Hilflos in der Service-Hölle
Wie O2 eine 85-jährige Hamburgerin hängen lässt, sie vertröstet und ihre Kontaktanfragen auf allen Kanälen ignoriert
Von MAX WEINHOLD
Stellen Sie sich vor, Sie wären seit mehr als zwei Monaten ohne Telefon und Internet. Sie können niemanden anrufen, keine Mails schreiben, gar nichts. Edeltraut S. geht es genau so. Seit Ende August funktioniert bei der 85-jährigen Rahlstedterin nichts mehr – dabei sollte sie eigentlich schnelleres Netz bekommen.
Es klang vielversprechend: Umstellung auf Breitbandverbindung und Internettelefonie – das wurde Edeltraut S. in einem Schreiben vom 20. Juli als „Technologiewechsel“versprochen. Am 24. August sollte es so weit sein, verbunden mit einigen Stunden Verbindungsstörung.
Dabei blieb es nicht. „Aus einem Tag sind über zwei Monate geworden“, sagt Edeltraut S. entrüstet. Sie erfuhr erst einen Monat nach der Umstellung von der Funkstille, bis dahin hielt sich die 85-Jährige nach einer OP in der Reha auf. Seit ihrer Rückkehr nach Hause versucht sie gemeinsam mit ihrem Sohn Norbert jeden Tag, einen Ansprechpartner bei O2 zu erreichen. Ein hoffnungsloses Unterfangen.
Immer wieder erklärt eine automatische Frauenstimme, dass derzeit alle Mitarbeiter im Gespräch und die Wartezeiten unerwartet lange seien. Bevor das Telefonat beendet wird, darf sich die Rentnerin noch anhören, sie solle es zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen. Dann ist Schluss. Stunden hat sie inzwischen am Telefon verbracht, nichts ist passiert.
„Ich bin todunglücklich“, sagt sie. „Ich kann meinen Freundinnen keine Nachrichten mehr schreiben, Nachbarn und Bekannte stehen besorgt vor meiner Tür, weil ich nicht ans Telefon gehe“, berichtet sie. „Die denken, ich wäre tot.“Edeltraut S. ist durch die Funkstille noch mehr auf die Hilfe ihres Sohnes angewiesen, kann sich zum Beispiel selbst keine Arzttermine mehr besorgen. Und die Seniorin hat Angst: Schon drei Mal sei in dem Haus, in dem sie schon seit 1953 lebt, eingebrochen worden. „Ich habe in jedem Raum ein Telefon, für alle Fälle. Aber jetzt kommt die dunkle Jahreszeit und ich kann keine Hilfe rufen, falls wieder etwas passiert“, schildert sie. Dabei benutzt sie ein Gerät, das für die Internettelefonie mit sogenannter Voice-Over-IPTechnik geeignet ist, und einen nagelneuen WLANRouter von O2.
Bei der Pressestelle von Telefonica, zu der O2
„Freunde erreichen mich nicht und denken, ich bin tot.“Edeltraut S.
gehört, bietet sich ein ähnliches Bild wie bei der Kundenhotline. Leider ist für die MOPO keiner der 19 Unternehmenssprecher zu erreichen, auch hier wird nach einem kurzen Verweis auf eine E-Mail aufgelegt. Erst nach mehreren Versuchen bekommen wir überhaupt einen Mitarbeiter zu sprechen. Der gehört zwar nicht zur Pressestelle, will das Anliegen aber immerhin weiterleiten. Eine Antwort gab es nach sechs Tagen noch immer nicht.
Edeltraut und Norbert S. haben es natürlich nicht nur per Telefon versucht. Aber auch der Chat im Internet funktionierte nicht, auf Briefe gab es ebenso keine Reaktion wie auf FaxNachrichten. Im O2 -Shop konnte ihr nicht geholfen werden, weil die 85-Jährige schon beim Vorgängerunternehmen Alice Kundin war: Die Mitarbeiter können nicht auf die Kontoinformationen der ehemaligen Alice-Kunden zugreifen. Edeltraut S. ist mittlerweile endgültig bedient, hat gekündigt – allerdings beträgt die Frist dafür ein Jahr. „Noch ein Jahr ohne Internet und Telefon, das geht nicht“, sagt sie. Mutter und Sohn gehen deswegen jetzt gerichtlich gegen die lange Vorlaufzeit vor. Sie setzen darauf, dass ein außerordentlicher Kündigungsgrund vorliegt. Schließlich gibt es seit mehr als zwei Monaten keine Leistung – während Edeltraut S. ihren Tarif munter weiterzahlt.
Die 85-Jährige hofft, dass die Probleme bald ein Ende haben. Sie hat zwar ein Handy, damit kommt sie aber nicht gut zurecht, sagt sie. „Und ich kann ja nicht jedes Mal zu meinen Nachbarn gehen zum Telefonieren.“Zumal das Telefon auch nicht bei allen Nachbarn reibungslos funktioniert: Es gibt technische Probleme im gesamten Vorwahlgebiet – so viel hat Edeltraut S. inzwischen von der automatischen Frauenstimme am Kundentelefon erfahren.
„Noch ein Jahr ohne Anschluss? Das geht nicht!“Edeltraut S.