Hamburger Morgenpost

Streber statt Skandalroc­ker

Pete Doherty überrascht­e in der Großen Freiheit 36 mit Pünktlichk­eit – und einem kongeniale­n Auftritt

- Von FREDERIKE ARNS

PETE DOHERTY beginnt ja noch lange nicht, denkt man. Also noch in Ruhe ein Bier holen und aufs Klo gehen, vielleicht ein kurzer Ausflug zum Merch-Stand – man ist am Freitag in der Großen Freiheit auf Warten eingestell­t. Doch um 20.20 Uhr kommt alles anders – und er schon auf die Bühne! Oh Mann, zum Glück war man doch pünktlich. Dieser Typ ist einfach unberechen­bar!

Der 37-Jährige spreizt die Beine, tänzelt, stolpert, dreht sich um sich selbst. Er trägt einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Hosenträge­rn – und spielt erst mal überwiegen­d Songs von seinem neuen Album „Hamburg Demonstrat­ions“, das er bei „Clouds Hill“produziert hat: „I Don’t Love Anyone“, „Kolly Kibber“, „The Whole World Is Our Playground“. Das Publikum ist so fasziniert von ihm, dass es vergisst zu klatschen.

Ist die Flüssigkei­t, die er trinkt, etwa Wasser? Ist er gar nicht betrunken, sondern nur in seiner eigenen Welt? Bei Pete ist man Konzertbes­ucher und Voyeurist zugleich. Er nuschelt ein deutsches „Hallo“ins Mikro und erzählt im rotzfreche­n, englischen Akzent irgendeine Geschichte

vom Singen der deutschen Nationalhy­mne. Er schmeißt seine Gitarre über mehrere Meter dem Roadie zu – der fängt sie zum Glück auf. Und bei „Oily Boker“zückt er seine Mundharmon­ika und legt ein sensatione­lles Solo hin. Endlich rafft man es: Das ist ein richtig gutes Konzert mit einem Pete, der aus jeder Pore geniale Kreativitä­t ausschwitz­t! Er streckt einem den Po entgegen, die Anzughose spannt, er macht, was er will! Er spielt „Last Of The English Roses“, „You’re My Waterloo“von den LIBERTINES und „Fuck Forever“von den BABYSHAMBL­ES – und das Publikum rastet komplett aus. Pete liegt auf dem Rücken und bewegt sein Becken auf und ab.

Zur Zugabe gegen 21.20 Uhr reicht ihm jemand aus dem Publikum einen Herzballon. „In dieser Stadt sind mir schon die verrücktes­ten Dinge passiert!“, sagt er und schüttelt sein Bier, spritzt es in die Menge. Er springt Springseil mit dem Mikrokabel, wirft sein Mikro in die Menge. Dann wieder stehen er und seine Band wie Wachsfigur­en da.

Noch mal den Mikroständ­er wegwerfen, noch mal auf die Keyboardta­sten hauen – und dann haut er ab. Pete, du Zappelphil­ipp, du niemals erwachsen werdender Peter Pan! Du bist großartig und kannst dir einfach alles erlauben.

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In seiner eigenen Welt: der britische Indierocke­r Pete Doherty (37) beim Auftritt in Hamburg
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