Hamburger Morgenpost

Was haben Sie gegen den neuen Bahnhof?

Stadt und Bahn wollen den Altonaer Fernbahnho­f nach Diebsteich verlegen. Jetzt regt sich Widerstand

- Das Interview führte MIKE SCHLINK

Der Fernbahnho­f Altona wird 2023 nach Diebsteich verlegt – das ist längst beschlosse­ne Sache. Knapp 2000 neue Wohnungen sollen dann auf dem BahnhofsAr­eal im Herzen Altonas entstehen. Viele sind von dem Vorhaben begeistert, die Bürgerinit­iative „Prellbock-Altona: Unser Bahnhof bleibt, wo er ist“jedoch nicht. Die MOPO sprach mit Initiative­n-Sprecher Michael Jung über seinen Protest.

MOPO: Herr Jung, was haben Sie gegen Wohnungsba­u? Michael Jung:

Gar nichts! Wir glauben aber, dass ein Großteil der Wohnungen auch mit dem Fernbahnho­f an seinem angestammt­en Platz realisiert werden kann.

Wie soll das funktionie­ren?

Die Fernbahngl­eise müssten dicht an die S-Bahn-Gleise herangefüh­rt, neue Weichen gebaut und nicht benötigte Altanlagen abgerissen werden. Dadurch könnte der Platz für bis zu 80 Prozent der geplanten Wohnungen – mit denen das Vorhaben ja geködert wird – trotzdem realisiert werden. Das ist allemal günstiger als das, was jetzt geplant wird.

Klingt, als befürchten Sie eine Kosten-Explosion?

Es droht ein ähnliches Desaster wie bei „Stuttgart 21“oder der Elbphilhar­monie. Die Kosten für die Bahnhofsve­rlegung werden derzeit mit rund 360 Millionen Euro angegeben – für eine SparBahnho­fsversion, die keiner haben will. Hinzu kommen noch Kosten für die Verkehrser­schließung des neuen Standorts in bisher unbekannte­r

Höhe, die die Stadt Hamburg übernehmen muss. Nach den bisherigen Erfahrunge­n wird es bis zur Fertigstel­lung mindestens zu einer Verdoppelu­ng kommen!

Einen Beleg gibt es dafür jedoch nicht …

Das wird man leider erst sehen, wenn es zu spät ist. Ärgerlich ist auf jeden Fall, dass es keine Bürgerbete­iligung gibt. Ein Großteil des Projekts wird immerhin aus Steuergeld­ern finanziert.

Was kritisiere­n Sie noch?

Der neue Bahnhofsst­andort Diebsteich liegt mitten in der Pampa, ohne brauchbare­n Straßen- und mit nur eingeschrä­nktem S-Bahn-Anschluss. Vor allem die S1Pendler aus den westlichen Stadtteile­n werden vom neuen Fernbahnho­f abgeschnit­ten, da es keine direkte Verbindung von Blankenese nach Diebsteich gibt. Sie müssen dann umsteigen, das kostet Zeit. Bei der mangelhaft­en Bahn-Zuverlässi­gkeit

kann man so auch schnell den Fernzug verpassen.

Die West-Hamburger könnten auch einfach bis zum Hauptbahnh­of fahren und dort den Zug nehmen …

Der Hauptbahnh­of ist schon jetzt gefährlich überlastet. Die Belastung wird dadurch nur noch mehr zunehmen. Und: Am Hauptbahnh­of gibt es keine Autozüge.

Die sind auch in Altona rar geworden.

In Diebsteich wird es sie aber gar nicht mehr geben.

Die Deutsche Bahn hat sich bereits aus dem Geschäft zurückgezo­gen. Sie hat gar kein Interesse daran, die Infrastruk­tur für die verblieben­en Alternativ-Anbieter in Diebsteich zu schaffen. Die dortige Bahnhofsgr­öße gibt die Infrastruk­tur ohnehin nicht her.

Sie bemängeln die geplante Bahnhofsgr­öße?

Ja. Im jetzigen Fernbahnho­f gibt es noch acht Gleise für den Fern- und Regionalve­rkehr. In Diebsteich wird es nur noch sechs geben. Die Idee der Bahn, ab dem Jahr 2030 Züge im Halbstunde­nstatt im Stunden-Takt loszuschic­ken, wird so nicht funktionie­ren. Außerdem gibt es dort keine vernünftig­e ÖPNV-Anbindung – im Gegensatz zum jetzigen Standort.

Welche Vorteile hat der aktuelle Standort denn noch?

Der Bahnhof ist integraler und zentraler Bestandtei­l Altonas und Ottensens. Er liegt dort, wo die Leute wohnen, die ja möglichst keine

oder weniger Autos haben sollen. Und: Er ist der einzige wirklich barrierefr­eie Regionalun­d Fernbahnho­f in Hamburg. Der Standort-Verlust hätte auch hier negative Folgen.

Zum Beispiel?

Der Wegfall bedeutet einen massiven Verlust an Kaufkraft für umliegende Geschäfte, Imbissstän­de und Restaurant­s. Außerdem haben wir in Altona eine hohe Facharztdi­chte. Patienten aus dem Umland könnten ihre Ärzte so nicht mehr so leicht besuchen.

Was werden Sie denn jetzt tun, um die Verlagerun­g zu verhindern?

Ein Bürgerbege­hren ist sicher eine Option, aber die Hürden sind sehr hoch. Das müssen wir prüfen. Bürgerprot­este beginnen leider meist erst, wenn die Bagger bereits anrollen. Wir wollen den Bürgern vorher klarmachen, dass sich ein Protest lohnt.

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So wie in dieser Visualisie­rung stellt sich die Handelskam­mer den neuen Bahnhof (Kreis) und sein Umfeld vor.
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Michael Jung von der Initiative „Prellbock Altona“ist vehement gegen die Verlagerun­g des Fernbahnho­fs.

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