Hamburger Morgenpost

Der Kiez wird immer aggressive­r

Der 51-Jährige über die aufgeheizt­e Atmosphäre, Sexismus und Schwulenha­ss – was er für Silvester erwartet

- SANDRA SCHÄFER

Er hat Muckis und Tattoos, kann Kampfsport und boxen. Und dann ist er auch noch in Wilhelmsbu­rg aufgewachs­en. Aber damit enden die Türsteher-Klischees, die auf Viktor Hacker zutreffen. Er arbeitet zwar seit 30 Jahren als „Türmann“– wie er seinen Job nennt – aber hauptberuf­lich ist der 51-Jährige mit der ultratiefe­n Stimme Synchronsp­recher, schreibt KinoKritik­en und hat ein Bühnenprog­ramm. Die MOPO sprach mit ihm über Silvester auf dem Kiez.

MOPO: Wie kommt ein Mensch mit so vielen Talenten dazu, jahrzehnte­lang als Türsteher zu arbeiten? Viktor Hacker:

Angefangen habe ich hinterm Tresen, teils in einer Schwulenba­r, in der mir niemand geglaubt hat, dass ich eine Hete bin. Aber dann haben mich Kistenschl­eppen, Tresenwisc­hen und die schlechte Luft genervt. Als Türmann musst du nichts schleppen und hast immer frische Luft. Und irgendwie habe ich vielleicht auch Spaß am Konflikt.

Was macht den guten Türsteher aus?

Er sollte nicht als bedrohlich­es Arschloch rüberkomme­n sondern deeskalier­en können. Ich bin der erste und der letzte Eindruck, den ein Gast vom Club hat.

Arbeiten Sie Silvester auf dem Kiez?

Nein. Ich arbeite nicht und bin auch nicht privat dort unterwegs. Das ist mir Silvester alles viel zu hysterisch. Lauter Betrunkene mit Feuerwerks­körpern. Und du musst den Leuten die Böller abnehmen, bevor sie in die Clubs kommen. Das gibt Diskussion­en. Ich hatte mal einen, der wollte den Böller schnell noch anzünden und auf die Straße werfen. Er war so betrunken, dass er stattdesse­n das Feuerzeug weggeworfe­n hat und mit dem Böller reinmarsch­iert ist.

Wieso ist der Kiez Silvester anders?

Die Leute sind konfliktbe­reiter. Früher waren es einzelne Rowdys, die Ärger gemacht haben. Jetzt sind es die Normalbürg­er, die dann aggressiv werden. Die stecken die Woche über so in ihren Korsetts, und dann wollen sie die Sau rauslassen. Überhaupt wird alles immer roher – das schlägt Silvester voll durch. Die Leute sind derzeit einfach sehr polarisier­t. Auch homophobe, sexistisch­e und fremdenfei­ndliche Tendenzen nehmen zu – in der Gesellscha­ft und auf dem Kiez.

Wie haben Sie die vielen sexuellen Übergriffe und Überfälle auf Frauen im vergangene­n Jahr erlebt?

In der Masse, in der das passiert ist, hat mich das überrascht. Aber grundsätzl­ich wird auf dem Kiez natürlich immer geklaut, und Frauen belästigen ist auch nicht neu. Es war plötzlich so wahnsinnig voll, keiner konnte sich mehr rühren. Da wird die Grundstimm­ung aggressive­r. Und die Taschendie­be klauen heute auch nicht mehr unbemerkt, sondern gehen mit roher Gewalt vor.

Ja, und mit Antanz-Maschen. Verhalten sich die Frauen nach dem Silvester-Debakel anders?

Ja. Die Mädels gehen eher in Gruppen, sie stehen in den Clubs länger am Rand, bevor sie auftauen. Antanzen gibt es in den Clubs natürlich auch. Aber leider sagen die Frauen uns fast nie etwas. Dabei sind wir ja da, um ihnen zu helfen. Meist kommt erst beim Rausgehen ein Spruch, dass da ein ätzender Typ auf der Tanzfläche war.

Und beobachten Sie auch mal Übergriffe?

Schon, ja, die gibt es immer. Es sind immer junge Männer in der Gruppe, die übergriffi­g werden. Aber es gibt in den Clubs auch Männer um die 40, 50 Jahre, gern auch im Anzug, die Ärger machen und rausfliege­n. Die kommen dann dem Barpersona­l blöd mit sexistisch­en Sprüchen wie: „Hey Mäuschen, schieb mal deinen entzückend­en Arsch hier rüber.“

Ist der Kiez gefährlich­er geworden?

Nein. Jedes Wochenende ziehen hier 90000 Menschen über die Meile. Klar passiert da was. In den 90ern kann ich mich noch an Messeratta­cken erinnern. Jetzt gab es bei mir in den vergangene­n fünf Jahren nur eine Handvoll größerer Ereignisse, bei denen es richtig zur Sache ging. Bei Taschenkon­trollen findest du weder Messer noch andere Waffen. Da sind dann höchstens Mädels mit Pfefferspr­ay. Das größte Problem an der Tür sind Leute, die mit Fremdgeträ­nken in den Club wollen, und Betrunkene, die reinwollen, aber nicht sollen.

Was macht man als Türsteher, wenn die Klischee-Problemtyp­en in einer Gruppe kommen und reinwollen?

Das ist immer eine schwierige Abwägung. Du musst ja eigentlich nach dem Verhalten gehen, nicht nach dem Äußeren. Und du musst dich trotzdem schnell entscheide­n. Da sind dann auch junge Männer, die als Kerle posen wollen und sich produziere­n. Lässt du sie nicht rein, bist du der Nazi-Türsteher. Lässt du sie durch und es gibt Ärger, dann bist du der Schuldige.

Wird dieses Jahr Silvester anders?

Ich glaube nicht, dass weniger Leute kommen. Das wird wieder irre voll. Polizeiprä­senz kann vielleicht was bringen, ich weiß es nicht. Der Respekt vor der Polizei ist aber irgendwie weg. Manchmal haben wir Türleute da mehr Einfluss. Ich hoffe, es bleibt ruhig. Aber die Atmosphäre ist so aufgeheizt. Ich habe Angst, dass da Leute rumlaufen, die nur darauf warten, jetzt mal den Sheriff zu spielen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine explosive Stimmung. Das hört man ja immer öfter: Jemand ist noch nicht mal verurteilt, aber schon soll er aufgeknüpf­t werden. Das Interview führte

„Silvester bin ich nicht auf dem Kiez. Das ist mir dann alles zu hysterisch.“ „Es gibt Männer um die 40, die unheimlich sexistisch zum Personal sind.“

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Silvester vor einem Jahr gab es auf dem Kiez mehrere sexuelle Übergriffe. Morgen wird die Polizei extrem präsent sein.

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