Der gute Mann vom Hansaplatz
St. Georg In seiner Kneipe kümmert sich Wirt Mehmet Simsit um Huren, Stricher und Drogenabhängige. Die MOPO besuchte die Sozialstation mit Zapfhahn
Diese Geschichte ist fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Ist sie aber. Mehmet Simsit (52) war einst ein Junkie, der sich auf dem Hansaplatz das Heroin ins Blut jagte. Heute ist er clean und betreibt eine Kneipe, in der er Huren, Stricher, Drogenabhängige vor dem endgültigen Absturz rettet und damit im Stadtteil für Frieden sorgt. Besuch beim guten Mann vom Hansaplatz.
Vor sieben Jahren hat Mehmet Simsit den „Hansa-Treff“übernommen. Er ist ein kleiner, freundlicher Mann mit wachen Augen. Erstaunlicherweise hat der jahrelange Drogenkonsum keine Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Die feinen Narben auf seinen Armen könnten sonst wo herkommen, an Einstichstellen denkt man als letztes.
St. Georg ist schick geworden in den vergangenen Jahren. Es gibt dort jetzt sehr teure Altbauwohnungen, edle Geschäfte und coole Restaurants. Der „Hansa-Treff“von Mehmet Simsit passt nicht in das hippe neue St. Georg, dafür ist der Kellerladen zu düster, zu verqualmt, zu bahnhofsviertelkneipig. Und die Gäste erst.
Zu Wirt Mehmet kommen verkrachte Existenzen, die man in anderen Stadtteilen nicht haben will. „Bei uns verkehrt das A bis Z der Menschen. Solange sich alle anständig benehmen, habe ich keinen Grund sie nicht willkommen zu heißen“,
sagt er. Freier, Huren, Alkis, Zuhälter, Transen, aber auch Professoren und Studenten trinken bei ihm.
Für die Gestrandeten unter seinen Gästen ist Mehmet Simsit so etwas wie ein Feuerwehrmann, der herbeigeeilt kommt, wenn es brennt. Neulich wurde eine Prostituierte verhaftet, weil sie Schulden hatte. Und wen rief sie an? Mehmet natürlich. Er kam zur Wache und brachte Geld, dann konnte sie wieder gehen. Oder wenn eine Hure am Tag keinen Freier hatte und hungrig ist, dann verleiht Mehmet schon mal Geld. Und wenn eine Frau aussteigen will, stellt Mehmet den Kontakt zu einem Sozialarbeiter her.
Eigentlich ist der „HansaTreff“also keine Kneipe, sondern eine Sozialstation mit Zapfhahn. Warum er sich die Probleme anderer Leute aufhalst? „Ich war selbst ganz unten. Vor 17 Jahren war ich hier einer der schwer Drogenabhängigen. Ich habe den Absprung geschafft. Leider schaffen das nicht alle“, sagt er. Auch seiner Frau Liliana (39) half er. Er unterstützte die Ex-Zwangsprostituierte dabei, sich von ihren Peinigern zu lösen.
Vor zwei Jahren hat der Wirt eine Reinigungsfirma gegründet, auch noch so eine gute Tat. „Wir wollen damit Menschen eine Chance bieten, die sich aus der Szene lösen wollen“, sagt Mehmet Simsit. Etlichen Frauen konnte er auf diese Weise schon den Ausstieg ermöglichen. Außerdem hilft Mehmet Simsit jeden Freitag in der Suppenküche, er hat für ausländische Prostituierte Sprachkurse auf die Beine gestellt, führt Studenten durch St. Georg und engagiert sich bei der SPD.
Dieses Engagement – zu schön, um wahr zu sein? Einige Nachbarn sind mit der Kneipe nicht ganz glücklich, sonst hörte man nur freundliche Worte. „Er ist eine Ausnahmepersönlichkeit, weil er zum bürgerlichen Teil St. Georgs und auch zur Szene gute Kontakte hat. Er hat eine stabilisierende Wirkung auf St. Georg“, heißt es vom konservativen Bürgerverein. Ähnlich denkt der Einwohnerverein. Und die Polizeiwache lobt ihn dafür, dass er mit den Beamten kooperiert und jederzeit ansprechbar ist.
Auf dem Hansaplatz kennt er jeden und jeder kennt ihn. „Diese Frau ist schon seit 25 Jahren im Geschäft“, sagt er, als eine aufgerüschte Mittfünfzigerin vorbeistöckelt. Von der stark geschminkten Frau am Nebentisch weiß er, dass sie nur in Teilzeit anschafft und sonst in der Gastronomie arbeitet. Seine Handynummer hat fast jeder in St. Georg und wenn er vor seinem Laden steht, muss er unentwegt Hände schütteln.
Manchmal aber wird Mehmet Simsit alles ein bisschen zu viel. „Ich würde gern jedem helfen, aber ich selbst komme manchmal zu kurz“, sagt er. Aber es gibt auch Momente, die ihm viel Kraft geben. Wenn eine Frau ihr Kind aus Dankbarkeit Mehmet nennt. Oder wenn jemand um Tipps bittet, wie auch er Menschen in Not unterstützen kann. Dann atmet Mehmet Simsit zufrieden durch und ist sehr, sehr stolz.
„Vor 17 Jahren war ich selbst schwer drogenabhängig.“Wirt Mehmet Simsit (52)