Der Abschied vom HSV tat sehr weh
Die MOPO traf Juves „General“Hamburg trägt er weiter im Herzen
Die MOPO traf ihn zum großen Interview.
Er hat sich seinen ganz großen Traum erfüllt. Seit Januar spielt Tomás Rincón (29) bei Juventus Turin und ist mittendrin in der wilden Titeljagd: Champions League, Meisterschaft, Pokal – alles ist drin für Rincón und Juve. Die MOPO besuchte den Venezolaner, der von 2009 bis 2014 beim HSV spielte, in Vinovo, vor den Toren Turins, wo die „alte Dame“residiert.
MOPO: Was ist es für ein Gefühl, wenn das Handy klingelt und an der anderen Leitung meldet sich Juventus Turin? Tomás Rincón:
Im ersten Moment kannst du es gar nicht glauben. Das dauert ein paar Sekunden. Der zweite Gedanke ist dann: Ich muss es machen! Ich will da hin!
Eine gute Verhandlungsposition für Juve.
Kann man so sehen. Zwei Tage später haben wir schon alles klar gemacht. Es gab keinen Grund für mich, zu zögern. Ich dachte mir, dass ich durch meine beiden guten Jahre in Genua für andere Teams, wie vielleicht AC Mailand, interessant sein könnte. Aber Juve – das war ein Traum.
Plötzlich geht die Tür auf und Juve-Keeper Gigi Buffon marschiert freundlich grüßend durch das Trainingszentrum. Direkt nach ihm dann Dani Alves.
Wie ist es, wenn man zu einem Verein wechselt, in dem so viele Weltstars spielen? Wird man da nicht nervös? Das nicht. Aber du spürst, dass es etwas ganz Besonderes ist, hier zu sein. Diese Spieler hier sind Legenden. Gigi ist einer der besten Keeper aller Zeiten. Sami Khedira ist Weltmeister. Dann Dani Alves. Oder Mandzukic, Higuaín. Aber: Es sind am Ende ganz normale Menschen. Es ist nur besonders, wie sie denken: Sie wollen immer gewinnen. Immer!
Gerade diese Mentalität kannten Sie von Ihren früheren Vereinen nicht unbedingt.
Das ist der große Unterschied. Ich kam her und stellte mich vor und sie sagten: „Hallo, Tomás – da bist du ja. Aber jetzt müssen wir gewinnen!“Das ist Juventus, das macht diesen Verein aus.
„Juve ist etwas ganz Besonderes. Hier spielen Legenden.“
Vor zweieinhalb Jahren spiel- ten Sie noch beim HSV, pendelten zwischen Bank und Spielfeld. Der Verein entschied sich dann, Ihren Vertrag nicht zu verlängern. Rincón wirkt plötzlich angespannt. Er kneift die Augen leicht zusammen, rutscht auf seinem Stuhl hin und her und überlegt ein paar Sekunden.
Das ist nicht gut gelaufen damals. Es hat mich sehr traurig gemacht und wehgetan. Wissen Sie, der HSV war und ist in meinem Herzen.
Was ist damals passiert?
Sportchef Frank Arnesen und ich haben alles klar gemacht. Wir waren uns über die Verlängerung einig, hatten aber noch nichts unterschrieben. Dann wurde Arnesen entlassen und Oliver Kreuzer kam. Er sagte zu mir: „Tomás, was ihr besprochen habt, zählt nicht mehr. Jetzt bin ich hier.“Das war für mich unverständlich. Kreuzer wollte mich nicht mehr. Nach der Saison war ich dann weg.
Obwohl Sie bleiben wollten.
Ja! Es tat wirklich sehr weh. Ich habe mich total mit dem Verein identifiziert. Noch heute schaue ich die Spiele, wann immer ich kann. Ich bin dem HSV sehr dankbar und wünsche ihm nur das Beste. Der Klub gab mir die Chance nach Europa zu kommen. Ich durfte in Hamburg als Spieler und Mensch wachsen.
Seit Jahren dümpelt der HSV im Tabellenkeller herum. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das so ist?
Aus meiner Sicht liegt es daran, dass der Verein keine Stabilität hat – von oben bis unten. Sie bräuchten zwei Jahre ohne Umbruch, mit einem Trainer und einem
Sportchef. Es muss eine gemeinsame Idee geben, der alle folgen müssen. Das habe ich in den vergangenen Jahren oft vermisst.
Mit dem Wechsel zum FC Genua begann dann Ihr persönlicher Aufstieg.
Rückblickend war es gut, dass ich gegangen bin. Ich war 26 Jahre alt, in dem Alter kannst du noch wachsen. Ich habe in Genua einen Qualitätssprung gemacht – nur so konnte ich für einen Klub wie Juventus interessant werden.
Wo haben Sie zugelegt? Ihre Frau Karina hat früher immer geschimpft, weil sie Ihr auf dem Platz zu wild waren.
Karina ist zufrieden (lacht). Es gehört zu meinem Spiel, aber es ist weniger geworden. Mein Trainer in Genua wollte, dass ich offensiv mehr leiste. Er wollte Tore und Vorlagen von mir sehen. Letzte Saison hatte ich dann drei Tore und sieben Assists. Nicht schlecht, oder? Ich fühle mich jetzt viel freier auf dem Platz, vielseitiger.
Geblieben ist Ihr Markenzeichen – das Salutieren mit der flachen Hand.
Sí, ich bin doch der General! (lacht). Die MOPO hat mir diesen Spitznamen in Hamburg gegeben, jetzt werde ich überall so genannt. In Italien, sogar in Venezuela. Danke, MOPO! Neben Rincón sitzt eine Dolmetscherin, die von Juventus
für den Fall bestellt wurde, dass er Probleme mit der deutschen Sprache haben könnte. Tatsächlich sitzt sie nun tatenlos daneben.
Ihr Deutsch ist noch immer hervorragend! Sprechen Sie noch viel? Privat nicht, auf dem Platz schon. Khedira, Mandzukic, Lichtsteiner, Pjanic und ich sprechen auf dem Platz fast nur Deutsch. Das hilft.
Beim HSV wurde es immer mehr zum Problem, dass Zugänge die Sprache schlecht erlernen.
Das kann ich schwer nachvollziehen. Du musst die Sprache sprechen, um dich zu integrieren und einen Verein atmen zu können. Ansonsten bist du, wenn es drauf ankommt, schnell außen vor.
Wie haben Sie gelernt?
Dreimal die Woche zu Hause mit einer Lehrerin, immer zwei bis drei Stunden. Aber es war echt schwer. Italienisch dagegen hatte ich schon nach sechs Monaten drauf.
Und wie schmeckt das Leben in Italien? Besser als in Deutschland?
Na, ja. Ich darf hier nicht so schnell Auto fahren …
Das stimmt. Aber dafür scheint die Sonne in Italien öfter.
Absolut. Als ich vor einem Jahr zuletzt in Hamburg war, war es wieder so kalt! Im Ernst: Das Leben hier ist ein ganz anderes. Die Kultur ist der südamerikanischen ähnlich, das liegt mir. Aber manchmal vermisse ich die deutsche Pünktlichkeit. Italiener sind da etwas entspannter.
Venezuela, Deutschland, Italien – schon eine Idee, wo Sie nach der Karriere leben wollen?
Erst letzte Woche sprach ich mit meiner Frau darüber. Ich denke, wir bleiben in Europa. Italien oder Spanien, das wäre schön. Miami käme sonst auch in Frage.
Und Ihre Heimat? Dort sind Sie ein Held.
Ich werde dem Fußball sicher erhalten bleiben. Das könnte von Venezuela aus manchmal schwierig sein.
Wie reagieren die Menschen in Venezuela darauf, dass Sie nun
bei einem der größten Klubs der Welt spielen? Sie sind begeistert. Ich bin der erste Venezolaner, der das geschafft hat. Unser Fußball ist ja erst seit 15 Jahren richtig professionell. Alle sind stolz. Das ist einfach geil. Aber mir fehlt noch etwas in meiner Karriere.
Nämlich?
Ich hatte zwei Ziele: Einmal für einen Topklub zu spielen – das habe ich geschafft. Aber ich will noch zu einer WM!
Ab 2026 soll die WM mit 48 Teams stattfinden …
Das ist super für Venezuela. Wir haben es doch so schwer, uns zu qualifizieren. Ich weiß zwar nicht, wie das mit 48 Mannschaften gehen soll. Aber, bitte – wenn wir dann dabei sind, ist alles gut.
Na ja, wenn es so weit ist, sind Sie zarte 38 Jahre alt.
Macht nichts. Das schaffe ich.
Ich muss! (lacht)
Und wann kehren Sie mal wieder nach Hamburg zurück?
Schwer zu sagen. Aber das tollste Andenken haben wir bei uns zu Hause. Unser Sohn Dominic wurde in Hamburg geboren, drei Monate bevor wir gingen. Er ist ein echter Hamburger und das bleibt er für immer. Ist das nicht schön? Das Interview führte SIMON BRAASCH
„Kreuzer kam für Arnesen – und wollte mich nicht mehr.“ „Unser Sohn Dominic ist ein echter Hamburger.“