Glocke läutet für die Opfer
15 Jahre Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium Erfurter Schule gedenkt der 16 Toten. Es war das erste Blutbad an einer deutschen Schule
Von THERESA DRÄBING
Erfurt
– Das Schulmassaker am Erfurter GutenbergGymnasium liegt 15 Jahre zurück. Mit einer Gedenkstunde will die Schule zum Jahrestag an die Opfer der Bluttat vom 26. April 2002 erinnern. Dabei soll auch eine eigens dafür gegossene Schulglocke erklingen.
Elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten hatte der 19-jährige Robert Steinhäuser, ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums, getötet, bevor er sich selbst erschoss. Er war Mitglied in einem Schützenverein und deshalb zum Waffenbesitz berechtigt. Kurz vor seiner Tat war er wegen eines gefälschten Arzt-Attests von der Schule verwiesen worden. Die Lehrer erschießt er gezielt, die Schüler trifft er durch eine geschlossene Tür.
Am Gutenberg-Gymnasium lernen heute 650 Schüler, 15 der 55 Lehrer haben die Tragödie damals miterlebt. Nicht alle wollten über ihre Erlebnisse sprechen, sagt Dominik, ein 17 Jahre alter Schüler, der kurz vor dem Abitur steht. Allerdings: „Wenn ein Klassenbuch auf den Tisch fällt oder es einen Knall gibt, zuckt mancher zusammen.“Eine 15-Jährige, die anonym bleiben möchte, erzählt von ihrer Schwester. Sie sei während der Schüsse in der Schule gewesen. „Sie hat nie darüber erzählt. Sie schweigt.“
Heute gibt es in vielen Bundesländern Notfallpläne für Amokläufe an Schulen. Das Gutenberg-Gymnasium selbst ist seit einem Umbau nach dem Schulmassaker mit einem modernen Informationssystem ausgestattet, über das Warnungen in jeden einzelnen Raum in dem Gebäude durchgegeben werden können. Ein wichtiges Thema ist aber die Prävention. Amokläufe sind in der Regel nicht vorhersehbar. „Aber man kann etwas tun. Man kann Außenseiter integrieren, Vertrauen schaffen zwischen Lehrern und Schüler“, sagt Klaus Seifried. Er ist pensionierter Schulpsychologe und stellvertretender Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP); Seifried war 26 Jahre als Schulpsychologe in Berlin tätig.
„Unsere Arbeit beginnt nicht erst bei solchen extremen Ereignissen wie Amoktaten“, so Seifried weiter. „Rund 20 Prozent von Jungen und Mädchen entwickeln im Laufe ihrer Schulzeit Schwierigkeiten, die oftmals psychologische Beratung erfordern. Das können Lernprobleme sein, Mobbing oder die Trennung der Eltern macht Schülern zu schaffen.“Doch obwohl es einen großen Bedarf gebe, sei die Versorgung in Deutschland mangelhaft.
Im bundesweiten Schnitt kam laut BDP 2016 ein Schulpsychologe auf rund 8900 Schüler, gefordert ist ein Verhältnis von 1 zu 5000. Dabei hat sich die Versorgung im Vergleich zu den vorigen Jahren schon verbessert, auch um den gestiegenen Bedarf durch Flüchtlingskinder zu decken, die mit traumatischen Erlebnissen an Schulen kommen. Doch nur Hessen, NRW und Berlin verfügen Vor 15 Jahren: Erfurter Polizisten gehen in Deckung. über annähernd so viele Stellen, wie es der empfohlenen Mindestversorgung entspricht.
Christine Alt, Schulleiterin des Gutenberg-Gymnasiums, sieht allerdings ein Problem darin, dass die Psychologen selten an den Schulen direkt angestellt sind, sondern bei Bedarf von den jeweiligen Schulämtern angefordert werden müssen: „Es muss erst einmal Vertrauen zu den Schülern aufgebaut werden. Bei entsandten Psychologen von den Schulämtern bleibt es aber oft anonym, da sie nicht täglich mit den Schülern in Kontakt sind.“
An der Erfurter Schule wurde nach dem Amoklauf zwar ein Schulpsychologe eingestellt – zwei Jahre später allerdings wieder entlassen, aus Geldmangel. Bis heute ist keine neue Stelle geschaffen worden. Es gebe selbstverständlich immer noch Bedarf, so Schulleiterin Alt. Die Generation von 2002 sei zwar längst erwachsen, aber wie an jeder Schule gebe es Situationen, in denen psychologische Beratung gebraucht wird.