Die falschen 50er
DIE RETRO-WOHNUNG Eine Zeitreise zu Petticoats und Nierentischen:
Von außen macht das Haus Alter Teichweg 132 nicht viel her. Rotklinker halt, typisch Dulsberg eben. Wer jedoch einen Schritt über die Schwelle macht, landet mitten in den 50er Jahren! Nostalgie-Fans haben eine Wohnung so eingerichtet,
wie sie vor rund 60 Jahren typisch für Hamburg war. Cocktailsessel. Dreieckstische. Ein Musikschrank mit Plattenspieler. Ein Zimmerspringbrunnen. Ganz klar, das sind die Fünfziger! „Wir wollen die Erinnerung an diese Zeit lebendig halten“, sagt Gerd Dorn (57), Vorsitzender des Vereins „Nierentisch und Petticoat“, der die
Ausstellungs-Wohnung im vergangenen Jahr liebevoll zusammengestellt hat. Was so toll war an den 50er Jahren, das erklärt seine Frau Andrea (53), eine blonde Frau im blauen Petticoat. „Es war eine positivere Zeit als heute. Die Leute sind freundlicher miteinander umgegangen und haben
mehr gefeiert. Und die Musik war klasse“, sagt die Bankangestellte.
Durch das Wohnzimmer dudeln Songs von Elvis, Bill Haley und The Diamonds. Die Einrichtungsgegenstände haben die Vereinsmitglie-
der auf Flohmärkten, in Second-Hand-Läden oder über Kleinanzeigen aufgetrieben. Dolle Sachen sind dabei. Zum Beispiel die kleine Drehkommode: In der Vitrine stehen Bücher.
Dreht man sie jedoch, kommt eine Bar mit Schnapsflaschen zum Vorschein. „Ja, es wurde viel gefeiert damals“, sagt Gerd Dorn und schmunzelt. Auf einem DreiecksTisch liegt eine „Bravo“
von 1959 mit dem TV-Programm von damals. „Gucken Sie mal: Es gab damals nur ein einziges Programm. Es begann um 17
Uhr und endete kurz nach 21 Uhr“, sagt Gerd Dorn. Wenn Jugendliche mal in
der Ausstellung sind, können sie das kaum glauben. Auch alles in der Küche ist Original 50er. Pastellfarbene Töpfe und Mixer gibt es, kunterbunte GürkchenPikser und einen MiniHerd für Kinder. Dessen
Ofen und Herdplatten werden richtig heiß – heute als Spielzeug undenkbar. Nebenan ist das Damenzimmer, dort nähte die Hausfrau und machte sich zurecht. Pastellfarbene Babydolls hängen an der
Wand, in einer Vitrine liegen Miederhöschen mit Strapsen und spitz geformte Köchin BHs. Hier Tatjana steht Schwenzitzkigerade (50) aus Ahrensburg, eine elegante Frau mit Lidstrich, Petticoat, antoupierter Tolle und Schmetterlingsbrille von 1949 auf der Nase. „Die Mode war damals
feminin. Heute kann man ja gar nicht mehr an der Kleidung
unterscheiden, ob einem Mann oder eine Frau
entgegenkommt“, sagt sie. Auch im Alltag trägt sie nur 50er-Jahre-Klamotten, Hosen besitzt sie gerade mal
drei. Und natürlich liebt sie auch die Spezialitäten dieser Zeit: Kalter Hund (Kuchen), gefüllte Eier, Toast Hawaii. Die Besucher sind begeistert, wenn sie durch die Räume gehen. Restlos flippen sie dann aus, wenn sie in den Partykeller hinabsteigen. Vor der Bar stehen rote Hocker, auf dem Tresen sind farbige Gläser. Ein Barkeeper mit Schmalztolle und Koteletten serviert Eierlikör, Erdbeerbowle und den legendären LufthansaCocktail, einen mit Sekt aufgefüllten Orangen-Aprikosen-Likör. Und wenn die Musik angeht, springen alle auf. Petticoats drehen sich, Tollen wippen. Die Vereinsmitglieder tanzen Rock’n’Roll, Rockabilly Jive und Doo-Wop, bis sie außer Atem sind. Echt famos, die Welt der falschen Fuffziger!
Haben Sie auch Lust auf eine Zeitreise? Die Ausstellung im Alten Teichweg 132 ist sonnabends von 12 bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Weitere Infos gibt es unter www.petticoatnierentisch.de. Der Verein sucht neue größere Räume und freut sich über Hinweise.