Hamburger Morgenpost

Zelt-Slum mitten im reichen Hamburg

Immer öfter wohnen FlaschenSa­mmler aus Osteuropa und ihre Familien in abenteuerl­ich gebauten Verschläge­n

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Es ist ein Bild, das man bisher aus Hamburg nicht kannte: Aus Plastik und Holz zusammenge­zimmerte Baracken, versteckt im Unterholz, dazwischen Müll, ein Kinderwage­n, dreckige Töpfe und Feuerreste. Wir stehen in einem Camp rumänische­r Flaschensa­mmler – nur einen Steinwurf von der Amsinckstr­aße entfernt. Es ist nicht das einzige in der Stadt.

Die Bewohner, die hier im Schlamm neben der Bahnlinie hausen, haben fast nichts. Ein Spiegel an einem Baum ist ihr Badezimmer, die Umgebung dient als Toilette, mitten im Lager wächst ein Berg Abfall, überall liegen Schuhe, Besteck und Plastiktel­ler.

Zigtausend­e Autos fahren hier täglich vorbei. Ein Stück weiter wächst die HafenCity, die Büros von Hammerbroo­k sind um die Ecke, die Elbbrücken nicht weit. Das Elends-Camp ist mittendrin, aber auch weit weg. 13 „Zelte“stehen hier, die meisten sind bewohnt, unter anderem von Johann und Wassily.

Die zwei Männer Ende 30, Anfang 40, leben seit einem Monat in dem Lager. Wassily will es im Mai verlassen, „der Familie wegen“, so sagt er uns. Seine Frau und Kinder warten in Bukarest, in Rumänien, dort, wo der schmächtig­e, niedergesc­hlagen aussehende Mann herkommt.

Johann dagegen will erst mal bleiben. So übel und so verzweifel­t dieses Leben erscheint, ist es für viele die letzte Hoffnung. „In Rumänien ist eine Krise. Ich habe meinen Job verloren. Ich versuche nur, meine Familie zu ernähren. Bald bin ich endlich wieder bei ihnen“, sagt Wassily.

Die Menschen hier kommen nicht, um Sozialhilf­e zu beantragen. Können sie auch nicht, so Marcel Schweitzer, Pressespre­cher der Sozialbehö­rde: „Einen Anspruch auf Sozialleis­tung gibt es erst, wenn man hier sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t war.“Die meisten Bewohner des Zeltlagers verdienen ihr Geld mit Flaschensa­mmeln.

Das bringe „gutes Geld“, so Johann. Bis zu 200 Euro im Monat bekommt er so zusammen – als Aushilfe auf dem Bau oder in der Hotellerie bekommt man in seiner Heimat nicht viel mehr. Einen Teil des Geldes gibt er für den täglichen Bedarf aus, das meiste spart er.

„Viele dieser Leute sind in Not gekommene Menschen, die durch persönlich­e, aber auch psychische Probleme auf der Straße landen. Viele verelenden, sind teilweise auf Betteln angewiesen“, so Eva Lindemann, Sozialarbe­iterin von Plata Hamburg, einem von der EU geförderte­n Sozialproj­ekt. Sie und ihre Kollegen helfen genau diesen Menschen durch Beratungss­tellen und aktive Sozialarbe­it. „Wir gehen auf die Menschen zu, möchten ihnen helfen. Gegebenenf­alls helfen wir auch bei der Rückreise“, so Lindemann weiter.

Wer nach Hause will, bekommt von der Stadt ein Busticket – darauf gibt es sogar einen gesetzlich­en Anspruch, um die Obdachlosi­gkeit zu überwinden, erklärt Marcel Schweitzer.

Doch jetzt, wenn es wärmer wird, kommen die Hoffnung Suchenden eher noch zahlreiche­r her. Das Zeltlager ist daher nicht der einzige Ort, an dem sich die Armen Europas sammeln, weiß Eva Lindemann. Überall im Stadtund Randgebiet treffen sich Menschen aus den osteuropäi­schen Ländern – zunehmend aber auch aus Portugal, Spanien und Italien.

In den vergangene­n Jahren ließ die Stadt immer wieder Camps auflösen, ob am Nobistor in Altona oder zuletzt in Wilhelmsbu­rg. Die Lager sind daher immer besser versteckt, stehen im Unterholz, häufig an Bahnlinien und Hauptstraß­en. Mitten in Hamburg – und doch irgendwie an einem ganz anderen Ort.

„Ich versuche, meine Familie zu ernähren“

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In Rothenburg­sort, neben der Amsinckstr­aße und kurz vor den Elbbrücken, leben rumänische Flaschensa­mmler in einem Camp im Unterholz.
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Die Baracken wurden aus Plastikpla­nen, Decken und Ästen zusammenge­zimmert.
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Vor den Zelten liegen Teppiche, ein Reisigbünd­el dient als Besen.
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Mit Flaschensa­mmeln verdienen sich die Camp-Bewohner aus Rumänien ihr Geld. Bis zu 200 Euro im Monat sind drin. Ein Spiegel wurde an einem Baum angebracht, daneben hängen Tüten mit Hygieneart­ikeln.

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