St. Pauli? Immer füreine Überraschung gut
Schleudersitze! Seit 2012 wurden vier Trainer und drei Sportchefs gekippt Nichts ist unmöglich! Merke: Auch Erfolg schützt vor einer Trennung nicht
„Der FC St. Pauli wird nie einem Ultimatum nachgeben.“Stefan Orth zum Frontzeck-Aus
Der FC St. Pauli tut sich seit Wochen schwer, sich auf einen neuen Sportchef festzulegen. Auch ist er nicht willens zu sagen, dass Ewald Lienen seinen Vertrag bis 2018 als Trainer erfüllen wird. Der Kiezklub ist immer für eine Überraschung gut. Das Motto in Anlehnung an den Slogan: Nichts ist unmöglich – St.Pauli! Das beweisen die vergangenen fünf Jahre.
Die Überraschung 2012: Am 7. Mai, einen Tag nach dem 5:0-Sieg beim Saisonfinale gegen Paderborn, sollte Trainer André Schubert morgens um zehn Uhr die eigentlich beschlossene Entlassung mitgeteilt werden – trotz Saisonplatz vier! Grund: Zwischenmenschliche Probleme mit zu vielen Spielern und dem Funktionsteam. Gleichzeitig rief Sportchef Helmut Schulte im Auftrag des Präsidiums Marco Kurz an und fragte den, ob er sich den Job des St. Pauli-Trainers vorstellen könne. Der bejahte. Rund drei Stunden später erhielt er einen weiteren Anruf Schultes. Tenor: Sorry, Marco! Schubert bleibt doch! Dafür wurde Schulte eine Woche danach selbst gefeuert. Die Gründe dafür sind bis heute ein Mysterium. Die Überraschung 2013: ➤
Im Sommer hatte Trainer Michael Frontzeck den Kiezklub vorm Abstieg gerettet, im Herbst standen die Braun-Weißen auf einem soliden achten Rang. Weil der Coach aber vehement eine vorzeitige Vertragsverlängerung eingefordert und gedroht hatte, am Saisonende zu gehen, wurde er am 6. November gefeuert. Präsident Stefan Orth fühlte sich erpresst: „St. Pauli wird nie einem Ultimatum nachgeben!“➤ Die Überraschung 2014: In der Sommerpause verkündete der Aufsichtsrat, dass er das Präsidium um Orth trotz vorzeigbarer Leistungen und Ergebnisse nicht zur Wiederwahl vorschlagen werde – und legte sich auf Oke Göttlich fest. Rat Marcus Schulz wollte mehr Kreativität: „Orth ist ein Sechser, Göttlich ein Zehner.“Der wurde am 16. November prompt gewählt.
Im Spätherbst ging es dem Kiezklub sportlich mies. Nach Ende der Hinrunde standen nur 13 Punkte zu Buche. Die erste Amtshandlung von Göttlich: ein in FußballDeutschland bestauntes großes Stühlerücken am 16. Dezember. „Geopfert“wurde Sportchef Rachid Azzouzi. Seinen Job bekam Thomas Meggle, der als TrainerNachfolger von Roland Vrabec eine deprimierende Bilanz hingelegt hatte – und neuer Coach wurde Ewald Lienen, den man zuvor lange lediglich um Ratschläge in der Krise gebeten hatte. Die Überraschung 2016: ➤
Trotz des Absturzes ans Tabellenende wurde am 1. November nicht Lienen gefeuert, sondern Sportchef Meggle, dessen Job kommissarisch von Geschäftsführer Andreas Rettig mitübernommen wurde. Wie vorher bei Schulte und Azzouzi wurde keine stichhaltige Begründung mitgeliefert, dafür ein „Retter-Assi“verpflichtet: Der Verein stellte Lienen Olaf Janßen als „Co“an die Seite. Der Günstling von Rettig brachte sich sofort (erfolgreich) und weitaus mehr als üblich ein.
Die Bilanz 2017: In den letzten fünf Jahren wurden vier Trainer (Schubert, Frontzeck, Vrabec und Meggle) und drei Sportchefs (Schulte, Azzouzi und Meggle; Rettig zieht sich freiwillig zurück) verschlissen. Mal sehen, wie die Schleudersitze künftig besetzt werden. Nichts scheint unmöglich.