Katalanen beugen sich dem Druck
Regierungschef erklärt zwar die Unabhängigkeit – doch kommen soll die erst in ein paar Wochen. Madrid bleibt hart, EU-Tusk fordert Dialog der Konfliktparteien
Barcelona – Katalonien wird unabhängig – aber nicht jetzt. Mit dieser Botschaft entschärfte Ministerpräsident Carles Puigdemont gestern Abend einen Konflikt, der das Zeug hat, Spanien zu zerreißen und Europa in eine Krise zu stürzen.
Was hat Puigdemont verkündet? Kataloniens Regierungschef verwies auf das Referendum vom 1. Oktober, bei dem sich über 90 Prozent für die Unabhängigkeit aussprachen: „Katalonien hat das Recht erhalten, unabhängig zu sein.“Puigdemonts Dilemma: Er steht bei seinen Wählern im Wort. Doch der Druck auf den liberalen Politiker wurde wohl zu groß: Im letzten Moment verschob er seine Rede um eine Stunde, sparte dann nicht mit Kritik an der Regierung in Madrid: Dort habe man jeden Dialog im Vorfeld abgelehnt: „Die Antwort war immer eine radikale und absolute Weigerung, kombiniert mit einer Verfolgung der katalanischen Institutionen.“In spanischer Sprache fügte er hinzu: „Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten.“
Wie geht es jetzt weiter? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: „Für ein paar Wochen“hat Puigdemont die Unabhängigkeitserklärung ausgesetzt – „um eine Phase des Dialogs zu ermöglichen“. Die Botschaft: „Wenn jeder sich jetzt verantwortungsvoll verhält, kann der Konflikt ruhig und einvernehmlich
gelöst werden.“Doch Madrid zeigte sich am Abend schon wieder arrogant: Puigdemonts Unabhängigkeitserklärung sei „unzulässig“.
Was drohte den Katalanen? Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte bereits versucht, das Referendum mit blutigen Polizeieinsätzen zu stoppen. Und auch bei der Sandkasten-Frage – wer hat angefangen? – macht Rajoy keine gute Figur: Der rechtskonservative Politiker hatte den Grundstein für Puigdemonts Erfolg gelegt – mit harter Hand hatte seine Regierung 2010 ein bereits beschlossenes weiter reichendes Autonomiestatut für Katalonien vom Tisch gefegt. Die empörten Katalanen gingen auf die Straße – und wählten 2016 eine Regierung aus zwei separatistischen Parteien unter Carles Puigdemont. Gestern drohte Madrid wieder mit dem Einsatz aller Mittel – inklusive Gewalt. Die katalanische Regierung hätte morgen schon im Knast landen können, die Zentralregierung hätte in Barcelona die Macht übernommen.
Was sagt die EU? Die hielt sich lange raus – erstaunlich, weil die Kommission sonst so selten schweigt. Doch gestern mischte sich EU-Ratspräsident Donald Tusk mit einem dramatischen persönlichen Appell ein: Er wisse, wie sich Polizeiprügel anfühlt – dennoch sollten die Katalanen auf Dialog setzen.