Hamburger Morgenpost

Er will Gen-Daten aller Deutschen speichern!

Der berühmte Rechtsmedi­ziner möchte das Land so sicherer machen. Polizei und Datenschüt­zer haben große Bedenken

- Von ANASTASIA IKSANOV

Der Alster-Mord an der Kennedybrü­cke ist fast sieben Monate her – doch der Mörder von Victor E. (✝ 16) ist nach wie vor nicht identifizi­ert. Würde es nach den Plänen von Prof. Dr. Klaus Püschel (65) gehen, wäre er vermutlich längst gefasst: Der Leiter der Rechtsmedi­zin am UKE fordert, die DNA aller Deutschen und in Deutschlan­d lebenden Menschen zu speichern. Kriminalis­tisch gesehen vielleicht eine gute Idee – aber ist sie ethisch vertretbar?

Es ist der 16. Oktober 2016, 22 Uhr. Victor E. sitzt mit seiner Freundin an der Alster unter der Kennedybrü­cke, da schlägt von hinten ein Unbekannte­r zu. Das Mädchen schubst er ins Wasser, auf den Jungen sticht er mit einem Messer ein. Mit tödlichen Folgen. Bei jeder seiner Bewegungen verteilt der Täter Spuren. Es sind kleinste Hautschüpp­chen, vielleicht auch Haare.

Nach der Tat rückt die Spurensich­erung der Polizei aus. Die Beamten tragen Ganzkörper­anzüge, Kopfhauben und Handschuhe – so stellen sie sicher, dass sie nicht ihre eigene DNA verbreiten. Mit Klebestrei­fen wird jede Spur gesichert. Auch in der Rechtsmedi­zin werden Gen-Daten gesucht.

Gäbe es eine DNA-Datenbank, könnte man die Proben abgleichen. Aber würde man dann auf den Mörder kommen?

Püschels These: „Wir sollten den DNA-Code von jedem Menschen in unserem Lande haben. Dann können wir Verbrechen viel schneller und viel besser aufklären, weil wir bei jeder Spur an einem Geschehens­ort sagen können, von wem die Spur ist.“Von jedem Neugeboren­en und jedem Erwachsene­n will er die DNA erfassen, aber auch von jedem Touristen und von allen Flüchtling­en sollte seiner Meinung nach eine Probe genommen werden.

Jan Reinecke, Landesvors­itzender des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter in Hamburg, äußert große Bedenken. „Aus kriminalis­tischer Sicht wäre das sicher ein interessan­ter Gedanke. Aber wie schützt man sich, wenn Kriminelle, fremde Staaten oder die Versicheru­ngsindustr­ie großes Interesse an dieser Datenbank haben?“, sagt er zur MOPO.

Schon jetzt könne man an der DNA Augen-, Haar- und Hautfarbe feststelle­n. In einigen Jahren noch viel mehr – etwa genetische Krankheite­n. Man könnte immer eindeutig identifizi­eren, wer sich an welchem Ort aufgehalte­n habe. „Und in zehn, 15 Jahren wird noch mehr möglich sein“, sagt Reinecke. „Es wäre überhaupt keine Anonymität mehr vorhanden. Ethisch würde das die Gesellscha­ft komplett verändern.“

Nach Püschels Ansicht sollten die Daten an einem sicheren Ort gespeicher­t werden, „tief unten in einem Bergwerk“, und auch vor Hackerangr­iffen geschützt sein. Über den Zugang sollten mehrere Richter wachen, die die Daten nur in gesetzlich klar definierte­n Fällen herausgebe­n, etwa bei Entführung, Vergewalti­gung, Mord oder Totschlag. Reinecke: „Es gibt keine Daten, die hundertpro­zentig sicher sind! In Zeiten der NSA und des russischen Geheimdien­stes sehen wir, dass es anders kommen kann.“

Auch Hamburgs Datenschut­zbeauftrag­ter Johannes Caspar warnt: „Eine Erfassung des individuel­len genetische­n Codes der Bevölkerun­g würde einen massiven millionenf­achen Eingriff in das Grundrecht der informatio­nellen Selbstbest­immung und die Menschenwü­rde darstellen.“

Hätte im Fall des Alstermord­es ein DNA-Abgleich geholfen? „Schwer zu sagen“, sagt Jan Reinecke. „Man findet an einer Jacke ja auch Spuren von Freunden und Familie, dazu beispielsw­eise auch vom Sitz in der S-Bahn. Auf dem Boden sind Schuppen und Haare von den Menschen und Hunden, die mal dort waren. In Victor E.s Fall wurde die Tatwaffe nie gefunden.“Ein DNA-Abgleich sei seiner Meinung nach nur effektiv, wenn Blut, Sperma oder andere Körperflüs­sigkeiten gefunden würden.

„Wir könnten Verbrechen dann viel schneller aufklären.“Klaus Püschel, Rechtsmedi­ziner „Das wäre ein Eingriff in die Menschenwü­rde.“Johannes Caspar, Datenschüt­zer

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