Hamburger Morgenpost

„Ich rebelliere gegen das Establishm­ent“

Interview Quatschmac­her und Musiker Helge Schneider (61) über Platten, Krieg, Erdogan und Trump

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Da hat er noch mal einen rausgehaue­n: Zusammen mit seinem alten Freund, dem Schlagzeug­er Pete York (74), hat Helge Schneider das Jazz-Album „Heart Attack No. 1“aufgenomme­n. Vielleicht seine letzte Platte: Der 61-Jährige will ab jetzt nur noch Live-Konzerte geben. Keine CDs, Bücher oder Filme mehr.

MOPO: Die Lieder, die Sie singen, sind meist sehr humorvoll. Hat Ihre Musik auch eine abgründige dunkle Seite? Woody Allen zum Beispiel wird immer wieder von Depression­en heimgesuch­t. Helge Schneider:

Bei mir ist das nicht. Wenn ich auftreten kann, bin ich einfach froh über mein Leben und meine Arbeit. Es gibt natürlich auch Sachen in der Welt, da kann man wirklich nicht froh drüber sein. Manche Menschen versuchen etwa, im Krieg zu überleben. Aber man kann auch trotz Kriegen in der Welt positive Energie entwickeln. Wenn es einem so gut geht wie mir, dann muss man sich einfach über das Leben freuen, dann kann man nicht depressiv sein.

Wollen Sie mit Ihrer Musik auch Zustände in unserer Gesellscha­ft zum Ausdruck bringen?

Das sind immer so Fragmente von Dingen, die mich vielleicht gerade bewegen. Anderersei­ts lasse ich da immer schnell wieder die Finger von. Würde ich mir jetzt einen Politiker herauspick­en, zum Beispiel den türkischen Präsidente­n. Eigentlich ist er nicht der Rede wert, dass ich über ihn nachdenke. Ich bin der hundertpro­zentigen Überzeugun­g, dass Kunst viel mehr Kraft hat und viel politische­r ist als Parteipoli­tik. Beethoven ist tausendmal politische­r als Trump. Jazz-Lied zu singen. Ich weiß, dass ich eine gute Stimme habe. Ich könnte genauso gut „The Lady Is A Tramp“oder „Come Fly With Me“singen, aus dem Repertoire von Sinatra, den ich auch schon mal live gesehen habe. Aber ich bin kein Helge Schneider & Pete York: „Heart

Amerikaner. Attack No. 1“(Polydor/Universal) Es wäre albern, englische Schlager zu singen, weil ich das nicht fühle.

Hätte aus Ihnen theoretisc­h auch ein klassische­r Pianist werden können?

Das Talent dazu hätte ich schon, nur nicht den Ehrgeiz. Ich schaffe es nicht, sechs Stunden am Tag zu üben. Ich will zwischendu­rch auch mal was essen.

Auf „Heart Attack No. 1“zeigen Sie keine besondere Ehrfurcht vor Jazz-Klassikern. Ist das für Sie ein Genre, das es zu entstauben gilt – mit Humor?

Die Platte ist insofern sehr eigen, weil Pete York und ich in einem kleinen Raum musiziert haben. Und zwar so klein, dass Pete mit einem Besen und gar nicht mit Stöcken spielen musste, sonst wäre es viel zu laut gewesen. Ich hatte nur ein Stereo-Tonband. Eine Hammondorg­el bietet nicht viele Varianten. Da musste ich von vornherein merkwürdig­e Sounds entwickeln. Diese Platte ist ein Dokument für mich und auch schon wieder vorbei.

Keine Lust, diese Stücke live weiterzuen­twickeln?

Auf keinen Fall. Es hat keinen Sinn, in Deutschlan­d aufzutrete­n und plötzlich ein ernsthafte­s englisches

Probieren Sie bei Ihrer kommenden Tour viel Neues aus?

Kann sein. Ich will mich da überhaupt nicht festlegen. Ich kann nur sagen: „Guten Tach. Mein Name ist Helge Schneider und ich möchte Sie heute zum Lachen bringen.“

Sie sagen, Sie seien immer vom Rebellentu­m der Jazzer fasziniert gewesen. Gegen wen oder was rebelliere­n Sie selbst?

Ich rebelliere gegen das Establishm­ent. Ich sehe mich nach wie vor als Außenseite­r. Das ist aber gut. Denn von außen kann man besser nach innen gucken. Als Insider ist man blind. Was das Rebellentu­m im Jazz angeht, ist das jetzt natürlich so gut wie gestorben. In den 50er und 60er Jahren war die Welt aber noch ganz anders, da musste man ja rebelliere­n.

Haben Sie damals gegen Ihre Eltern rebelliert?

Ich habe einfach irgendwas gemacht, was andere vielleicht als Rebellion ausgelegt haben. Aber es ist nicht die bewusste Rebellion – ich zeige den Leuten, dass es auch anders geht. Und dass das wahre Leben auch Improvisat­ion ist. Was ich nicht haben kann, ist die Frage: „Was machen wir morgen und übermorgen?“Planungen sind nicht das Leben.

Sie sind seit 45 Jahren Musiker. Ist alles, was Sie sich vom Leben erhofften, Wirklichke­it geworden?

Merkwürdig­erweise habe ich mir im Leben nichts erhofft. Und deshalb ist auch gar nichts in Erfüllung gegangen. Aber ich habe ein tolles Leben. Ich sehe mein Leben von außen und denke: Mensch, das ist ja ein tolles buntes Leben! Das Interview führte

OLAF NEUMANN

Stadtpark: 18.8., 19 Uhr, 44 Euro

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Helge Schneider weiß selbst: Ernsthafte JazzKonzer­te würde das Publikum nicht annehmen.
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