt frei.

„Ich suche nicht die Gefahr, ich suche das Motiv.“Jan Siebert

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Wochenlang hat Jan Siebert an solchen Nachtszene­n gearbeitet.
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