Wie kann man heute noch an Gott glauben?
Erzbischof Stefan Heße im Interview
MOPO: Heute Morgen hat mich mein kleiner Sohn am Frühstückstisch gefragt: Glaubst du an Gott? Stefan Heße: Was haben Sie geantwortet?
Nein. Das ist ehrlich. Gut habe ich mich dabei nicht gefühlt. Wenn Sie da Pirouetten drehen, müssen Sie später etwas zurücknehmen, was der Junge sich schon in den Kopf gesetzt hat. Dann haben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Es ist auch der Terror, der mir die Idee von Religion generell verleidet hat. Was antwortet eigentlich ein gläubiger Mensch jemandem, der sagt: „Mein Gott befiehlt mir zu töten? Ein Gott, der Gewalt anwendet, ist nicht der Gott, an den ich glaube. Der christliche Gott ist seit Jesus Christus jemand, der geradegerückt hat: Es geht nicht um Gewalt, es geht nicht um Macht, es geht um Liebe. Gott ist Liebe. Und Liebe geht manchmal auch den Weg der Ohnmacht. Liebe respektiert immer Freiheit. Leider bedeutet das hin und wieder dann auch, dass Menschen mit dieser Freiheit schlimme Dinge anstellen. Können Sie angesichts all der globalen Konflikte verstehen, dass manch einer denkt: Ohne Religionen wäre die Welt eine bessere? Ja. Viel Gewalt auf diesem Globus ist religiös motiviert, Und deshalb glaube ich, dass es Frieden nur geben kann, wenn es Frieden zwischen den Religionen gibt. Die Gefahr steckt in Religionen drin, denn es gibt immer Menschen, die sie instrumentalisieren. Sobald ich aber einen Gott instrumentalisiere, mache ich ihn klein. Als ich Kind war, hat meine Oma mit mir vor dem Einschlafen gebetet. Ich fand die Idee eines allmächtigen Gottes tröstlich. Heute habe ich das Gefühl: Das ist als Projektionsfläche eher gefährlich. Wenn der IS sagt, Gott will, dass ihr tötet ... Aber die berufen sich ja auf den Islam ... Aber das Prinzip ist doch in allen Religionen dasselbe. Gott weiß, was gut ist. Gott gibt den Weg vor. Wo ist eigentlich die Selbstverantwortung des Menschen? Die ist im Christentum ganz großgeschrieben. Aber eben auch mit der Gefahr, dass diese Verantwortung verwirkt wird. Wir sind frei und nicht die Marionetten Gottes. Gott ist Liebe. Liebe heißt: Respekt vor dem anderen. Vor mir, vor Ihnen, vor uns. Und das heißt für mich, dass wir Respekt voreinander haben. Auch vor anderen Religionen. Liebe und Respekt. Gute Stichworte. CDU und CSU tragen das Christentum im Namen. Dreht es Ihnen nicht den Magen um, wenn Sie hören, wie skrupellos dort zum Teil Politik auf Kosten von Flüchtlingen gemacht wird?
Jeder, der es wissen möchte, weiß, wie die katholische Kirche dazu steht. Obergrenzen lösen kein Problem. Was machen Sie mit dem Ersten, der nach Erreichen dieser kommt?
Da hat Ideen ... die AfD ja
Populistische Parteien brauchen einen Sündenbock. Das wird der Frage nicht gerecht.
Horst Seehofer müssten Sie angesichts dessen, was er an politischer Scharfmacherei so betreibt, doch eigentlich exkommunizieren.
Das ist in Teilen unsäglich, ja. Ich hoffe, es ist nicht nur politisches Kalkül, es wäre sträflich, mit den Stimmungen und Menschen so zu spielen. Unser Glaube besagt: Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, er hat eine göttliche Würde. Und die ist unantastbar, das steht im Grundgesetz. Man kann diesen Wert nicht hoch genug halten.
Im Moment hat das nicht gerade Konjunktur.
Ja. Aber das muss das A und O sein. Und davon muss sich Politik ableiten lassen. Auch wenn natürlich niemand an den Realitäten vorbeikommt: Das ist auch grundsätzlich nicht verhandelbar.
Die Werte des christlichen Abendlandes. Es muss für Sie schmerzhaft sein, dass Pegida und Co. es geschafft haben, die Hoheit über diesen Begriff zu bekommen.
Es ist oberpeinlich, wenn Leute diesen Begriff nutzen, um gegen Flüchtlinge vorzugehen. Wir haben Weihnachten – das christliche Abendland verdankt sich dem christlichen Morgenland. Und da sind wir auch schnell in Syrien! Die drei Könige etwa kommen aus dem Morgenland.
„Zur Erinnerung: Die Heiligen Drei Könige kommen aus dem Morgenland!“
Warum können AfD und Pegida die politische Diskussion so stark prägen und den Kirchen nicht?
gelingt das
Das ist ein Problem. Aber wir dürfen nicht kaputtreden, was wir in diesem Land alles erreicht haben: Engagement, Integration ... Da gibt es ganz viel Positives und jede Menge Menschen mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Der Diskurs mit Populisten ist schwer. Aber man muss trotzdem weiter sagen, was richtig ist. Positionieren sich die prominenten Christen klar genug in diesen Fragen? Ja. Das gibt es. Die Frage ist, ob es immer entsprechend Resonanz findet. Wir haben vorhin über die bei Ihnen viel gelesenen OnlineThemen gesprochen: So etwas war nicht darunter. Deswegen muss man handeln. Postfaktisch ist das neue Modewort. Für mich bleiben Fakten wichtig. Und ich will positive Fakten schaffen. Die politische Diskussion kreist auch nach dem Berliner Anschlag immer um mehr Sicherheit. Und der Umgang mit Unsicherheit ist ja Ihr Geschäft als Seelsorger... Eine letzte Sicherheit haben Stefan Heße (50) ist Sohn einer Kölner Bäckerfamilie und seit Januar 2015 Erzbischof von Hamburg. Ernannt hat ihn Papst Franziskus. Das Erzbistum Hamburg umfasst die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein sowie den Landesteil Mecklenburg. Heße ist somit oberster Hirte von rund 400 000 Katholiken. Bischofssitz ist der Marien-Dom in St. Georg. Sie hier auf Erden nie. So realistisch muss man sein. Aber unsere Hausaufgaben müssen wir machen. Und auf die Behörden kommt da einiges zu. Wichtig ist nur, dass wir uns nicht zurückziehen.
Zum Abschluss: Wenn Leute aus der Kirche austreten und dann am Heiligabend in die Messe kommen, weil sie das so stimmungsvoll finden – nervt das nicht tierisch?
Wie hat Adenauer gesagt? Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind, es gibt keine anderen. Und das muss auch ein Seelsorger so sehen. Zu Weihnachten und Hochzeit gehört eben die Emotion, das ist in Ordnung. Und manch einer findet dadurch auch einen neuen Zugang zum Glauben. Ich freue mich jedenfalls über jeden, der kommt.