3 Hamburger gegen Google
BEWERTUNGS-SKANDAL
Ärger um falsche Noten:
Das Gesundheitszentrum St. Pauli ist Anlaufpunkt für Menschen, die Hilfe brauchen. In den Räumen des ehemaligen Hafenkrankenhauses an der Seewartenstraße bieten Psychologen, Physiotherapeuten, Ärzte, Homöopathen, Naturheilkundler, Hebammen und andere ihre Dienste an. Jetzt ist das Zentrum in die Klauen eines sogenannten Internet-Bots geraten. Die Betroffenen fürchten um ihre Existenz.
Grit Hoffmann ist seit vielen Jahren Psychologin. Vor ein paar Wochen tauchte neben ihrem Firmeneintrag bei Google eine Bewertung mit drei Sternen (von möglichen fünf) auf. Abgegeben von eiJuri nem N. „Eine Person mit diesem Namen ist nie bei mir gewesen. Ich kenne den nicht“, sagt Grit Hoffmann. Die Psychologin ärgerte sich. „Drei Sterne sind eine schlechBewertung. te Als Selbstständige ist das für mich geschäftsschädigend.“Die Auswirkungen habe sie im August bereits zu spüren gekriegt. Grit Hoffmann ist nicht die einzige. Schon bald stellsich te heraus, dass das gesamte Gesundheitszentrum und mehr als 1600 weitere kleine Betriebe in Hamburg von Juri N. Bewertungen erhielten – fast alle mit lediglich drei Sternen. Hinzu kommen über 20 000 Fotos und diverse Rezensionen, die bei Google auf das Konto von Juri N. gehen. Dass dahinter eine Einzelperson steckt, ist angesichts der Fülle an Bewertungen unwahrscheinlich, meint Ecki Opitz, IT-Experte und Inhaber einer InternetAgentur.
„Es deutet viel darauf hin, dass es sich bei Juri N. um einen Bot handelt“, sagt Opitz. Einmal, weil auch Dienstleister bewertet wurden, die schon seit vielen Jahren nicht mehr im Gesundheitszentrum tätig sind. Zum anderen, weil sich die Bewertungen stark ähneln. Opitz vermutet, dass der Bot von jemandem eingeschaltet wurde, der scharf auf die Vorteilsanreize von Google ist. „Je mehr Bewertungen man abgibt, desto mehr Funktionen von Google bekommt man freigeschaltet“, so Opitz. Moralisch sei das sehr bedenklich. „Hier wird eine künstliche Meinungsvielfalt suggeriert, obwohl nur eine einzige Person dahintersteckt.“
Den Betroffenen sind die Hände gebunden. „Wir haben mehrfach an Google geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Unsere Aufforderung, die Sterne zu löschen, wird ignoriert“, sagt Reinhard Laskowski, Sprecher des Gesundheitszentrums, der als Heilpraktiker selbst betroffen ist.
Eine Psychologin des Hauses hat zusammen mit ihrem Ehemann, einem Rechtsanwalt, immerhin eine einstweilige Verfügung gegen Google erwirkt. Die musste allerdings in die USA überstellt werden. Die Psychologin hat wenig Hoffnung: „Bis so etwas umgesetzt wird, können Monate vergehen. Google ist ein extrem mächtiges Unternehmen mit einem Heer von Anwälten, die vermutlich erst mal Widerspruch einlegen werden. Das Recht ist zwar auf meiner Seite, aber Google ist so mächtig, dass einem das nicht unbedingt was nützt.“
Und doch hat sich jetzt plötzlich etwas getan – dank der MOPO. Zwar wollte Google auch gegenüber unserer Redaktion keine Stellung zu dem Problem beziehen. Aber kaum war die Anfrage auf dem Tisch des Pressesprechers, waren auch schon überraschend sämtliche Sterne-Bewertungen von Juri N. gelöscht. Binnen weniger Minuten war erreicht, worum die Betroffenen seit Wochen vergeblich kämpften.
IT-Experte Opitz sieht in den Bewertungssystemen eine „Gefahr für die Demokratie“. Anke Büttenbender, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des Hotelund Gaststättenverbandes (Dehoga), berichtet, dass Betriebe gezielt angeschrieben würden. Das Angebot: eine gute Bewertung – gegen Geld. Büttenbender: „Da entsteht eine ganz neue Kriminalitätsform. Wir haben keinen Weg gefunden, damit umzugehen. Der Gesetzgeber muss etwas tun. Wir brauchen Regularien für diese Entwicklung im Netz.“
„Eine schlechte Bewertung ist geschäftsschädigend.“Grit Hoffmann, Psychologin
„Da entsteht ganz neue kriminelle Energie im Netz.“Anke Büttenbender (Dehoga)