„Dann ist es eben nicht eilig!“
MOPO enthüllt neue Schlampereien im Fall Amri In den zuständigen Behörden herrschte noch viel größeres Chaos als bisher vermutet. Entscheidende Zeit wurde fahrlässig verspielt
Berlin – Geschlampt, verschleppt, vergessen! Die MOPO enthüllt neue Behördenpannen rund um den Attentäter Anis Amri († 24). Zwölf Menschen starben am 19. Dezember auf dem Weihnachtmarkt am Berliner Breitscheidplatz, über 50 wurden verletzt. Hätte der folgenreichste islamistische Terroranschlag auf deutschem Boden verhindert werden können?
„Ich bin etwas erstaunt, aber in dieser Sache wundert mich einfach nichts mehr.“Es ist eine E-Mail, die die ganze Verzweiflung ausdrückt. Eine Kommissarin des LKA NRW gibt im Sommer 2016 gegenüber Kollegen ihren Frust über das ganze Chaos zu Protokoll. Auch die bisher unbekannten Pannen machen fassungslos. Eine Übersicht: Die fehlenden Abdrücke: Ende Juli 2016 kam Amri in Ravensburg in Haft, als ihn die Bundespolizei zuvor mit zwei gefälschten italienischen Pässen aus einem Flixbus von Berlin nach Zürich geholt und an der Ausreise gehindert hatte. Obwohl er seit zweieinhalb Monaten als „vollziehbar ausreisepflichtig“galt, hatte sich niemand um die für die Ersatzpapiere notwendigen Handflächenabdrücke gekümmert. Die Folge: Das NRW-Innenministerium veranlasste, dass Amri auf freien Fuß kam, weil kein Richter zu überzeugen sei, dass Tunesien die Papiere zügig (in 3 bzw. 6 Monaten) liefere. Damit habe ein „Haftausschlussgrund“vorgelegen. Erst im Bodensee-Knast nahmen die Behörden die Abdrücke.
Die Haftentlassung: Obwohl Amri bereits in der Nacht von Freitag auf Sonnabend in Haft kam, erfuhren die Amri-Experten in NRW erst am Montagmorgen davon. „In Sachen Amri alias Amir geht auch nach wie vor alles an uns vorbei“, beklagte sich die zuständige LKA-Kommissarin in einer E-Mail bei der Sicherheitskonferenz des Innenministeriums („SiKo“). Auch dort wunderte sich eine Beamtin, „warum wir das schon wieder nicht
alles wissen“. Die Zeit bis zur vom Richter genehmigten Inhaftierung bis 18 Uhr lief davon.
Keine Info an die Justiz: In der Eile dachte niemand an die Staatsanwaltschaft! Die örtlich zuständige Justiz in Ravensburg erfuhr erst über vier Wochen danach von der Anzeige wegen Urkundenfälschung, die sich Amri wegen der falschen Pässe eingefangen hatte. Die bereits gegen Amri wegen Betrugs ermittelnde Staatsanwaltschaft Duisburg erfuhr gar nichts. Möglicherweise der größte Fehler überhaupt.
Kein Eil-Antrag: Die Stadt Köln, die für die Beschaffung der tunesischen Papiere zuständig war, erkundigte sich am 24. August beim Innenministerium: „Gibt es Informationen zu der Person, die wir in unserem PEP-Antrag verwenden können/dürfen, um die Dringlichkeit gegenüber dem tunesischen Generalkonsulat hervorzuheben?“Etwa, dass Amri „unter besonderer Beobachtung der Sicherheitsbehörden“stehe, da er ein „Gefährder“sei. Die Antwort folgte am nächsten Morgen: „Auf gar keinen Fall.“Wörtlich ergänzt die „SiKo“-Beamtin: „Die PEP sollen ,ganz normal‘ (wobei weder LKA noch ich wissen, wie da der übliche Verfahrenslauf ist) beantragt werden. Wenn’s die Möglichkeit gibt, das ohne Angabe von Gründen eilig zu machen, dann ja, ansonsten wird’s eben nicht eilig.“
„In dieser Sache wundert mich einfach nichts mehr.“Eine Kommissarin aus NRW