Hamburger Morgenpost

„Wir können die Leute doch nicht ertrinken lassen“

Friedhof Mittelmeer: Hunderte sterben jede Woche vor Europas Tür. Ein Retter über die verzweifel­te Lage

- Von RALF DORSCHEL

Rom – 34 Leichen treiben im Wasser. Die meisten kleine Kinder. Das war am Donnerstag. 150 vermisste Menschen, vermutlich alle ertrunken. Das war am Mittwoch. Im Mittelmeer, vor Europas Tür. Im Durchschni­tt sterben jeden Tag 15 Menschen. Sie sind Flüchtling­e, sie sind Migranten, sie wollen nach Europa. „Das wird erst aufhören, wenn Libyen wieder stabil ist“, so sagt Michael Buschheuer, Gründer der Seenotrett­er von „Sea Eye“. Acht Hilfsorgan­isationen haben Schiffe vor der Küste Libyens, im Schnitt patrouilli­eren vier gleichzeit­ig im Meer. Sie bekommen Hinweise aus der Rettungsle­itstelle MRCC in Rom, aber auch von Suchflugze­ugen der EU-Grenzmissi­on Frontex oder von libyschen Beobachter­n.

Wird ein Boot entdeckt, wird es nach Italien gebracht: „Das sind alles Seenotfäll­e – die sind so labil, dass sie jederzeit sinken können“, so Buschheuer. „Wenn jemand auf einer Luftmatrat­ze die Deutsche Bucht überqueren will, sagen Sie ja auch nicht: ,Noch schwimmt er ja.‘“

Da das Seerecht verbietet, Schiffbrüc­hige auf unsicheres Terrain zu bringen, ist eine Rückkehr ins libysche Chaos keine Option. Also Italien – rund 50 000 Migranten sind dort 2017 bereits angekommen, 2000 waren es allein am vergangene­n Wochenende. Und mehr als 1340 Menschen sind in diesem Jahr bei dem Versuch, Europa zu erreichen, schon ertrunken. Oft sind die morschen Kutter der Grund, oft das Wetter. Oder Panik, wenn Räuber sich nähern oder die libysche Küstenwach­e. Was allzu oft aufs Gleiche hinauskomm­t: „Die sind komplett skrupellos“, so Buschheuer. Viele Hilfsorgan­isationen

kennen Horrorstor­ys über die Libyer, die auf Flüchtling­e und auch auf Retter schießen, die den Migranten ihre Wertsachen abnehmen, und sie schleppen Boote zurück nach Libyen – illegal. „Die EU hat diesen Leuten viel Geld gegeben und sie ausgebilde­t“, so Buschheuer.

Was aber tun mit den Menschen in den Booten? Die beiden Schiffe von „Sea Eye“haben nicht genug Platz, um sie zu transporti­eren. „Aber wir versorgen die Leute mit Schwimmwes­ten und informiere­n die Leitstelle über den Zustand des Bootes“, so Buschheuer, der überzeugt ist: „Bis Libyen wieder stabil ist, können wir Europäer uns nur erpressen lassen von den Schleusern. Und die Menschen am Leben halten.“Der Retter aus Regensburg warnt: „Diese Zahlen nehmen weiter zu.“

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Sie haben überlebt: Flüchtling­e, die gestern in Italien ankamen.
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Ein Offizier der libyschen Küstenwach­e zielt auf Flüchtling­e (Foto l., aus „Spiegel TV“-Reportage). Foto r.: Schiffbrüc­hige, nachdem am Mittwoch eins von drei Booten mit insgesamt 1500 Menschen gekentert war – 150 ertranken

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