Hamburgs Küchen-Gott
Bei Kevin Fehling kostet das Abend-Essen 300 Euro. Ist das genial oder gaga? Die MOPO hat's ausprobiert
Von MATHIS NEUBURGER
Für 305 Euro lässt sich viel machen. Eine Woche Last Minute in ein tunesisches Billighotel f iegen, ein mitteltolles Handy kaufen oder drei Helene-Fischer-Tickets. Oder ein Mal im besten Restaurant der Stadt – vielleicht sogar des Landes – essen. Ist das völlig verr ckt?
Wahrscheinlich schon. Aber es lohnt sich, so viel sei verraten. Denn im „The Table“geht es nicht ums Sattwerden, es geht nicht um die Frage, ob’s schmeckt, es geht nicht mal um gute Küche. Hier geht es um Kunst. Und Spaß.
In kleinen Gruppen sitzen wir auf Drehstühlen, die bequem wie Fernsehsessel sind, an einer langen, sich wie eine Schlange durch den Raum windenden Kirschholztafel. Einige Damen tragen schick Kostüm, andere lässig Jeans, die Herren Hemd, Jackett oder T-Shirt.
Und alle blicken von ihrem Platz auf die Küche, das Zentrum des Universums an diesem Abend.
Und das spuckt direkt fünf kleine Häppchen raus, vom Grünen-Tee-Macaron mit Hamachi über einen Mini-Taco bis zum Hummertatar unter Martinischaum – als wollten die Köche gleich klarstellen: Wir sind die Götter, ihr die Gläubigen in unserem Tempel. Und jetzt huldigt uns!
Dann wird richtig aufgetischt: Gef ämmter Kaisergranat (also Hummer) mit Fruchtchutney, Kalamansi & Curryschaum steht auf der Karte. Es kommt: Schärfe, Süße, Limone, Asien, dazu mit einem Hühnerchip verziertes Eis. Und das ist nur der erste Gang. Manche Gerichte klingen wie ein Manga-Comic, etwa Aal mit Dashi und Yuzu, plötzlich liegt da als Beilage eine Mini-Calzone, die schmeckt wie beim besten Italiener der Stadt. Es gibt Algen, japanische Soßen mit komischen Namen oder Schaum aus Thunfischbauch. Austern schwimmen im Bloody-MaryFond mit gefrorenen Meerrettich-Kugeln, und der Spargel auf dem Teller entpuppt sich als weiße Schokolade mit leichtem Spargel-Aroma.
„Krass“, sagt der Kollege zur Linken. „Unfassbar“, sage ich. „Grandios“, jubelt der Kollege zur Rechten. Mit dem, was wir bis heute gegessen haben, hat das jedenfalls wenig zu tun.
Die offene Küche gleicht einer Theaterbühne. Konzentriert und erstaunlich still arbeitet sich das Team durch die sieben Gänge, schäumt und rollt und formt und richtet an – echtes Handwerk und ein grandioses Schauspiel in sieben Akten, dessen Ergebnisse direkt serviert werden (und zusammen 205 Euro kosten).
Regisseur des Ganzen ist ein freundlicher junger Mann. Kevin Fehling zuppelt hier noch was zurecht, probiert dort, schnackt mit den Gästen, gibt den Hausherrn. Fehling ist der Kopf hinter den alle drei Monate wechselnden Menüs. Das tägliche Kochen überlässt der 39-Jährige seinem Team, sein wahrer Arbeitsplatz ist die Werkstatt über dem Restaurant, hier wird probiert, kreiert, gezaubert. Ein einzelner Gang besteht ja gerne mal aus sieben Rezepten, die erst mal entwickelt werden wollen.
Die Inspiration hole er aus jeder Lebenssituation, sagt Fehling. Bei einem Kurztrip
nach Guatemala aß er so viel Street Food wie möglich – auf unseren Tellern liegt deshalb ein Mini-Taco. „Da kann man die Augen schließen und Mittelamerika fühlen“, so der Küchenkünstler.
Einmal ließ seine Tochter eine Parfümf asche fallen – Fehling kreierte direkt ein Dessert aus Gerüchen und Aromen des Dufts und servierte es in Flakon-Form. Sehen, schmecken, fühlen – und alles in Perfektion. „Geschmack und Qualität sind das Wichtigste“, sagt Fehling. „Erst dann kommen Kreativität und Inspiration.“
Dabei habe es durchaus etwas gedauert, bis er, der einst auf einem Kreuzfahrtschiff die ersten Schritte als Küchenchef machte, das Selbstvertrauen entwickelte, seine Ideen auch umzusetzen. Die drei Sterne, die Fehling in Travemünde erkochte, waren da hilfreich. Dass er in Hamburg direkt wieder drei Sterne bekam und sich die Spitzenposition in der Stadt holte, sicher auch. So jung wie er ist bislang niemand so gut gewesen.
Knapp die Hälfte seiner Gäste sind Hamburger, manche waren seit August 2015 ein Dutzend Mal da. Teils muss man Monate auf einen Tisch warten. Denn was „The Table“von anderen Sterne-Läden unterscheidet, ist die Atmosphäre. Die ist locker, entspannt. Trotz des vielen Sichtbetons entsteht eine wohlig-warme Stimmung. Man kann sich entspannt in seinen Sessel lümmeln, sich fallen lassen, mit dem wunderbaren Sommelier David Eitel plaudern, während der einem sieben verschiedene Weine einschenkt (was noch mal 100 Euro kostet). „Hier muss keiner Angst haben, etwas falsch zu machen. Jeder Gast ist gleich“, sagt Fehling. „Wir wollen bef ügeln, nicht erdrücken. Das soll Spaß machen!“
Ein unvergessliches Erlebnis ist es allemal. „The Table“: Shanghaiallee 15 (HafenCity), Tel. 22 86 74 22, thetable-hambur .de, nur Reservierungen
„Grandios“, jubelt der Kollege zu Rechten. „Unfassbar“, sage ich.