Ich wollte helfen – und wurde fast totgeschlagen
St. Pauli Mit einem völlig zertrümmerten Gesicht landet Michael B. (47) auf dem OP-Tisch
Von THOMAS HIRSCHBIEGEL
Beide Kiefer gebrochen, das Jochbein zertrümmert, Knochenbrüche am Gaumen und an der Schläfe, Nasenbeinbruch: Fast wäre es einfacher, die Gesichtsknochen aufzulisten, die bei Michael B. noch intakt sind. Die Verletzungen sind die Folge der Zivilcourage des 47-Jährigen. Er wollte am Heiligengeistfeld ein streitendes Paar trennen.
Am 21. November 2016 ist der Justizbeamte gegen 15 Uhr auf dem Weg zu seinem Auto, als er an der Kreuzung Feldstraße/Glacischaussee ein streitendes Paar bemerkt. Die junge Frau beschimpft den großen und kräftigen Mann als „Fotze“, schlägt und tritt auf ihn ein. Michael B. beobachtet die Szene, fragt dann den attackierten Mann: „Kann ich helfen?“Der verneint und entfernt sich zunächst. Doch dann wird der Justizbeamte von der Frau attackiert. Wie eine Furie stürzt sie sich auf den 47-Jährigen und schreit: „Was mischst du dich hier ein, du Hurensohn?“
Die Frau schlägt und tritt auf den Beamten ein. Nur mit großer Mühe kann sich Michael B. wehren, sie zu Boden drücken und festhalten. Dann nähert sich der Begleiter der Frau, sagt nüchtern zu ihr: „Wegen dir muss ich mich nun auch noch beulen.“Er tritt zu, trifft Michael B. mit voller Wucht im Gesicht. Der verliert sofort das Bewusstsein.
Erst im UKE wacht er wieder auf. „Ich schmeckte Blut in meinem Mund, dachte erst, es sei wohl nicht so schlimm. Dann schoben mich die Pfleger schon in den Operationssaal“, erinnert sich der 47Jährige. Sechs Stunden dauert die hoch komplizierte OP. Zeitweise gleicht die Arbeit der Chirurgen einem Puzzlespiel, viele Gesichtsknochen sind gesplittert. Zehn Titanplatten setzen die Ärzte dem Patienten ins Gesicht. Nach neun Tagen wird Michael B. aus der Klinik entlassen. Er ist bis heute krankgeschrieben und hat dauernde Schmerzen. Im März muss er erneut operiert werden.
Und der etwa 25 Jahre alte Täter? Er konnte nie ermittelt werden. Vor Kurzem flatterte Michael B. ein Schreiben der Staatsanwaltschaft ins Haus: „Verfahren eingestellt.“Michael B versteht nicht, warum die Polizei mit der Tat nicht an die Öffentlichkeit gegangen ist, einen Fahndungsaufruf gestartet hat. „Die Polizei schickt doch jeden Tag auch völlig belangloses Zeug als Pressemitteilung raus. Warum nicht auch meinen Fall? Das war doch nun mitnichten eine Bagatelle.“
Polizeipressesprecher Timo Zill erklärte, dass man fünf Zeugen des Vorfalls habe und deswegen von einem öffentlichen Zeugenaufruf abgesehen habe. Auf die Frage, ob er nochmals Zivilcourage zeigen würde, sagt Michael B.: „Das würde ich mir sehr genau überlegen."
Die Ärzte haben dem Opfer zehn Titanplatten eingesetzt.