Der Kiez wird immer aggressiver
Der 51-Jährige über die aufgeheizte Atmosphäre, Sexismus und Schwulenhass – was er für Silvester erwartet
Er hat Muckis und Tattoos, kann Kampfsport und boxen. Und dann ist er auch noch in Wilhelmsburg aufgewachsen. Aber damit enden die Türsteher-Klischees, die auf Viktor Hacker zutreffen. Er arbeitet zwar seit 30 Jahren als „Türmann“– wie er seinen Job nennt – aber hauptberuflich ist der 51-Jährige mit der ultratiefen Stimme Synchronsprecher, schreibt KinoKritiken und hat ein Bühnenprogramm. Die MOPO sprach mit ihm über Silvester auf dem Kiez.
MOPO: Wie kommt ein Mensch mit so vielen Talenten dazu, jahrzehntelang als Türsteher zu arbeiten? Viktor Hacker:
Angefangen habe ich hinterm Tresen, teils in einer Schwulenbar, in der mir niemand geglaubt hat, dass ich eine Hete bin. Aber dann haben mich Kistenschleppen, Tresenwischen und die schlechte Luft genervt. Als Türmann musst du nichts schleppen und hast immer frische Luft. Und irgendwie habe ich vielleicht auch Spaß am Konflikt.
Was macht den guten Türsteher aus?
Er sollte nicht als bedrohliches Arschloch rüberkommen sondern deeskalieren können. Ich bin der erste und der letzte Eindruck, den ein Gast vom Club hat.
Arbeiten Sie Silvester auf dem Kiez?
Nein. Ich arbeite nicht und bin auch nicht privat dort unterwegs. Das ist mir Silvester alles viel zu hysterisch. Lauter Betrunkene mit Feuerwerkskörpern. Und du musst den Leuten die Böller abnehmen, bevor sie in die Clubs kommen. Das gibt Diskussionen. Ich hatte mal einen, der wollte den Böller schnell noch anzünden und auf die Straße werfen. Er war so betrunken, dass er stattdessen das Feuerzeug weggeworfen hat und mit dem Böller reinmarschiert ist.
Wieso ist der Kiez Silvester anders?
Die Leute sind konfliktbereiter. Früher waren es einzelne Rowdys, die Ärger gemacht haben. Jetzt sind es die Normalbürger, die dann aggressiv werden. Die stecken die Woche über so in ihren Korsetts, und dann wollen sie die Sau rauslassen. Überhaupt wird alles immer roher – das schlägt Silvester voll durch. Die Leute sind derzeit einfach sehr polarisiert. Auch homophobe, sexistische und fremdenfeindliche Tendenzen nehmen zu – in der Gesellschaft und auf dem Kiez.
Wie haben Sie die vielen sexuellen Übergriffe und Überfälle auf Frauen im vergangenen Jahr erlebt?
In der Masse, in der das passiert ist, hat mich das überrascht. Aber grundsätzlich wird auf dem Kiez natürlich immer geklaut, und Frauen belästigen ist auch nicht neu. Es war plötzlich so wahnsinnig voll, keiner konnte sich mehr rühren. Da wird die Grundstimmung aggressiver. Und die Taschendiebe klauen heute auch nicht mehr unbemerkt, sondern gehen mit roher Gewalt vor.
Ja, und mit Antanz-Maschen. Verhalten sich die Frauen nach dem Silvester-Debakel anders?
Ja. Die Mädels gehen eher in Gruppen, sie stehen in den Clubs länger am Rand, bevor sie auftauen. Antanzen gibt es in den Clubs natürlich auch. Aber leider sagen die Frauen uns fast nie etwas. Dabei sind wir ja da, um ihnen zu helfen. Meist kommt erst beim Rausgehen ein Spruch, dass da ein ätzender Typ auf der Tanzfläche war.
Und beobachten Sie auch mal Übergriffe?
Schon, ja, die gibt es immer. Es sind immer junge Männer in der Gruppe, die übergriffig werden. Aber es gibt in den Clubs auch Männer um die 40, 50 Jahre, gern auch im Anzug, die Ärger machen und rausfliegen. Die kommen dann dem Barpersonal blöd mit sexistischen Sprüchen wie: „Hey Mäuschen, schieb mal deinen entzückenden Arsch hier rüber.“
Ist der Kiez gefährlicher geworden?
Nein. Jedes Wochenende ziehen hier 90000 Menschen über die Meile. Klar passiert da was. In den 90ern kann ich mich noch an Messerattacken erinnern. Jetzt gab es bei mir in den vergangenen fünf Jahren nur eine Handvoll größerer Ereignisse, bei denen es richtig zur Sache ging. Bei Taschenkontrollen findest du weder Messer noch andere Waffen. Da sind dann höchstens Mädels mit Pfefferspray. Das größte Problem an der Tür sind Leute, die mit Fremdgetränken in den Club wollen, und Betrunkene, die reinwollen, aber nicht sollen.
Was macht man als Türsteher, wenn die Klischee-Problemtypen in einer Gruppe kommen und reinwollen?
Das ist immer eine schwierige Abwägung. Du musst ja eigentlich nach dem Verhalten gehen, nicht nach dem Äußeren. Und du musst dich trotzdem schnell entscheiden. Da sind dann auch junge Männer, die als Kerle posen wollen und sich produzieren. Lässt du sie nicht rein, bist du der Nazi-Türsteher. Lässt du sie durch und es gibt Ärger, dann bist du der Schuldige.
Wird dieses Jahr Silvester anders?
Ich glaube nicht, dass weniger Leute kommen. Das wird wieder irre voll. Polizeipräsenz kann vielleicht was bringen, ich weiß es nicht. Der Respekt vor der Polizei ist aber irgendwie weg. Manchmal haben wir Türleute da mehr Einfluss. Ich hoffe, es bleibt ruhig. Aber die Atmosphäre ist so aufgeheizt. Ich habe Angst, dass da Leute rumlaufen, die nur darauf warten, jetzt mal den Sheriff zu spielen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine explosive Stimmung. Das hört man ja immer öfter: Jemand ist noch nicht mal verurteilt, aber schon soll er aufgeknüpft werden. Das Interview führte
„Silvester bin ich nicht auf dem Kiez. Das ist mir dann alles zu hysterisch.“ „Es gibt Männer um die 40, die unheimlich sexistisch zum Personal sind.“