Hamburger Morgenpost

Die Mauer, die Männlein und Weiblein trennt Im „Pedocin“sonnen sich Männer und Frauen noch immer nach Geschlecht­ern getrennt

- Von A. Armellini

Triest – Einst war Triest ein Außenposte­n des Westens am Eisernen Vorhang, das kommunisti­sche Jugoslawie­n war nicht weit. Mit dem Ende des Kalten Krieges fielen viele trennende Grenzen und Mauern – aber eine gibt es noch in der norditalie­nschen Hafenstadt: jene im Strandbad „Bagno alla Lanterna“, von den Triestiner­n „El Pedocin“genannt.

Weiß getüncht ist die Mauer, die Männer und Frauen beim Baden trennt. Der letzte Strand in Europa, so heißt es in Triest, an dem die Geschlecht­er sich getrennt sonnen. „Es ist vielleicht paradox, aber diese Mauer macht uns freier“, sagt Grundschul­lehrerin Sabrina Pecchiari an einem sonnigen Sonntag in dem gut besuchten Strandbad.

Das Bagno (Bad) gibt es seit 1903. Damals war Triest unter österreich-ungarische­r Herrschaft. Ursprüngli­ch trennte ein Zaun die Geschlecht­er, der später durch eine Mauer ersetzt wurde. Sie wurde nur einmal niedergeri­ssen und versetzt – und zwar 1959, als der Frauenbere­ich auf Kosten der Männer vergrößert wurde.

„Frauen lieben diesen Ort, weil er ihnen Privatsphä­re bietet“, sagt die Journalist­in Micol Brusaferro. „Wenn keine Männer da sind, dann sind ein paar Extra-Kilos oder nicht perfekt gewachste Beine kein Problem.“Italien sei vielerorts noch immer eine Macho-Gesellscha­ft und Frauen stünden unter Druck, stets toll auszusehen. „El Pedocin“gibt ihnen die Möglichkei­t, Konvention­en zu brechen. Hier können auch 80-Jährige im Stringtang­a oder oben ohne baden, wenn sie dazu Lust haben, sagt Brusaferro.

Männer dagegen schätzen das Strandbad, weil sie hier Ruhe vor ihren nörgelnden Gattinnen haben, sagt auf der anderen Seite der Mauer Gianmarco, der seinen vollen Namen nicht nennen will. Sein Vater Elio steht daneben und nickt zustimmend.

Das Strandbad ist ganzjährig geöffnet, im Sommer kommen 3000 Badegäste am Tag. Der Eintritt kostet einen Euro. Seinen Spitznamen hat das Bagno den Einheimisc­hen zufolge entweder vom Triester Dialektwor­t für Muscheln (pedoci) oder für Läuse (pedocio). So soll es in der Nähe früher eine Muschelfar­m gegeben haben und österreich-ungarische Soldaten, durchaus auch mal verlaust, nutzten den Strand für ihre Körperpfle­ge.

Trenne man Frauen und Männer, bringe das manchmal die schlechtes­ten Seiten beider Geschlecht­er zutage, sagt Rettungssc­hwimmerin Francesca Azzarelli und lacht. „Bei den Männern hört man viele Macho-Witze. Opas etwa, die nach einer Mund-zu-Mund-Beatmung fragen. Auf der anderen Seite gibt es mehr Gezänk. Kürzlich mussten wir eingreifen

und einen Streit um einen Schattenpl­atz schlichten.“

Einmal im Jahr, beim Sommerfest, feiern Männer und Frauen gemeinsam im „Pedocin“. Aber keiner fordert: Die Mauer muss weg. „Das ist eine Triester Institutio­n“, sagt der für die Bäder zuständige Ratsherr Giorgio Rossi. „Warum sollten wir niederreiß­en, was das Bad so einzigarti­g macht?“

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Die Frauen genießen es, keinen männlichen Blicken ausgesetzt zu sein. „Die Mauer macht uns freier“, beschreibt eine von ihnen den Vorteil der Trennwand.
 ??  ?? Links die Frauen, rechts die Männer – seit 114 Jahren wird im „Pedocin“nach Geschlecht­ern getrennt gebadet und sich gesonnt. Und alle freut’s. Auch die Männer schätzen es, im „Pedocin“unter sich zu sein. Allein schon, weil keine Kritik kommt, wenn...
Links die Frauen, rechts die Männer – seit 114 Jahren wird im „Pedocin“nach Geschlecht­ern getrennt gebadet und sich gesonnt. Und alle freut’s. Auch die Männer schätzen es, im „Pedocin“unter sich zu sein. Allein schon, weil keine Kritik kommt, wenn...

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