Hamburger Morgenpost

Der Soul-Man als Deichgraf

Stefan Gwildis (58): Der „Schimmelre­iter“als Hörbuch Für den Sänger ist die Figur Hauke Haien ein Rebell

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Von WIEBKE TOMESCHEIT

Kennen Sie den „Schimmelre­iter“von Theodor Storm? Klar – vermutlich haben Sie die Novelle von 1888 in der Schule gelesen. Genau wie der Hamburger Soul-Sänger Stefan Gwildis. „Den ersten Kontakt mit dem Stoff hatte ich in der Schule, da fand ich ihn noch relativ sperrig, langweilig und alt. Aber den Charakter Hauke Haien, den fand ich spannend“, sagt der 58-Jährige.

So spannend, dass er die Geschichte des eigenwilli­gen Deichgrafe­n nun als Hörbuch einlas. „Ich habe immer viel gelesen, aber vor allem an Schulen. Ich bin ein großer Fan von russischen Märchen, die sind so herrlich durchgedre­ht“, erzählt der Musiker. „Dann traf ich Sonja Valentin vom Ernst-Deutsch-Theater. Wir planten zuerst nur eine Lesung. Daraus wurde dann die Idee mit der CD. Ich fand reizvoll, dass man nur diese 75 Minuten Zeit hat, die eine CD bietet – und sich auf das Wichtigste konzentrie­ren muss.“

Und das Wichtigste an Storms Erzählung – damit wären wir wieder am Anffang – war für Gwildis vor allen eins: „Diesen vielfältig­en Charakter von Hauke Haien zu zeigen: den Besessenen, den Liebenden, den Forschende­n, den Arbeitende­n. Storms ganze ,Zwiebelges­chichte‘ drumrum fand ich dagegen nicht so spannend.“

Die Figur Haien hat den charmanten Hamburger echt gepackt. Er hat sich viele Gedanken über Storms Deichgrafe­n gemacht. „Mit 16 oder 17 fand ich gut, dass er nicht alles annimmt, „Gwildis liest“: Der „Schimmelre­iter“könnte der erste Teil einer Hörbuchrei­he werden, deutet der 58-Jährige an.

was ihm vorgegeben wird, und sich einen Scheiß darum kümmert, was die Leute sagen. Er handelt nach seiner Intuition – wie er denkt und fühlt.“Ein Rebell von der Küste, sozusagen? „Er ist ein Visionär. Da muss man einen eigenen Willen haben, um sich durchzuset­zen. Er ist jemand, der sich die Natur ansieht und daraus lernt. Und er hat eine kleine Tochter, die behindert ist. Damals dachten die Menschen, damit müsse der Teufel zu tun haben. Das war früher ja so. Aber Hauke sagt: Es ist doch gut, dass sie da ist. Das ist mein Kind!“Gwildis klingt fast euphorisch. So wie er über den Literaturk­lassiker und dessen Helden spricht, könnte man den Stoff vermutlich auch Schülern schmackhaf­t machen, die Storms Novelle seit Jahrzehnte­n auf dem Stundenpla­n stehen haben. Was man in der Schule liest, behält man ja selten in guter Erinnerung … Trotzdem: „Das sollte auf jeden Fall in der Schule drankommen“, sagt Gwildis. „Es ist eine spannende Sage, die mit unserem Norden zu tun hat. Sich damit auseinande­rzusetzen finde ich wichtig. In dieser Geschichte steckt so viel. Charaktere wie Hauke Haien wären gerade heute so wichtig. Solche, die gegen den Strom schwimmen. Ich kann mir gut vorstellen, wie er in so eine siebte Klasse kommt und sagt: Jungs, Handys weg – wir legen uns jetzt eine Stunde an den Deich!“Wenn jemand wie er eine CD aufnimmt, kommt das Ganze, selbst als Hörbuch, natürlich nicht ohne Musik aus. Über den Soundtrack hat der Sänger lange gegrübelt: „Ich wollte nicht dieses maritime Klischee bedienen, mit Akkordeon und Mundharmon­ika. In meinem Kopf ist der ,Schimmelre­iter‘ ein Schwarz-Weiß-Film, so wie von Truffaut. So kam es zum Walzer mit Flügel und Cello.“

„Ihm war die Meinung der anderen scheißegal.“Stefan Gwildis (58)

„Gwildis liest: Der Schimmelre­iter“(Fortunator/Edel)

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Foto:hfr

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