Hamburger Morgenpost

St. Pauli verliert seine Stimme

Rainer Wulff (74) wird heute nach 31 Jahren am Millerntor-Mikrofon verabschie­det

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Der Klassenerh­alt ist geschafft, die Fans werden in Partylaune sein. Gleichzeit­ig ist heute aber auch ein trauriger Tag. Denn der FC St. Pauli verliert seine Stimme: Rainer Wulff (74), Deutschlan­ds dienstälte­ster Stadionspr­echer im Prof -Fußball, hört nach 31 Jahren auf und wird verabschie­det.

Sein erstes Spiel am Millerntor war das 5:1 gegen Oberhausen am 20. September 1986. Wulff weiß noch: „Franz Gerber erzielte drei, Dirk Zander zwei Tore.“Sein letztes Spiel am Mikrofon war das 3:0 gegen Heidenheim am 28. April. Der frühere Rundfunk-Journalist, der sich den Job in den letzten Jahren mit Dagmar Hansen geteilt hatte, wird heute „nur“geehrt.

Wären die Kiezkicker abgestiege­n, hätte er weitergema­cht: „Da hätte ich nicht den Eindruck erwecken mögen, dass ich mich einfach vom Acker mache.“

Jetzt ist es also vorbei – „weil es irgendwann vorbei sein muss“. Wulff wollte nicht warten, bis ihn die Leute möglicherw­eise nicht mehr wollen: „Es ist mein eigener Entschluss, der richtige Moment.“

Klar, dass in den letzten Tagen Erinnerung­en wach wurden. Sein sportliche­s Highlight war das DFB-Pokalspiel in der „B-Serie“2005, als der Drittligis­t St. Pauli den Bundesligi­sten Hertha BSC mit 4:3 nach Verlängeru­ng rauskegelt­e: „Durch den 0:2-Rückstand würde ich das höher ansiedeln als das 2:1 im Weltpokals­iegerbesie­ger-Spiel gegen Bayern München 2002.“Unvergesse­n natürlich auch das 5:0 gegen Homburg anno 1995, als Fans vorzeitig den Platz stürmten und den Bundesliga-Aufstieg gefährdete­n: „Aber da hat der Schiri uns ja bekanntlic­h gerettet.“

Als Wulff anfing, kam er eineinhalb Stunden vor Anpfiff ins Stadion: „Da musste ich neben den Aufstellun­gen bloß eine Werbung und einen Gruß durchsagen. Zuletzt haben wir mit der Spiel-Vorbereitu­ng Anfang der Woche begonnen. Das war sehr zeitaufwen­dig, der Ablaufplan umfasste acht bis zehn DIN-A4-Seiten.“Interessan­t sei für ihn auch die Entwicklun­g

Von St. Pauli berichten Stefan Krause und Buttje Rosenfeld

auf den Rängen. Wulff augenzwink­ernd: „Damals waren die Rentner unsere Ultras und deren Bronchiala­sthma- und Blasenerkr­ankungen die B-Serie.“

Worauf Wulff stolz ist: „Ich habe, um Aggression­en abzubauen, eingeführt, dass auch eine GästeHymne gespielt wird. Das machen mittlerwei­le fast alle.“Und er habe stets versucht deeskalier­end auf die Zuschauer einzuwirke­n: „Mein Anspruch: Die Hektik auf dem Spielfeld darf nicht über das Mikrofon übertragen werden.“

Zum Schluss verrät Wulff ein kleines Geheimnis: „Viele Menschen haben in ihren vielen Zuschrifte­n meine Unaufgereg­theit gelobt. Wenn die wüssten, was für ein großes Lampenfieb­er ich vor jedem Spiel hatte ...“

 ??  ?? Rainer Wulff moderierte 1990 auch mal aus einem Cabrio (o.). Er kam stets unaufgereg­t rüber. Die „Danke-Bitte“-Sätze vieler Kollegen waren für ihn ein No-Go. Wichtig dagegen: die richtige Aussprache aller noch so komplizier­ten Namen
Rainer Wulff moderierte 1990 auch mal aus einem Cabrio (o.). Er kam stets unaufgereg­t rüber. Die „Danke-Bitte“-Sätze vieler Kollegen waren für ihn ein No-Go. Wichtig dagegen: die richtige Aussprache aller noch so komplizier­ten Namen
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